Erste Entscheidung zu überlangen Finanzgerichtsprozessen – BFH lehnt Geldentschädigung ab

RA Dr. Gerhard Specker, Counsel bei P+P Pöllath + Partners, Berlin

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Seit Dezember 2011 stehen neue Rechtsbehelfe gegen überlange (Finanz-)Gerichtsprozesse zur Verfügung (§ 198 GVG). Mit der Verzögerungsrüge kann der Kläger eine unangemessene Verfahrensdauer beim Finanzgericht rügen. Verzögert sich das Verfahren dennoch weiter, kann der Kläger frühestens sechs Monate nach der Verzögerungsrüge (und spätestens bis sechs Monate nach Abschluss des Verfahrens) eine Entschädigung beim BFH einklagen. Bei einer unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens hat der Kläger Anspruch auf Ersatz des dadurch entstandenen immateriellen und materiellen Schadens. Diese Klage besteht nach Auffassung des BFH parallel zur Amtshaftungsklage, die andere Voraussetzungen hat und stets vor dem Landgericht erhoben werden muss (siehe dazu meinen Beitrag vom 20. 6. 2012, DB0481947).

Für den durch die Verzögerung verursachten immateriellen Schaden kann grundsätzlich eine pauschale Entschädigung von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung verlangt werden. Der BFH lehnt in seiner ersten Sachentscheidung zu den neuen Rechtsbehelfen die geforderte Entschädigung ab und sieht die bloße Feststellung der überlangen Verfahrensdauer als ausreichende Wiedergutmachung an (Urteil vom 17. 4. 2013 – X K 3/12, DB0592398). Der Kläger hatte dem BFH diese Entscheidung allerdings leicht gemacht.

Unangemessene Verfahrensdauer nach 24 bis 30 Monaten

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Unter Rückgriff auf das BVerfG geht der BFH davon aus, dass bei einem Instanzgericht ein Abwarten von 30 Monaten den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz jedenfalls nicht mehr genügt. Ein Finanzgericht müsse daher im Regelfall nach etwa 24 bis 30 Monaten tätig werden.

Im Ausgangsverfahren war diese Frist deutlich überschritten. Denn nach Austausch der vorbereitenden Schriftsätze bis zum 2. 6. 2006 wurde das Finanzgericht erst am 17. 2. 2010 erstmals wieder tätig, indem es Akten anforderte. Dies geschah nach Auffassung des BFH „erheblich zu spät“; das Finanzgericht hätte das Verfahren spätestens im ersten Halbjahr 2008 „in Richtung einer Entscheidung vorantreiben müssen“, wie der BFH formuliert. Die Zusammenlegung der Finanzgerichte Berlin und Brandenburg zum 1. 1. 2007 lässt er nicht als Rechtfertigung gelten.

Zwar moniert der BFH, dass der Kläger auf eine Anfrage des Finanzgerichts im Jahr 2010 nicht reagiert habe. Aus dem Nichtstun des Klägers folgert er aber gerade nicht, dass jede weitere Verzögerung zu seinen Lasten geht. Denn mit zunehmender Verfahrensdauer verdichte sich die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. Das Finanzgericht hätte daher angesichts der bereits eingetretenen Verzögerung Anlass gehabt, den Kläger an die Antwort zu erinnern bzw. den Fall ohne weitere Mitwirkung des Klägers bei der Sachverhaltsaufklärung zu entscheiden. Das Finanzgericht wurde dennoch erst wieder am 18. 1. 2012 tätig.

Rechtsfolge: bloße Feststellung der Verzögerung

Der BFH kommt hier – für den Kläger wenig erfreulich – zu dem Ergebnis, dass die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer ausreicht, und lehnt eine Geldentschädigung ab. Zwar schließt der BFH aus der objektiv festgestellten überlangen Verfahrensdauer auf einen immateriellen Schaden des Klägers. Eine Geldentschädigung könne aber nur verlangt werden, wenn nicht eine Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend sei. Die Geldentschädigung sei nicht vorrangig. Die bloße Feststellung soll etwa ausreichen, wenn das Verfahren keine besondere Bedeutung hatte oder der Kläger durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat. Der Streitfall gibt dem BFH aber keinen Anlass zur Klärung des Verhältnisses zwischen Entschädigung und bloßer Feststellung. Denn hier sei die bloße Feststellung schon deshalb hinreichend, weil die Klage bereits auf der Grundlage des eigenen Tatsachenvortrags des Klägers unschlüssig und erkennbar unbegründet gewesen sei. Das Gerichtsverfahren habe daher objektiv keine besondere Bedeutung für den Kläger gehabt und seine Verzögerung ihm keine weiteren Risiken oder Nachteile bringen können.

Wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung hat der BFH die Kosten der Entschädigungsklage allerdings zum überwiegenden Teil (75%) dem beklagten Bundesland auferlegt.

Rechtzeitige Verzögerungsrüge im Gerichtsverfahren erforderlich

Der Anspruch auf Geldentschädigung setzt eine rechtzeitige Verzögerungsrüge beim Finanzgericht voraus, die aber auch nicht grundlos bzw. zu früh erhoben werden darf. Der BFH gibt in seiner ersten Sachentscheidung zu den neuen Rechtsbehelfen einige Hinweise, wann ein Finanzgerichtsverfahren unangemessen lang andauert, und betont die Aufgabe des Gerichts zur Beschleunigung bereits verzögerter Verfahren. Andererseits kann der Kläger in bestimmten Fällen zwar Recht bekommen, sich aber trotzdem mit der bloßen Feststellung der Verzögerung begnügen müssen. Die Abgrenzung zwischen Entschädigung und bloßer Feststellung bleibt weiterer Klärung durch den BFH vorbehalten.

 

 

 

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