Unlängst hat sich das BVerfG in einem Beschluss zur Bedeutung des Vermittlungsausschusses bei rückwirkenden Gesetzen geäußert; dieser Beschluss kann für die sich ankündigenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses wichtige Hinweise geben.
Auf Vorlage des FG Münster hat das BVerfG durch Beschluss vom 10. 10. 2012 (1 BvL 6/07, DB 2012 S. 2614) über eine rückwirkend eingeführte nachteilige Steuernorm entschieden, die durch Beschluss des Vermittlungsausschusses in das Gesetz eingefügt worden war. Durch die Unternehmenssteuerreform des Jahres 2001 wurden mit Wirkung ab dem Jahr 2001 Vorabdividenden beim Empfänger von der KSt freigestellt, § 8b Abs. 1 KStG. (Dies galt für „normale“ Dividenden erst ab dem Jahr 2002, das hier diskutierte Problem stellte sich bei diesen nicht.) Die Befreiung schlug über § 7 Satz 1 GewStG nach überwiegender Ansicht auch auf die GewSt durch. Die Vorabdividenden waren daher bei einer Körperschaft als Empfänger von der GewSt befreit, unabhängig davon, ob sie die Schachtelvoraussetzung (Mindestbeteiligung von damals 10%) des § 9 Abs. 2a oder Abs. 7 GewStG erfüllten oder nicht. Im UntStFG, welches Ende des Jahres 2001 verabschiedet wurde, war bei Beginn des Gesetzgebungsverfahrens hierzu keine Änderung vorgesehen. Es kam zu einem Verfahren im Vermittlungsausschuss. Die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 11. 12. 2001 enthielt erstmals eine Fassung des § 8 Nr. 5 GewStG, wie sie auch später Gesetz geworden ist. Danach unterfallen (vereinfacht) Dividenden aus Streubesitzbeteiligungen auch bei Körperschaften als Anteilseigner wieder der GewSt. Diese Regelung sollte bereits für alle Dividenden ab dem 1. 1. 2001 Anwendung finden. Der Bundestag stimmte am 15. 12. 2001 der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu, der Bundesrat am 20. 12. 2001. Am 24. 12. 2001 wurde das Gesetz in dieser Fassung im BGBl. verkündet.
Im Fall des FG Münster war eine Vorabdividende am 15. 12. 2001 beschlossen worden und der Klägerin, die lediglich eine Streubesitzbeteiligung hielt, spätestens am 19. 12. 2001 durch Kontogutschrift zugeflossen. Das FG legte dem BVerfG die Frage vor, ob diese Rückwirkung verfassungsgemäß sei. Das BVerfG hat seine jüngere Rspr. (s. hierzu u. a. Pupeter, Steuerboard DB0485039) bestätigt und weiter präzisiert. Der Sache nach handelt es sich um eine unechte Rückwirkung, da das steuerbegründende Gesetz noch in dem Jahr verkündet wurde, mit dessen Ablauf die Steuer entsteht. Eine solche ist nur zulässig, wenn dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maße Rechnung getragen wird. Bei der Konkretisierung hat das BVerfG folgendes herausgearbeitet: Vorabausschüttungen, die bis zum Tag der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, also bis zum 11. 12. 2001, beschlossen und zugeflossen waren, können nicht mehr rückwirkend der GewSt unterworfen werden. Insoweit geht der Vertrauensschutz vor, die Rückwirkung des Gesetzes ist verfassungswidrig. Streubesitzdividenden, die nach dem 24. 12. 2001 beschlossen wurden, sind hingegen kein Fall der Rückwirkung, ihre Besteuerung ist unzweifelhaft zulässig. Bzgl. Streubesitzdividenden, die zwischen dem 12. 12. und dem 24. 12. 2001 beschlossen wurden und zugeflossen sind, können nach dem Beschluss des BVerfG ebenfalls rückwirkend der GewSt unterworfen werden. Ein besonders schutzwürdiges Vertrauen aufgrund einer erfolgten Disposition sei bei dem Minderheitsgesellschafter nicht zu erkennen, er beschränke sich im Wesentlichen auf die Entgegennahme der Dividende und investiere regelmäßig allenfalls in „geringfügigem Umfang“ eigenes schutzwürdiges Vertrauen.
Auch die „Gewährleistungsfunktion des im Zeitpunkt des Mittelzuflusses geltenden Rechts“ kann hier ohne ein besonderes schutzwürdiges Vertrauen aufgrund der bereits konkret absehbaren Neuregelung keinen Schutz bieten. Das BVerfG stellt für die Frage, ab wann von einer „konkret absehbaren Neuregelung“ auszugehen ist, auf den Beschluss des Vermittlungsausschusses ab. Ein solcher Beschluss vermöge jedenfalls in wesentlich größerem Umfange schutzwürdiges Vertrauen auf dem Bestand der früheren Regelung zu zerstören, als dies bei der bloßen Einbringung eines Gesetzentwurfes in den Bundestag der Fall sei. Denn die Wahrscheinlichkeit der Annahme eines Vermittlungsvorschlages sei erheblich größer als die Chancen eines Gesetzentwurfs zu Beginn der parlamentarischen Beratungen. Das BVerfG hat sich nicht dazu geäußert, ob die „Vertrauenszerstörungspotenz“ eines Gesetzbeschlusses des Bundestages so hoch anzusetzen ist wie die des Beschlusses des Vermittlungsausschusses. Insoweit bleibt Raum für weitere, noch feiner differenzierende Rspr.
In der auch dieses Jahr zum Jahresende anstehenden steuerlichen Gesetzesflut, deren endgültiger Inhalt voraussichtlich im Vermittlungsausschuss „ausgehandelt“ werden wird, findet diese Rspr. hoffentlich Beachtung. Es wäre zu begrüßen, wenn der Beschluss rechtzeitig ergangen ist, um den Vermittlungsausschuss daran zu hindern, als Kompromiss zulasten Dritter Verhandlungsmasse durch rückwirkende Änderung zum Beginn des Kalenderjahres zu schaffen.
(Zitiervorschlag: Pupeter, Steuerboard DB0557059)