Steht die Auflösung der Organgesellschaft der Zurechnung ihres Einkommens zum Organträger entgegen?

Bei der Auflösung einer Gesellschaft sind verschiedene Aspekte zu beachten. Es stellt sich nicht nur die Frage, wer für – auch steuerliche – Verbindlichkeiten der aufzulösenden Gesellschaft haftet, sondern u. a. auch die nach den ertragsteuerlichen Folgen der Auflösung. Wird eine Organgesellschaft aufgelöst, ist es insbesondere von Bedeutung, auf welcher Ebene das Einkommen der Organgesellschaft im Abwicklungszeitraum zu versteuern ist. Dabei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, welches Ergebnis für Organgesellschaft und Organträger günstiger ist. Für den Organträger ist es vorteilhaft, wenn ihm ein etwaiger Abwicklungsverlust zur Minderung seiner Steuerbelastung ertragsteuerlich weiterhin zugerechnet wird. Auf der anderen Seite würde die Zurechnung eines Abwicklungsgewinns zur Erhöhung seiner Steuerbelastung bzw. zum Verbrauch von Verlustvorträgen führen, während der Abwicklungsgewinn (ohne eine Zurechnung zum Organträger) von der Organgesellschaft zum – letztmaligen – Ausgleich von Verlustvorträgen genutzt werden könnte.

Zurechnung des Abwicklungsgewinns der Organgesellschaft

Nach der Auffassung der Finanzverwaltung (H 61 KStR) ist der im Abwicklungszeitraum erzielte Gewinn (§ 11 KStG) nicht dem Organträger zuzurechnen, sondern unterliegt der Besteuerung auf Ebene der Organgesellschaft selbst. Der Organträger muss danach einen Abwicklungsgewinn der Organgesellschaft nicht versteuern. Ein Verlust der Organgesellschaft mindert seine Steuerbelastung somit nicht.

Diese Auffassung stützt sich auf Äußerungen in der älteren Rspr. des BFH zur gesellschaftsrechtlichen Vorfrage, ob die Organgesellschaft noch während ihrer Abwicklung Gewinne abführen muss bzw. einen Anspruch auf Verlustübernahme hat. Durch ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) kam der BFH zum Ergebnis, dass im Abwicklungszeitraum weder ein Anspruch auf Gewinnabführung noch auf Verlustübernahme bestehe. Für diese Auffassung waren folgende Erwägungen ausschlaggebend:

Zunächst sei der Gewinnabführungsvertrag nur auf die Gewinnabführung einer laufend tätigen Gesellschaft (Erwerbsgesellschaft) ausgerichtet, weil der Vertrag vor der Auflösung abgeschlossen werde und der Fall der Auflösung nicht in Betracht gezogen werde. Die Organgesellschaft verliere mit der Auflösung ihre Eigenschaft als Erwerbsgesellschaft und könne daher keine Gewinne mehr erzielen. Dafür spreche auch eine Parallele zu den damaligen steuerlichen Voraussetzungen einer Organschaft, nämlich die wirtschaftliche, finanzielle und organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers. Außerdem werde vom Gewinnabführungsvertrag nur der aufgrund des Jahresabschlusses ermittelte Gewinn erfasst. Für die Ermittlung des Abwicklungsgewinns seien andere Bewertungsgrundsätze als für den Jahresabschluss heranzuziehen. Der Abwicklungsgewinn unterfalle daher nicht dem Gewinnabführungsvertrag. Daraus zog der BFH in einer anderen Entscheidung den Schluss, dass mangels abführbaren Gewinns die Organschaft im Abwicklungszeitraum nicht mehr anerkannt werden könne.

Kritische Würdigung

Es ist zu bezweifeln, ob diese Auffassung einer erneuten gerichtlichen Überprüfung standhalten würde. Immerhin haben sich seither die zur Begründung herangezogenen zivilrechtlichen Grundlagen geändert. So sind die Entscheidungen des BFH vor der grundlegenden Änderung der Vorschriften über die Liquidations–Rechnungslegung durch das BiRiLiG ergangen. Nach der damals geltenden Rechtslage waren die Liquidationsbilanzen als Vermögensverteilungsbilanzen anzusehen. Nach dem geltenden Bilanzrecht sind diese als fortgeführte Ertragsbilanzen zu behandeln und bestimmen sich nach den allgemeinen Vorschriften über den Jahresabschluss. Daher folgt die Rechnungslegung auch innerhalb der Abwicklungsphase denselben Regeln wie vorher. Diese gesetzliche Verdeutlichung ist ein entscheidendes Argument gegen die Auffassung der Finanzverwaltung, dass die Organgesellschaft während ihrer Abwicklung keine einem Gewinnabführungsvertrag unterliegende Gewinne mehr erzielen kann. Außerdem steht ein Abwicklungsgewinn auch nicht per se vorrangig den Gesellschaftern zu. Der Abwicklungsgewinn setzt sich aus dem von den Gesellschaftern aufgebrachten Kapital und mit Hilfe des Kapitals erwirtschafteten Gewinns zusammen. Bei der Vermögensverteilung im Falle einer Auflösung ist – in Anlehnung an § 271 Abs. 3 AktG – zwischen den Einlagen und dem Gewinn zu unterscheiden. Während die geleisteten Einlagen an die Gesellschafter zurück zu erstatten sind, wird der verbleibende Überschuss an die Gesellschafter verteilt. Der für die Gewinnabführung zur Verfügung stehende (und nicht den Gesellschaftern zustehende) Gewinn ist daher jedenfalls der Teil des Abwicklungsgewinns, der keine Kapitalrückgewähr darstellt.

Auch das Hilfsargument des BFH zur wirtschaftlichen Eingliederung der Organgesellschaft ist überholt, weil ertragsteuerlich die wirtschaftliche Eingliederung nicht mehr erforderlich ist. Die Auffassung ist vor dem Hintergrund des Zwecks des Gewinnabführungsvertrags – nämlich der Begründung der Organschaft – nicht überzeugend. Der Gewinnabführungsvertrag wird typischerweise abgeschlossen, um die Ergebnisse verschiedener Unternehmen miteinander zu verrechnen und dadurch steuerliche Vorteile zu erreichen. Es ist nicht ersichtlich, warum sich die Auflösung auf die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft auswirken soll, wenn die Voraussetzungen der Organschaft vorliegen. Zudem ist die Unterstellung im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung, den Parteien sei die Möglichkeit einer Abwicklung nicht bewusst, ebenfalls nicht überzeugend. Die Parteien im Gewinnabführungsvertrag treffen i. d. R. eine ausdrückliche Regelung zur Abführung eines Abwicklungsgewinns bzw. zum Ausgleich eines Abwicklungsverlusts.

Ergebnis

Aus allen diesen Gründen ist die Auffassung der Finanzverwaltung nach geltendem Recht nicht mehr haltbar. Es wäre zu begrüßen, wenn die Finanzverwaltung ihre Auffassung überdenkt.

 

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