Seit Jahren besteht im Steuerrecht eine Tendenz die betriebswirtschaftlich gebotene Passivierung von Verpflichtungen aus rein fiskalischen Gründen einzudämmen. Für die Praxis besonders gravierende Beispiele sind im Ansatzbereich Drohverlustrückstellungen sowie Jubiläumsrückstellungen und im Bewertungsbereich die Pensionsrückstellungen. Zur Anschaffung solcher Rückstellungen gibt es eine mittlerweile umfassende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, die es ermöglicht, stille Lasten in Rückstellungen mit steuerlicher Wirkung zu heben und damit ggf. einen erheblichen Steuer- bzw. Zinsvorteil zu generieren. Die aktuelle Entwicklung in diesem Bereich soll anhand der Vorgehensweise bei Schuldübernahmen bzw. Schuldbeitritt bei Pensionsrückstellungen kurz dargestellt werden.
1. Steuerliche Ausgangssituation
In der Regel sind Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz aufgrund der steuerlichen Bewertung nach § 6a EStG deutlich geringer dotiert als die nach Maßgabe des HGB (insbesondere nach BilMoG) oder nach IFRS gebildeten Pensionsrückstellungen. Jetzt besteht auf Grundlage der BFH-Rechtsprechung die Möglichkeit, mindestens in Höhe der Differenz zwischen der Pensionsrückstellung in der Steuerbilanz und dem Wert der Pensionsrückstellung in der Handelsbilanz einen steuerlichen Aufwand entstehen zu lassen.
2. Vorgehensweise
Grundsätzlich überträgt zu diesem Zweck der bisherige Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus den Pensionszusagen gegenüber den Arbeitnehmern auf eine konzernangehörige Gesellschaft (nachfolgend „Rentner-GmbH“). Diese „Rentner-GmbH“ wird von dem bisherigen Arbeitgeber ausreichend mit Bargeld, Wertpapieren oder anderen Assets (möglichst ohne stille Reserven) ausgestattet, damit die „Rentner-GmbH“ künftig die Verpflichtungen gegenüber den Pensionären erfüllen kann. Zivilrechtlich kann dieser Vorgang durch eine Schuldübernahme gestaltet werden, durch die der bisherige Arbeitgeber vollumfänglich von den Verpflichtungen gegenüber den Pensionären befreit wird. Alternativ kann auch zwischen dem bisherigen Arbeitgeber und der „Rentner-GmbH“ eine schuldrechtliche Innenabrede getroffen werden, nach der die „Rentner-GmbH“ verpflichtet ist, dem ehemaligen Arbeitgeber die Zahlungen an die Pensionäre zu erstatten (sog. Schuldfreistellung oder Schuldbetritt).
3. Steuerliche Effekte
Nach Auffassung des Bundesfinanzhofes (BFH-Urteil vom 14. 12. 2011 – I R 72/10, DB 2012 S. 488 = DB0467589) wird bei beiden Formen der Übertragung (also sowohl bei der Schuldübernahme als auch bei der Schuldfreistellung) in der Steuerbilanz die Pensionsrückstellung gegen die Assets ausgebucht, da die Inanspruchnahme nicht mehr wahrscheinlich ist. Da die nach Maßgabe des § 6a EStG bilanzierte Pensionsrückstellung in der Regel geringer ist als der Buchwert der übergehenden Assets, entsteht ein entsprechender Aufwand. (unter der Annahme, dass der Buchwert der übertragenen Assets dem gemeinen Wert entspricht) Soweit der ehemalige Arbeitgeber einen Freistellungsanspruch gegenüber der „Rentner-GmbH“ hat, ist der Bundesfinanzhof der Auffassung, dass dieser Anspruch nicht zu bilanzieren ist, sondern eine Aktivierung erst in Betracht kommt, wenn eine Inanspruchnahme des Altschuldners konkret droht.
Bei der „Rentner-GmbH“ sollten die übertragenen Assets und die Pensionsrückstellungen als (erfolgsneutraler) Anschaffungsvorgang zu behandeln sein. Der BFH hatte im Urteil vom 14. 12. 2011 nicht die steuerliche „Erwerberseite“ zu entscheiden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass hierbei die Grundsätze seiner Entscheidung zu Drohverlustrückstellungen (BFH-Urteil vom 16. 12. 2009 – I R 102/08, BStBl. II 2011 S. 566 = DB 2010 S. 309 = DB0346463) anzuwenden sind, d. h, ein neutraler Anschaffungsvorgang anzunehmen ist. Im Ergebnis wird damit der aufgedeckte § 6a-Wert fortgeführt und es kommt weder im Zeitpunkt der Anschaffung noch zu einem späteren Bilanzstichtag zu einer Herabschleusung auf den ursprünglichen Wert. Mit einer solchen Behandlung würde dem Grundsatz der Erfolgsneutralität von Anschaffungsvorgängen auch bei der Übernahme von Passivposten Geltung verschafft, wobei es irrelevant wäre, ob im Ausgangspunkt steuerliche Ansatzverbote oder Bewertungseinschränkungen vorliegen. Offen bleibt noch die Frage, ob weitere Zuführungen zu der Pensionsrückstellung solange ausgeschlossen sind, bis der nach § 6a EStG ermittelte und fortgeführte Wert der Pensionsrückstellung wieder erreicht wird (so FG Münster, Urteil vom 15. 6. 2011 – 9 K 1291/07 K, EFG 2012 S. 638, anhängig beim BFH: I R 69/11).
Der BFH nimmt damit für die o.g. Rückstellungen ein synallagmatisches Kausalgeschäft an, bei dem der Erwerber die (neue) Verpflichtung zur Freistellung von Verbindlichkeiten gegenüber dem Gläubiger zu Anschaffungskosten nur übernimmt, weil ihm der Altschuldner „Wegschaffungskosten“ zahlt und dieser damit unter Aufdeckung der stillen Lasten befreit wird. Diese Transaktion kann zu einem erheblichen Zinsvorteil führen, da die Pensionsrückstellungen nicht mehr ratierlich zugeführt werden, sondern durch die Übertragung einmalig die stillen Lasten in vermutlich erheblichem Umfang aufgedeckt werden können.
4. Reaktion der Finanzverwaltung und mögliche Reaktionen des Gesetzgebers
Die Finanzverwaltung lehnt diese Rechtsprechung im BMF-Schreiben vom 24. 6. 2011 (BStBl. I 2011 S. 627 = DB 2011 S. 1485 = DB0424322) im Ergebnis ab. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Aufdeckung der stillen Lasten mit steuerlicher Wirkung ausgeschlossen. Vor dem Hintergrund der umfassenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu diesem Thema (ausdrücklich auch gegen das Schreiben der Finanzverwaltung) ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung diese Auffassung langfristig nicht wird aufrecht erhalten können, zudem müsste dann auch der UmwSt-Erlass 2011 angepasst werden (vgl. DB0464115, Rdn. 03.06 und 04.16).
Aktuell liegt eine Empfehlung des Bundesrats vor, die Anschaffung von Verpflichtungen gesondert zu regeln (vgl. BR-Drucks. 663/12 (B), DB0561699). Zielrichtung ist, die steuerwirksame Aufdeckung von stillen Lasten zu verhindern. Konkret wird vorgeschlagen, den Entwurf eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts um einen neuen § 4f EStG-E und § 5 Abs. 7 EStG-E zu erweitern. Diese Neuregelungen würden bei dem o.g. Beispiel der „Rentner-GmbH“ dazu führen, dass die Pensionsrückstellungen im Zeitpunkt der Anschaffung zwar zunächst mit dem um die stillen Lasten erhöhten Wert auszuweisen sind, aber am nächsten Bilanzstichtag die Rückstellung wieder auf den nach Maßgabe des § 6a EStG berechneten Wert aufzulösen ist. Dazu wird eine Fiktion bemüht: Die übernommene Verpflichtung, die beim ursprünglich Verpflichteten einem Bewertungsvorbehalt unterlag, soll beim Übernehmer so zu bilanzieren sein, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wäre. Eine solche Fiktion ist ein bilanzsteuerliches Novum, das Zweifelsfragen aufwirft. Etwa in Fällen, in denen der ursprünglich Verpflichtete nicht der inländischen Bilanzierungspflicht unterliegt.
In § 4f EStG-E soll eine Konzernklausel eingeführt werden. Danach entfaltet weder die Gewinnminderung beim ursprünglich Verpflichteten noch die Gewinnerhöhung beim Übernehmenden steuerliche Wirkung, wenn beide zum selben Konzern gehören. Um den Konzern zu bestimmen, wird auf den Konzernbegriff der Zinsschranke des § 4h EStG zurückgegriffen.
In der Gesetzesbegründung wird darauf verwiesen, dass die Neuregelung den Leerlauf gesetzlicher Passivierungsbeschränkungen verhindert. Tatsächlich wird aber verkannt, dass die Rechtsprechung des BFH nur der gebotenen Systematik Geltung verschafft. Unklar bleibt auch der Hinweis in der Begründung auf die Notwendigkeit einer Einführung des § 4f EStG zur Verhinderung von Missbräuchen in Konzernfällen, da sich der BFH doch gerade mit Konzernsachverhalten beschäftigt hat und offensichtlich keinen Anlass sah, einen möglichen Missbrauch auch nur ansatzweise zu prüfen.
Die Neuregelung des § 5 Abs. 7 EStG-E soll für Wirtschaftsjahre angewendet werden, die nach dem 31. 12. 2012 beginnen. Davon wären auch Übertragungen erfasst, die in der Vergangenheit (ggf. vor vielen Jahren) erfolgten. Auf Antrag darf die Regelung auch für frühere Wirtschaftsjahre angewendet werden. Die Konzernklausel des § 4f EStG-E enthält übrigens keine gesonderte zeitliche Anwendungsvorschrift; tatbestandlich knüpft sie aber an Fälle des § 5 Abs. 7 EStG-E an.
Wird der Gesetzesvorschlag umgesetzt, wäre eine rechtsprechungsdurchbrechende Gesetzgebung die Folge. Neben den systematischen Verwerfungen würden dadurch zahlreiche neue Fragen, wie nach der Reichweite, der Rückwirkung und der möglichen überschießenden Tendenz entstehen.
(Zitiervorschlag: Sievert, Steuerboard DB0561764)