Kollision von Vorbehalt der Nachprüfung und gesonderter Feststellung im Veranlagungsverfahren

RA/StB Dr. Maximilian Haag, LL.M., P+P Pöllath und Partners, München

RA/StB Dr. Maximilian Haag, LL.M., P+P Pöllath und Partners, München

Gängige Praxis der FÄ in komplexen Steuerfällen ist es, Steuerbescheide nur unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) zu erlassen und so eine vorzeitige Bestandskraft zulasten des Fiskus zu verhindern. Die Entscheidung für oder gegen einen solchen Vorbehalt steht grundsätzlich im Ermessen des FA. Mit der zunehmend detailversesseneren Regelung unzähliger Teilbereiche des Steuerrechts nimmt allerdings seit Jahren die Anzahl derjenigen Aspekte eines steuerlichen Sachverhalts zu, für die das Gesetz eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen außerhalb des Veranlagungsverfahrens durch das sachnähere FA vorschreibt. Daher finden sich in der Praxis zunehmend Steuerbescheide, bei deren Erlass sich die FÄ offenbar wenig Gedanken darüber gemacht haben, in welchem Verhältnis die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zum Vorbehalt der Nachprüfung steht.

Zunahme gesonderter Feststellungsverfahren vor allem im ErbSt-Recht

Während dies in der Vergangenheit insbesondere für das Ertragsteuerrecht galt, hat seit der ErbSt-Reform 2009 eine Reihe gesonderter Feststellungsverfahren auch in das ErbSt-Recht Einzug gehalten. So werden – zusätzlich zur steuerlichen Bewertung – etwa die Ausgangslohnsumme, die Zahl der Beschäftigten und die jährlichen Lohnsummen seit dem 1. 7. 2011 vom zuständigen Betriebs-FA gesondert festgestellt (§§ 13a Abs. 1a, 37 Abs. 6 ErbStG). Gesondert festzustellen sind seit diesem Zeitpunkt ferner die Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens und des jungen Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2a ErbStG). Anders als die bis zum 30. 6. 2011 für diese Besteuerungsgrundlagen lediglich vorgesehene nachrichtliche Übermittlung vom Betriebs-FA an das Veranlagungs-FA bietet die gesonderte Feststellung den Vorteil, dass sie gegenüber dem Stpfl. (im positiven Sinne) Bindungswirkung entfaltet und (im negativen Sinne) separat angefochten werden kann.

Keine endgültige Ermittlung gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen durch das Veranlagungs-FA

Die Schaffung eines gesonderten Feststellungsverfahrens beschränkt die Kompetenzen des Veranlagungs-FA. Die Veranlagungsstelle kann einen Steuerbescheid zwar ohne Feststellungsbescheid erlassen und die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen – z. B. durch Schätzung – selbst vornehmen (§ 155 Abs. 2 AO). Dies ist allerdings nur zur „vorläufigen“ Regelung zulässig, also wenn das FA weiß, dass noch ein Feststellungsbescheid ergehen soll und diese Vorläufigkeit im Steuerbescheid entsprechend zum Ausdruck gebracht wird (BFH-Urteil vom 8. 10. 1986 – I R 155/84). Trifft das Veranlagungs-FA dagegen eine endgültige Entscheidung, so ist der Steuerbescheid – egal ob unter Vorbehalt der Nachprüfung oder nicht – rechtswidrig. Denn für die endgültige Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist der Veranlagungsbeamte bei gesetzlicher Anordnung der gesonderten Feststellung nicht zuständig.

Kein Vorbehalt der Nachprüfung für die künftige Änderung gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen

Bei gesetzlicher Anordnung der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen geht der Vorbehalt der Nachprüfung aus verfahrensrechtlichen Gründen ganz ins Leere. Denn bei allen gesonderten Feststellungen handelt es sich um Grundlagenbescheide i. S. der §§ 171 Abs. 10, 182 Abs. 1 AO. Bezüglich der gesondert festzustellenden Grundlagen ist eine nachträgliche Änderung von Steuerbescheiden somit ohne weiteres nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO möglich. Aufgrund der Bindung des Veranlagungs-FA an den Grundlagenbescheid (§ 182 Abs. 1 AO) hat der Veranlagungsbeamte die Feststellungen des Feststellungs-FA ungeprüft zu übernehmen. Damit bleibt kein Raum für eine eigene Prüfung von Besteuerungsgrundlagen und damit auch nicht für den Vorbehalt der Nachprüfung im Steuerbescheid.

Kein Vorbehalt der Nachprüfung zur Festsetzung von Nachsteuern nach § 13a ErbStG

Diese Grundsätze gelten bei der ErbSt auch für nachträgliche Verstöße gegen die Lohnsummenregelung (§ 13a Abs. 1 Satz 5 ErbStG) oder die Haltefrist (§ 13a Abs. 5 ErbStG). In beiden Fällen handelt es sich um steuerlich rückwirkende Ereignisse (vgl. R E 13a.4 Abs. 1 Satz 3, 13a.5 Abs. 1 Satz 4 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011). Eine Änderung bestandskräftiger ErbSt-Bescheide zur Festsetzung der Nachsteuer ist somit ebenfalls ohne weiteres nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO möglich. Auch insoweit besteht daher kein Bedürfnis für die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.

Kein Vorbehalt der Nachprüfung bei feststellungsverjährten Besteuerungsgrundlagen

Ist der Erlass eines Feststellungsbescheids wegen Eintritt der Feststellungsverjährung nicht mehr möglich, darf die Finanzbehörde sich nicht unter Rückgriff auf § 155 Abs. 2 AO über die Pflicht zur gesonderten Feststellung hinwegsetzen und die Besteuerungsgrundlagen einfach selbst bestimmen (BFH-Urteil vom 24. 5. 2006 – I R 9/05, BFH/NV 2006 S. 2019). Dessen ungeachtet sind gesonderte Feststellungen selbst nach Eintritt der Feststellungsverjährung weiterhin zulässig, soweit sie für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung sind, für die ihrerseits die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (§ 181 Abs. 5 AO). Dies gilt nach der Rspr. des BFH auch dann, wenn die gesonderte Feststellung ihrerseits Grundlagenbescheid für eine weitere gesonderte Feststellung ist (BFH-Urteil vom 10. 7. 2008 – IX R 90/07, DB 2009 S. 34). Demnach bleibt die gesonderte Feststellung zeitlich unbeschränkt möglich, wenn die Feststellung – vermittelt über weitere verjährte Jahre – zumindest noch für ein nicht feststellungsverjährtes Jahr relevant ist. Sollte eine solche zeitlich unbefristete nachträgliche Feststellung – z. B. wegen § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG oder in ähnlichen Fällen – dagegen nicht mehr statthaft sein, so hilft der Vorbehalt der Nachprüfung dem FA auch nicht weiter, da das Veranlagungs-FA in diesem Fall weder eine „vorläufige“ noch eine „endgültige“ Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen vornehmen darf.

Praxisfolgen

Stpfl. sollten bei Erhalt von Steuerbescheiden sorgsam prüfen, ob der Veranlagung Besteuerungsgrundlagen zugrundeliegen, für die eine gesonderte Feststellung erforderlich ist, welche möglicherweise nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig vor Eintritt der Feststellungsverjährung durchgeführt wurde. Eine eigenmächtige Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen ist ggf. im Einspruchswege anzugreifen. Wurde ein für den Stpfl. günstiger Steuerbescheid insgesamt unter Vorbehalt der Nachprüfung gestellt, obwohl alle von etwaigen Änderungen betroffenen Besteuerungsgrundlagen der gesonderten Feststellung unterliegen, so sollte beim FA die Aufhebung des Vorbehalts beantragt werden. So kann der Stpfl. zumindest die Sicherheit erhalten, dass der nicht der gesonderten Feststellung unterliegende Bescheidsinhalt sofort in Bestandskraft erwächst.

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