Ein zinsloses Gesellschafterdarlehen zwischen Körperschaften ist aus Sicht des Darlehensgebers steuerlich recht unspektakulär. Regelmäßig handelt es sich um eine unentgeltliche Nutzungsüberlassung, die nicht einlagefähig ist und es kommt nicht zu gewinnerhöhenden Korrekturen, insbesondere findet keine Besteuerung von fiktiven Darlehenszinsen auf Ebene des Gesellschafters statt. Anders kann dies aber bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (§ 1 Abs. 1 AStG) in grenzüberschreitenden Situationen aussehen, die jedoch wiederum durch das Europarecht überlagert wird. Hierzu hat das Schleswig-Holsteinische FG kürzlich eine interessante Entscheidung getroffen (Urteil vom 29. 11. 2012 – 1 K 118/07, DB0572915 = EFG 2013 S. 279).
Sachverhalt
Eine deutsche Mutterkapitalgesellschaft (M) erwirbt 2001 alle Anteile an einer belgischen Tochterkapitalgesellschaft (T) im Wege einer Einbringung. Mit eingebracht wurde auch eine zinslose Darlehensforderung. Das Darlehen war der T zur Finanzierung eines Wirtschaftsguts gewährt worden, welches T im Konzernverbund vermietete. Im Streitjahr 2001 beträgt das Eigenkapital der T ca. 45.000 €, das Darlehen valutierte mit ca. 7 Mio. €.
Streitig war nun, ob aufgrund des von M an T zinslos überlassenen Darlehens den Einkünften der M fiktive Darlehenszinsen im Wege der Einkommensberichtigung nach § 1 Abs. 1 AStG a. F. hinzuzurechnen waren. Das beklagte Finanzamt nahm eine solche Hinzurechnung i. H. von 4,5% vor. M war anderer Auffassung. Zum einen sei die Darlehensgewährung nicht als „Geschäftsbeziehung“ i. S. des § 1 Abs. 1 AStG zu qualifizieren. Außerdem sei § 1 Abs. 1 AStG a. F. nicht mit der europarechtlich geschützten Niederlassungsfreiheit vereinbar.
Entscheidung des FG Schleswig-Holstein
Das FG wartet mit einer europarechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AStG a. F. auf. In der im Streitjahr 2001 geltenden Fassung sei die Norm dahingehend auszulegen, dass für die Gewährung eines zinslosen Darlehens an eine belgische Tochtergesellschaft typisierend ein wirtschaftlicher Grund anzunehmen sei und die Besteuerung fiktiver Zinsen rechtwidrig sei, soweit fiktive Zinsen auf den Darlehensbetrag entfallen, der zusammen mit dem Eigenkapital der Tochtergesellschaft 40% der Summe aus Eigenkapital und Gesellschafterdarlehen ausmacht. Diese Kernaussage ist nicht leicht eingängig und erschließt sich erst, wenn man in die weiteren Details der Entscheidung einsteigt.
Europarechtskonforme Auslegung des AStG durch das FG
Auf der Basis aktueller Rspr. des EuGH (Urteil vom 21. 1. 2010 – Rs. C-311/08, SGI, DB0346291) erkannte das Gericht eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die jedoch gerechtfertigt sei aufgrund des Interesses an der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und des Interesses, Steuerumgehungen durch künstliche Gestaltungen zu verhindern. Für diese Rechtfertigung – so das FG nun – bedarf es aber der Möglichkeit eines Gegenbeweises, die europarechtskonform in § 1 Abs. 1 AStG a. F. hineinzuinterpretieren sei. Das FG liefert dann auch direkt den zu beachtenden Missbrauchsvorbehalt mit:
In Anlehnung an § 8a KStG a. F. sei ein wirtschaftlicher Grund für die Gestaltung gegeben (insofern also keine Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG), soweit das zinslos gewährte Darlehen zusammen mit dem Eigenkapital 40% der Summe aus Eigenkapital und Gesellschafterfremdkapital nicht überschreitet. Mit anderen Worten: Es sei nach Wertung des im Streitjahr geltenden § 8a KStG a. F. verkehrsüblich, wenn Eigen- und Gesellschafterfremdkapital (zumindest) im Verhältnis 1 zu 1,5 (40 zu 60) zu einander stehen. Somit könne es im Rahmen des § 1 Abs. 1 AStG a. F. nicht missbräuchlich sein, wenn es ein zinsloses Darlehen gibt – begrenzt auf 40% der Summe aus Eigen- und Gesellschafterfremdkapital. Konsequent führt das Gericht dies zu Ende und summiert Eigen- und Gesellschafterfremdkapital im Streitjahr und berechnet sodann auf 60% der Summe fiktive Zinserträge zulasten der M.
Kritik und offene Fragen
Die Arithmetik des Gerichts erscheint nicht zwingend. Zur Ermittlung des „zulässigen“ Höchstbetrags des Gesellschafterfremdkapitals hätte es in Anlehnung an § 8a KStG a. F. – wenn man sich schon daran orientiert – nahegelegen, den Betrag des Eigenkapitals mit 1,5 zu multiplizieren und sodann die Differenz zwischen tatsächlichem und „zulässigem“ Gesellschafterfremdkapital zu bilden. Zinsen auf diese Differenz wären nach Wertung des alten § 8a KStG a. F. als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln, das Darlehen hätte insoweit eigenkapitalähnlichen Charakter gehabt und wäre insoweit nicht als „Geschäftsbeziehung“ i. S. des § 1 Abs. 1 AStG zu qualifizieren. Stattdessen werden durch das FG pauschal auf 60% der Summe aus Eigen- und Gesellschafterfremdkapital fiktive Zinsen berechnet.
Fraglich ist jedoch ohnehin, ob das dem § 8a KStG a. F. entlehnte 40:60-Verhältnis von Eigen- und Gesellschafterfremdkapital ohne Weiteres typisierend auf § 1 Abs.1 AStG a. F. übertragbar ist. Bedenken kommen schon deshalb auf, weil § 8a KStG a. F. in dieser Form nicht mehr existiert. Mit der Neuregelung zur Zinsschranke seit 2008 wurde grundsätzlich die Abzugsfähigkeit von allen Zinsen beschränkt, egal ob für Gesellschafter- oder für Drittdarlehen. Die Norm enthält also heute keine Aussage mehr dahingehend, welcher Grad an Gesellschafterfremdkapital zulässig ist (auch § 8a Abs. 2 und 3 KStG sind insoweit nur flankierende Vorschriften). Andernfalls müsste bspw. heute keine Korrektur mehr nach § 1 Abs. 1 AStG erfolgen, wenn das Gesellschafterdarlehen (und sonstiges Fremdkapital) unter insgesamt 3 Mio. € valutiert (Freigrenze bei der Zinsschranke)?
Dem Gericht ist zuzugestehen, dass es sich bemüht, eine europarechtskonforme Lage durch Hineinlesen eines Missbrauchsvorbehalts in § 1 Abs. 1 AStG herzustellen. Ob eine Typisierung in Anlehnung an § 8a KStG a. F. (auch für andere offene Vz. nach 2008?) in der vorgenommenen Form der richtige Ansatz ist, darf jedoch bezweifelt werden. Europarechtlich muss dem Stpfl. die Möglichkeit gegeben werden, wirtschaftliche Gründe für die Struktur vorzutragen. Die Typisierung in Anlehnung an § 8a KStG a. F. steht einer solchen konkreten Widerlegungsmöglichkeit entgegen. Man darf gespannt sein, wie der BFH in der Revision Stellung bezieht (Az. beim BFH: I R 88/12).