Mindestbesteuerung: „recht und billig“

StB Dr. Thomas Töben, Partner bei P+P Pöllath + Partners, Berlin

Die Urteile des I. und des IV. BFH-Senats zur Mindestbesteuerung im Spätsommer 2012 (Urteil vom 22. 8. 2012 – I R 9/11, DB 2012 S. 2785, zu § 10d EStG; vom 20. 9. 2012 – IV R 29/10, DB 2012 S. 2789; IV R 36/10, DB0560515, beide zu § 10a GewStG)  mögen für viele enttäuschend gewesen sein. Der BFH hält die Mindestbesteuerung nicht für verfassungswidrig. Dennoch lassen beide BFH-Senate Raum für eine vollständige Verlustverrechnung in Einzelfällen. Welche Fälle sind es, in denen Stpfl. bei der ESt bzw. KSt und/oder bei der GewSt weiter auf eine vollständige Verlustverrechnung dringen können? Wie können Nachteile vermieden werden – praktisch und verfahrensrechtlich?

Zwar unterlagen die Stpfl. in allen drei Streitfällen. Nach wie vor wird jedoch eine unbegrenzte Verlustvortragsverrechnung in sog. „Definitivsituationen“ für möglich gehalten. Das sind Fälle, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt, sondern endgültig, insbesondere aus Rechtsgründen, nicht mehr verrechnet werden kann. Solche Effekte können im Unternehmensbereich bei einem Anteilseignerwechsel und bei der Liquidation von Kapitalgesellschaften auftreten, bei zeitlich begrenzt bestehenden Projektgesellschaften, bei langfristiger Fertigung, bei gesetzlich nicht aktvierbaren Aufwendungen mit korrespondierenden erst späteren Gewinnen und vor allem in Sanierungsfällen.

Soweit in solchen „Härtefällen“ eine Steuerfestsetzung ohne die Beschränkungen der Mindestbesteuerung zugunsten der Stpfl. durch eine verfassungskonforme Reduktion des Gesetzeswortlauts nicht möglich sein sollte, kommen Billigkeitsmaßnahmen in Form des Steuererlasses in Betracht. So nun ausdrücklich der IV. Senat in IV R 36/10. Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Einzelfällen flankiere die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu generellen Regelungen, die sich im Einzelfall „überschießend“ (d. h. ungewollt) nachteilig für den Stpfl. auswirken könne. Damit stellt sich nun die Frage, ob in diesen Fällen die Verwaltung überhaupt noch ein Ermessen hat oder eine Steuer erlassen werden muss. Welche Bedeutung hätte das für den Sanierungserlass?

Allerdings zieht der IV. Senat den Kreis sog. „Definitivsituationen“ für Zwecke der GewSt offenbar enger als er für die Mindestbesteuerung bei der ESt und KSt maßgeblich sein mag. Eine Definitivbelastung bei der GewSt, die deshalb entsteht, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren positiven Gewerbeerträge folgen oder ein positiver Gewerbeertrag, zumeist strukturell, nur im letzten Jahr der werbenden Tätigkeit entsteht, rechtfertige keinen Steuererlass wegen sachlicher Unbilligkeit. In der ersten Fallgruppe käme dies einem Verlustrücktrag nahe, der im System der GewSt bewusst nicht vorgesehen ist. In der zweiten Fallgruppe würde dies zu einer Ungleichbehandlung mit solchen Unternehmen führen, in denen es trotz gleichförmiger Ergebnisentwicklung zu einer Definitivbelastung kommt.

Darüber hinaus sieht der IV. Senat dann keinen Raum für Billigkeitsmaßnahmen, wenn Stpfl. durch ihr eigenes Verhalten dazu beitragen, dass ein positiver Gewerbeertrag entsteht. So war es im Streitfall IV R 29/10. Um eine geordnete Liquidation unter Vermeidung einer Insolvenz zu ermöglichen, verzichteten Gläubiger nur auf Betreiben der Schuldnerin, einer GmbH & Co KG, auf ihre Forderungen, die angesichts der Mittellosigkeit der Schuldnerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Ausschließlich hierauf beruhte der positive Gewerbeertrag.

Sachverhalte wie dieser, in denen bereits seit langem vermögenslose Gesellschaften ohne jegliches Aktivvermögen nur mit einem Schuldenüberhang (oft Schulden gegenüber Gesellschaftern) sozusagen dahinvegetieren, sind in der Praxis nicht selten. Die Befürchtung eines wegen der Mindestbesteuerung jedenfalls teilweise steuerpflichtigen „faktischen“ Verzichtsgewinns verhindert gelegentlich die gebotene Liquidation. Stattdessen werden solche Gesellschaften künstlich am Leben gehalten – mit laufenden Kosten. Die Ausführungen des IV. Senats in IV R 29/10 (a.a.O., Rdn. 29) stimmen nun positiv. Relevant ist nur ein ausdrücklich erklärter Verzicht. Einen nur faktischen Verzicht bzw. (steuerpflichtigen) Verzichtsgewinn gibt es nicht. Inzidenter hat damit der IV. Senat  auch zu dem beim BFH anhängigen Revisionsverfahren I R 34/12 (Vorinstanz: FG Köln, Urteil vom 6. 3. 2012 – 13 K 3006/11, DB0479622) Stellung bezogen – zugunsten der Stpfl. Überdies ist in solchen Fällen vermögensloser und tatsächlich nicht nur vorübergehend eingestellter Betriebe die GewSt-Pflicht ohnehin fraglich.

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