Amtshaftung der Steuerbehörden – Wo verläuft die Grenze der „Kostenfreiheit des Einspruchsverfahrens“?

RA/StB/FAStR Dr. Jens Escher LL.M., Counsel bei P+P Pöllath + Partners, Berlin

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Im Einspruchsverfahren gilt der „Grundsatz der Kostenfreiheit“, d. h. selbst im Fall seines  Obsiegens hat der Stpfl. nach den einschlägigen Vorschriften der AO keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm getragenen Kosten seines steuerlichen Beraters. Begründet wird dies allgemein mit dem Argument, dass das Besteuerungsverfahren als „Massenverfahren“ besonders fehleranfällig sei und das Einspruchsverfahren ggf. nur eine Fortsetzung des eigentlichen Festsetzungsverfahrens darstelle.

In der Praxis sehen sich die Stpfl. allerdings leider häufig Steuerbescheiden gegenüber, die – jedenfalls für den steuerlichen Berater erkennbar – auf einer offensichtlich fehlerhaften Rechtsanwendung oder sogar nur auf einer Nachlässigkeit des FA beruhen. Auch wenn das FA in diesen Fällen bei Beschwerden des Stpfl. gerne auf den o. g. „Grundsatz der Kostenfreiheit“ des Einspruchsverfahrens verweist und Schadensersatzansprüche wegen eines fehlerhaften Steuerbescheides mitunter rigoros zurückweist, muss der Stpfl. auf den ihm entstandenen Kosten für die Einschaltung seines steuerlichen Beraters nicht zwingend sitzen bleiben. Denn unter bestimmten Voraussetzungen können die Kosten eines Einspruchsverfahrens nach ständiger Rspr. der Zivilgerichte im Rahmen der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB i. V. mit Art. 34 GG) erstattungsfähig sein (vgl. zur Möglichkeit einer Amtshaftung der Steuerbehörden bereits Specker, Steuerboard  DB0481947). Dies ist auch innerhalb der Finanzverwaltung bekannt und es bestehen klare Anweisungen, wie mit diesen Fällen umzugehen ist (vgl. etwa OFD München, Verfügung vom 10. 5. 2004 – O 1057 – 211 St 311).

Ersatzfähig sind jedenfalls die sich aus der einschlägigen Gebührenordnung ergebenden Kosten (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19. 2. 2002 – 16 U 185/01, DStRE 2002 S. 1152). Da der Stpfl. aber im Rahmen seines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs (§ 249 BGB) diejenigen Kosten geltend machen kann, die ihm im Rahmen der Angemessenheit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig erscheinen durften (in diesem Sinne auch OFD München vom 10. 5. 2004, a.a.O., Tz. 2.8.), dürfte im Einzelfall auch ein höherer Schaden ersatzfähig sein.

Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs

Die erfolgreiche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs erfordert den Nachweis einer schuldhaften Amtspflichtverletzung eines Beamten, d. h. das Vorliegen eines infolge Vorsatz oder Fahrlässigkeit fehlerhaften Steuerbescheides. Im Regelfall wird eine fahrlässige Außerachtlassung der im Rahmen der Amtsführung gebotenen Sorgfalt in Frage stehen. Insoweit ist auf die Kenntnisse und Fähigkeiten abzustellen, die für die Ausübung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Dabei muss gerade bei Finanzbehörden ein besonders strenger Sorgfaltsmaßstab gelten (vgl. OLG Koblenz, Urteil  vom 17. 7. 2002 – 1 U 1588/01). Natürlich kann dies nicht in dem Sinne verstanden werden, dass bereits jede fehlerhafte Rechtsanwendung bei ungewisser Rechtslage als schuldhafte Amtspflichtverletzung zu werten ist. Jedenfalls aber dann, wenn die Handlungsweise des Beamten gegen den klaren und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt, sie im Gegensatz zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rspr. steht oder die Gesetzesanwendung offenbar unrichtig ist, ist ein hinreichendes Verschulden gegeben (vgl. OFD München vom 10. 5. 2004, a.a.O., Tz. 1.1.). Dies gilt ebenfalls, wenn die Fehlerhaftigkeit des Bescheides auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht, etwa auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (§ 91 AO) oder einer unterlassenen Ermittlung von Amts wegen (§ 88 AO). Auch in Fällen bloßer Nachlässigkeit ist ein hinreichendes Verschulden gegeben (vgl. OLG Celle vom 19. 2. 2002, a.a.O.). Es kann überdies ein Organisationsverschulden der Behörde vorliegen, wenn  behördenintern nicht dafür Sorge getragen wird, dass neue grundsätzliche Entscheidungen der höchstrichterlichen Rspr. so zeitnah innerhalb der Behörde bekannt gemacht werden, dass diese rechtzeitig im Rahmen der Steuerfestsetzung berücksichtigt werden können (vgl. OLG Koblenz vom 17. 7. 2002, a.a.O.).

Mitverschulden des Stpfl. durch Einschaltung des steuerlichen Beraters?

Selbst wenn die genannten anspruchsbegründenden Voraussetzungen nachgewiesen sind, wird dem Anspruch des Stpfl. auf Ersatz der ihm entstandenen Kosten häufig entgegen gehalten, dass die Einschaltung seines steuerlichen Beraters nicht erforderlich gewesen sei. Hierdurch sei die Pflicht zur Schadensminderung verletzt und den Stpfl. treffe ein Mitverschulden (§ 254 BGB) am entstandenen Schaden (vgl. auch den Hinweis der OFD München, a.a.O., Tz. 1.6.).

Sicherlich wird es Fälle geben, in denen die Steuerfestsetzung so offensichtlich falsch ist, dass dies dem Stpfl. selbst auffallen musste und sich die Sache mit einem schlichten Anruf beim FA hätte klären lassen. Insoweit ist aber auf die konkreten subjektiven Kenntnisse und Fähigkeiten des einzelnen Stpfl. abzustellen (vgl. OFD München vom 10. 5. 2004, a.a.O., Tz. 1.6.). Für den steuerlichen Laien wird die Fehlerhaftigkeit eines Steuerbescheides aufgrund der Komplexität des Steuerrechts in den wenigsten Fällen offensichtlich erkennbar sein. Schon wegen der drohenden Bestandskraft auch eines fehlerhaften (d. h. rechtswidrigen) Bescheides muss er sich nicht auf die Möglichkeit eines formlosen Berichtigungsantrages verweisen lassen. Bei Zweifeln über die Rechtmäßigkeit des Bescheides sowie bei Ungewissheitheit über die Fehlerursache muss es dem Stpfl. vielmehr unbenommen sein, den sichersten Weg zu gehen und seinen steuerlichen Berater mit der Einlegung eines Einspruchs zu beauftragen. Dies gilt insbesondere bei Steuerfestsetzungen in erheblicher Höhe (vgl. OLG Celle vom 19. 2. 2002, a.a.O., zu einer auf einer Namensverwechslung beruhenden Steuerfestsetzung von 150.000 DM). Schon aus Gründen der „Waffengleichheit“ mit der fachkundigen und mit Vollstreckungsbefugnissen ausgestatteten Behörde darf sich der Stpfl. fachkundiger Hilfe bedienen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 23. 2. 2006 – 2 U 1/05, NVwZ-RR 2007 S. 369).

Geltendmachung von Ansprüchen

Liegen die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch vor, so ist dieser zunächst gegenüber dem betreffenden FA geltend zu machen. Das FA kann den Anspruch innerhalb bestimmter Grenzen erfüllen oder einen Vergleich schließen (OFD München vom 10. 5. 2004, a.a.O., Tz. 2.2.: bis 5.000 €). Die Ablehnung des Anspruchs durch das FA stellt keinen Bescheid dar, gegen den dann wieder Einspruch einzulegen wäre. Es ist vielmehr der ordentliche Rechtsweg gegeben (§ 40 Abs. 2 VwGO) und der Anspruch ist – unabhängig vom Streitwert – durch Erhebung einer Klage vor dem zuständigen Landgericht (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) geltend zu machen. Anspruchsgegner ist das betreffende Bundesland.

 

 

 

 

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