In der Praxis der steuerlichen Gestaltungsberatung ist das Einholen einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung (§ 89 Abs. 2 AO) vor Umsetzung einer Transaktion (z. B. Verschmelzung von Gesellschaften) das übliche Prozedere. Ziel ist, die steuerlichen Auswirkungen der geplanten Transaktion verbindlich mit der Finanzverwaltung vor Umsetzung der Transaktion abzustimmen. Die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist ab einem Gegenstandswert von 10.000 € gebührenpflichtig, die Gebühr kann bis zu 91.456 € betragen (Gegenstandswert ab 30 Mio. €). Fraglich ist, ob bei der Bestimmung des Gegenstandswerts der verbindlichen Auskunft zukünftige (hypothetische) Steuerentlastungen (z. B. Mehrabschreibungen in Folge einer Buchwertaufstockung von Wirtschaftsgütern aufgrund eines hypothetischen Verschmelzungsgewinns) „gebührenmindernd“ zu berücksichtigen sind. Nach einer jüngst veröffentlichten Entscheidung des FG Münster (Urteil vom 15. 2. 2012 – 12 K 5002/07 AO, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IV R 13/12) dürfte dies der Fall sein.
Finanzverwaltung: Zukünftige Steuerentlastungen sind bei der Bestimmung des Gegenstandswerts nicht zu berücksichtigen
Die Gebühr einer verbindlichen Auskunft wird nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (§ 89 Abs. 4 Satz 1 AO). Wie der Gegenstandswert zu bestimmen ist, regelt das Gesetz nicht. Fraglich ist deshalb, auf welche Weise der Wert zu ermitteln ist. Die Finanzverwaltung bestimmt den Gegenstandswert unter Zugrundelegung einer formalen „veranlagungszeitraumbezogenen“ Betrachtung (AEAO, zu § 89, 4.2.2.). Sie vergleicht für die Wertbestimmung die steuerlichen Auswirkungen, die nach der Rechtsauffassung des Antragstellers eintreten (z. B. Gewinnauswirkung aus Verschmelzung 0 Mio. €), mit denen, die entstehen würden, wenn die Verwaltung eine entgegengesetzte „ablehnende“ Auffassung vertreten würde (z. B Gewinnauswirkung aus Verschmelzung 100 Mio. €). Dabei sollen Steuerentlastungen aus der Transaktion, die sich bei Zugrundelegung einer ablehnenden Auffassung in zukünftigen Vz. ergeben würden, nicht zu beachten sein (z. B. Erhöhung der AfA-Bemessungsgrundlage infolge des Gewinns um 100 Mio. € führt in Folgejahren zu Mehrabschreibungen). Die Verwaltung berücksichtigt nur die unmittelbaren Steuerauswirkungen im entsprechenden Vz. (z. B. hypothetischer Gewinn 100 Mio. € * KSt-Satz 15% = Gegenstandswert 15 Mio. €).
FG Münster: Zukünftige Steuerentlastungen sind bei der Bestimmung des Gegenstandswerts zu berücksichtigen
Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung legt das FG Münster (a.a.O.) bei der Bestimmung des Gegenstandswerts einer verbindlichen Auskunft eine wirtschaftliche „veranlagungszeitraumübergreifende“ Betrachtung zu Grunde. Der Wert einer verbindlichen Auskunft für den Antragsteller sei nicht isoliert für einen Vz. zu beurteilen. Anders als bei der Streitwertbestimmung in einem Klageverfahren, bei dem der Gegenstandswert aus dem streitbehafteten Steuerbescheid abzuleiten ist, seien bei der Bestimmung des Gegenstandswerts einer verbindlichen Auskunft auch zukünftige (hypothetische) Steuerentlastungen zu berücksichtigen (im Streitfall: zukünftige Steuerersparnis aus Mehrabschreibungen). Der Stpfl. beschränke sich bei der Planung seiner steuerlichen Angelegenheiten nicht auf einen (einzigen) Vz., sondern beziehe die langfristigen Steuerauswirkungen in die Planung ein. Der Lebenssachverhalt, der einem Auskunftsantrag zu Grunde liegt, erstrecke sich bei der verbindlichen Auskunft – im Gegensatz zu einem Klageverfahren – über einen längeren Zeitraum, dies sei bei der Beurteilung der Gegenstandsgebühr zu berücksichtigen. Danach sind bei der Bestimmung des Gegenstandswerts z. B. zukünftige Steuerentlastungen aus Mehrabschreibungen zu berücksichtigen.
Überlegungen des FG Münster sind nach meiner Auffassung auf andere Fallkonstellationen übertragbar
Das FG Münster hatte sich mit den Auswirkungen (hypothetischer) Steuerentlastungen in Form von Mehrabschreibungen aus einer Buchwertaufstockung (abschreibungsfähiger) Wirtschaftsgüter zu befassen. Die Überlegungen des Gerichts sind ohne weiteres auf typische Umstrukturierungsfälle übertragbar (z. B. Umwandlung nach UmwStG), bei denen die ertragsteuerlichen Folgen der Transaktion regelmäßig mit Rechtsunsicherheiten behaftet sind (Führt die geplante Transaktion zur Realisierung stiller Reserven?). Darüber hinaus ist die Überlegung des Gerichts, den Gegenstandswert einer verbindlichen Auskunft unter Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu bestimmen, aus meiner Sicht auch auf andere Fallkonstellationen übertragbar. Bei einer wirtschaftlichen Betrachtung dürfte z. B. der Gegenstandswert einer verbindlichen Auskunft zu § 8c KStG-Rechtsfragen nicht durch isolierte Berücksichtigung des Nominalbetrags des Verlustvortrags (z. B. Verlustvortrag nominal 100 Mio. € * KSt-Satz 15%), sondern unter zusätzlicher Einbeziehung der voraussichtlichen Verlustverrechnungsdauer zu bestimmen sein (z. B. Barwert des Verlustvortrags bei Berücksichtigung der Ertragssituation des Stpfl.70 Mio. € * KSt-Satz 15%).
Es bleibt zu hoffen, dass der BFH, der hinsichtlich des „Ob“ einer gesetzlichen Gebührenpflicht für verbindliche Auskünfte keine (verfassungsrechtlichen) Bedenken hat (vgl. Beschluss vom 30. 3. 2011 – I B 136/10, DB 2011 S. 1035), Gelegenheit bekommt, sich beim „Wie“ der Gegenstandswertbestimmung auf die Seite der Stpfl. zu schlagen.
(Zitiervorschlag: von Freeden, Steuerboard DB0483988)