Die angekündigten Änderungen aufgrund des JStG 2013 waren schon mehrfach Gegenstand von Beiträgen in diesem Blog (vgl. zuletzt z. B. Escher, Steuerboard DB0484585 und von Freeden, Steuerboard DB0483374). Ein Vorschlag des Bundesrats im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens hat besondere Brisanz: Die Einführung einer Steuerpflicht auf Streubesitzanteile. Genauer: Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften sollen voll steuerpflichtig werden, wenn der Anteilseigner ebenfalls eine Kapitalgesellschaft und zu weniger als 10% beteiligt ist.
Hintergrund ist, dass mit der Einführung des sog. Halbeinkünfteverfahrens im Jahr 2001 eine vollständige KSt-Befreiung für Dividenden und Veräußerungsgewinne eingeführt wurde. Damit sollten Doppelbelastungen ausgeschütteter Gewinne bei mehrstufigen Konzernstrukturen vermieden und gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen erleichtert werden. Die Regelung stellte damit eine Reaktion auf die Einführung einer definitiven KSt dar.
Trotz dieses steuersystematisch richtigen Ansatzes wurde die Steuerbefreiung vielfach als ungerechtfertigte Steuervergünstigung angefeindet. Dies führte u. a. dazu, dass die Steuerbefreiung für Dividenden im Bereich der GewSt nur bei Beteiligungen von mindestens 15% gilt.
Nichtsdestotrotz hat sich die Regelung im Großen und Ganzen bewährt.
Die Steuerfreistellung für Dividenden gilt allerdings nur für Steuerinländer. Bei Steuerausländern kommt es, auch wenn ein DBA besteht, zu einer Definitivbelastung i. H. von 15%. Dies rief die Europäische Kommission auf den Plan, die gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete. Der EuGH entschied mit Urteil vom 20. 10. 2011 (Rs. C-284/09, DB0461388 und dazu StRkom DB0463772), dass die derzeitige Dividendenbesteuerung in Deutschland gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Das EuGH-Urteil ist bedenklich, weil der EuGH die GewSt-Belastung von Streubesitzdividenden, die nur Steuerinländer betrifft, komplett ausblendet.
Dennoch ist der Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen. Der Vorschlag des Bundesrats schießt jedoch in mehrfacher Hinsicht über das Ziel hinaus. Zunächst erwägt der Bundesrat, für Steuerausländer eine volle Anrechnung der KapESt einzuführen, um die Diskriminierung zu beseitigen. Dies soll aber zu erheblichen Steuermindereinnahmen führen. Belastbare Zahlen dazu bleibt der Bundesrat aber schuldig. Also greift er auf den Vorschlag zur Einführung einer Beteiligungsgrenze aus dem Entwurf zum JStG 2009 zurück, der seinerzeit aber aus guten Gründen nicht Gesetz wurde.
Dabei wird nicht nur das eigentliche Problem – Diskriminierung der Steuerausländer – angepackt, sondern der Entwurf stellt die Steuerbefreiung für Streubesitzanteile insgesamt infrage: Dividenden würden danach bei Steuerinländern und Beteiligung von weniger als 10% in voller Höhe der KSt und GewSt (Belastung ca. 30%) unterliegen. Für Steuerausländer verbliebe es bei der Definitivbelastung von 15%. Bei Veräußerungsgewinnen – die gar nicht Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens waren – käme es im Streubesitzbereich bei Steuerinländern ebenfalls zu einer vollen Belastung mit KSt und GewSt (ca. 30%), während derartige Gewinne bei DBA-geschützten Steuerausländern steuerfrei blieben! Insoweit geht der Vorschlag des Bundesrats auch über die (letztlich verworfene) Regelung für das JStG 2009 hinaus: Seinerzeit sollten die Veräußerungsgewinne zumindest gewerbesteuerfrei bleiben.
Der Vorschlag des Bundesrats enthält darüber hinaus noch einige weitere eher bedenkliche Regelungen. So soll die Steuerpflicht für Streubesitzbeteiligungen bereits rückwirkend für 2012 gelten. Auch wenn dies nach der Rspr. des BVerfG wohl zulässig wäre, wäre aufgrund der BVerfG-Urteile zur Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle und zur Verlängerung der Spekulationsfrist zu fragen, ob nicht von Verfassungs wegen zumindest die bis zum Inkrafttreten der Neuregelung entstandenen stillen Reserven steuerfrei bleiben müssten.
Ob und inwieweit die Vorschläge des Bundesrats umgesetzt werden, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Würden sie jedoch umgesetzt, hätte dies erhebliche Nachteile zur Folge, nicht zuletzt auch für die Versorgung von jungen innovativen Unternehmen mit Eigenkapital (sog. Wagniskapital). Das kann nicht gewollt sein.
Wie müsste also eine sinnvolle Neuregelung aussehen?
Zunächst sollte sich diese Neuregelung darauf beschränken, die vom EuGH gerügte Diskriminierung zu beseitigen. Denkbar wäre es, die KSt-Befreiung für Streubesitzdividenden abzuschaffen und im Gegenzug diese Dividenden gewerbesteuerfrei zu stellen. Da KSt und GewSt nahezu die gleiche Belastungshöhe haben, würde dies aus Sicht der betroffenen Steuerinländer zu keiner nennenswerten Mehrbelastung führen. Sicherlich wird dieses Vorhaben auf wenig Gegenliebe bei den Gemeinden stoßen, denen das GewSt-Aufkommen zusteht. Dies sollte sich aber über eine Erhöhung des Gemeindeanteils am ESt-Aufkommen oder der Einführung eines Gemeindeanteils am KSt-Aufkommen kompensieren lassen. Die Veräußerungsgewinnbesteuerung sollte hingegen unangetastet bleiben.
Es bleibt somit nur die (zugegebenermaßen schwache) Hoffnung, dass die Vernunft im Gesetzgebungsverfahren siegen möge.
(Zitiervorschlag:Buge, Steuerboard DB0490862)