Dass § 8c KStG sowohl in der Literatur als auch mittlerweile in der Rspr. ob seines überschießenden Charakters umstritten ist, dürfte hinreichend bekannt sein. Insofern verwundert es nicht, dass eine Begrenzung der Norm auf reine Missbrauchsfälle vielfach gefordert wird. Teilweise – wenngleich in unzureichendem Maße – ist der Gesetzgeber diesen Forderungen im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. 12. 2009 durch die Einführung der Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 Satz 5 KStG) sowie der Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 Satz 6 ff. KStG) nachgekommen. Auch unter dem insoweit modifizierten § 8c KStG wird einer am Normzweck der Missbrauchsvermeidung orientierten Auslegung der Vorschrift daher nach wie vor erhebliche Bedeutung zukommen. Das FG Berlin-Brandenburg hat nunmehr mit Urteil vom 18. 10. 2011 (8 K 8311/10, DB0483381) in bemerkenswerter Weise die Vorschrift des § 8c KStG a. F. (i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. 8. 2007) vor dem Hintergrund der ihr gesetzgeberisch zugedachten Missbrauchsvermeidungskonzeption teleologisch reduziert.
Dem Streitfall lag eine zivilrechtlich im Jahr 2008 erfolgte Verschmelzung zugrunde, im Rahmen derer die bisherigen Gesellschafterinnen (zwei GmbHs) der übernehmenden Kapitalgesellschaft auf diese verschmolzen wurden (sog. downstream-merger). Die von den übertragenden Gesellschaften jeweils gehaltenen Anteile an der Übernehmerin wurden dabei im Zuge der Verschmelzung an ihre jeweiligen Gesellschafter (Obergesellschafter) ausgekehrt. Aus Sicht der Obergesellschafter wurde daher – unter Wahrung der bisherigen Beteiligungsverhältnisse – jeweils eine bisher mittelbare Beteiligung in eine nunmehr unmittelbare Beteiligung an der übernehmenden Kapitalgesellschaft umgewandelt.
Das FG stellt zunächst zutreffend fest, dass § 8c Satz 2 KStG a. F. im Streitfall prima facie einschlägig ist. Denn es werden im Zuge der Verschmelzung 100% der Anteile an der Übernehmerin, die vor der Verschmelzung von den beiden übertragenden GmbHs gehalten wurden, an die Gesellschafter der vorgenannten Gesellschaften qua Anteilsauskehrung übertragen. Dass bereits zuvor eine mittelbare Beteiligung der Obergesellschafter bestand, ist für die Tatbestandsverwirklichung des § 8c KStG im Ausgangspunkt unerheblich.
Allerdings ist im Streitfall nach Ansicht des Gerichts eine teleologische Reduktion des § 8c Satz 2 KStG a. F. geboten, da der downstream-merger erkennbar allein der Verkürzung der Beteiligungskette und gerade keiner missbräuchlichen Gestaltung zur Sicherung oder Übertragung eines Verlustvortrags diene. Die Abwärtsverschmelzung erfolge ohne Änderung der Beteiligungsverhältnisse der Obergesellschafter; die mittelbare Beteiligung werde auf dieser Ebene lediglich in eine unmittelbare umgewandelt.
Den Ausführungen des FG Berlin-Brandenburg ist zuzustimmen. Eine Rechtfertigung für die mit § 8c KStG einhergehende Durchbrechung des Trennungsprinzips und den durch die Norm herbeigeführten Untergang von Verlusten kann wenn überhaupt in Missbrauchsvermeidungszwecken bestehen. § 8c KStG vermag es aufgrund seiner pauschalen Erfassung jedweder qualifizierter Anteilsübertragung nicht, diese Rechtfertigungsebene zu integrieren und bedarf daher einer am Normzweck der Missbrauchsverhinderung ausgerichteten Auslegung. In Fällen der bloßen Verkürzung der Beteiligungskette kann jedenfalls ersichtlich keine Missbrauchsabsicht bestehen. Auch grunderwerbsteuerlich (§ 1 Abs. 3 GrEStG) werden an eine solche Beteiligungskettenverkürzung i. Ü. keine Konsequenzen geknüpft. § 8c KStG mag daher zwar expressis verbis einschlägig sein, ist aber vorliegend richtigerweise im Ergebnis nicht anzuwenden.
Eine teleologische Reduktion des § 8c KStG könnte daneben insbesondere bei anderen Konzernsachverhalten – außerhalb des Anwendungsbereichs der Konzernklausel und jenseits von Fällen einer bloßen Verkürzung der Beteiligungskette – geboten sein; beispielsweise im Rahmen der Verschmelzung einer 100% der Anteile einer Verlustgesellschaft haltenden Kapitalgesellschaft auf ihre beteiligungsidentische Schwesterkapitalgesellschaft (an Überträgerin und Übernehmerin seien mehrere Personen beteiligungsidentisch beteiligt, sodass die Anwendung der Konzernklausel zumindest fraglich sein dürfte). Gleichwohl wird darauf hinzuweisen sein, dass sich im Beispiel nicht wie im Streitfall lediglich eine mittelbare Beteiligung in eine unmittelbare Beteiligung desselben Gesellschafters wandelt. Zwar bleibt es aus Sicht der Gesellschafter der zu verschmelzenden Gesellschaften bei der mittelbaren Beteiligung an der Verlustgesellschaft. Indes ergibt sich nunmehr erstmals eine Beteiligung der Übernehmerin an der Verlustgesellschaft (grunderwerbsteuerlich führt dies i. Ü. zur Einschlägigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG). M. E. ändert dies jedoch an der Reduktionsbedürftigkeit des § 8c KStG im Beispiel nichts. Entscheidend sollte sein, dass auf einer oberen Konzernebene mittelbar die Gesellschafteridentität gewahrt bleibt und hierdurch der Einfluss auf die Verwertung der Verluste der Verlustgesellschaft unverändert bleibt. Dieser Grundgedanke liegt jedenfalls ebenso der Konzernklausel zugrunde, wenngleich diese durch das Erfordernis der Beteiligung derselben „Person“ zu eng gefasst ist.
(Zitiervorschlag: Kessler, Steuerboard DB0487786)