Mit BMF-Schreiben vom 26. 7. 2013 (IV C 1 – S 2410/11/10001 :003 [2013/0710470], DB0605855) reagiert die Finanzverwaltung auf eine für sie missliche Gesetzeslage. Ob das im BMF-Schreiben enthaltene Verständnis von § 20 EStG jedoch vor Gericht Bestand haben wird, ist nicht sicher.
Ausgangslage
Das BMF-Schreiben betrifft folgende Konstellation:
Ein Steuerausländer A hält Aktien an einer deutschen AG. Vor der Hauptversammlung – auf der voraussichtlich wie in den letzten Jahren eine Dividendenausschüttung beschlossen wird – veräußert A die zukünftigen Dividendenansprüche (nicht jedoch die Aktien) an B, der ebenfalls im Ausland steuerlich ansässig ist. B übernimmt dabei die rechtliche bzw. wirtschaftliche Inhaberschaft hinsichtlich des Dividendenanspruchs, insbesondere das Bonitätsrisiko in Bezug auf die Zahlung der Dividende. Der Kaufpreis entspricht der erwarteten Dividende abzüglich eines Abschlags. Wenn die tatsächliche Dividende höher oder niedriger als der erwartete Betrag ist, kommt es ggf. zu einer nachträglichen Kaufpreisanpassung.
A ist nach der Hauptversammlung zwar noch Empfänger der Dividende, aufgrund der Veräußerung des Dividendenanspruchs an B leitet er diese jedoch an B weiter.
Steuerlich lässt sich hier an zwei Punkten ansetzen: Es kann bereits die Veräußerung des Dividendenanspruchs durch A zu besteuern sein und/oder der Zufluss der tatsächlichen Dividende.
Besteuerung des Veräußerungserlöses
Das ESt-Recht sieht tatsächlich bereits eine Besteuerung des Veräußerungserlöses bei den Einkünften aus Kapitalvermögen vor (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStG). Es kommt damit beim Anteilseigner anstelle der Besteuerung der Dividende direkt zur Besteuerung des Veräußerungserlöses. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Dividendenanspruch erst künftig entsteht oder dass die den Gewinnanspruch vermittelnden Aktien nicht mitveräußert werden. Sofern Dividendenscheine ausgegeben werden, müssen diese allerdings mit übergeben werden.
Erfolgt wie im Beispielsfall die Veräußerung des (künftigen) Dividendenanspruchs durch einen Steuerausländer, muss für eine deutsche Besteuerung jedoch auch ein Tatbestand der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG gegeben sein. Das ist nicht der Fall. Der entsprechende Verweis auf § 20 Abs. 2 EStG in § 49 EStG wurde mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 gestrichen. Auch das aktuelle BMF-Schreiben bestätigt ausdrücklich, dass keine beschränkte Steuerpflicht bei der Veräußerung eines Dividendenanspruchs begründet wird. Mangels beschränkter Steuerpflicht kann von dem Veräußerungserlös auch keine KapESt einbehalten werden.
Besteuerung der Dividende
Sobald dann tatsächlich die Dividende beschlossen und ausgezahlt wird, stellt sich die Frage nach weiteren Steuerfolgen.
Das EStG regelt hierfür aber, dass die Besteuerung des Veräußerungserlöses für die Übertragung des künftigen Dividendenanspruchs (s. o.) „an die Stelle der Besteuerung“ der Dividende tritt (Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a Satz 2 EStG). Damit versperrt der Tatbestand der Veräußerungserlösbesteuerung eine Besteuerung des Dividendenbezugs. Somit ist, da keine zu besteuernde Dividendenzahlung vorliegt, auch keine KapESt bei Auszahlung der Dividende einzubehalten.
Die Sperrwirkung könnte auch dann gelten, wenn der Veräußerungserlös im Ergebnis gar nicht besteuert wird, weil etwa – wie im Beispielsfall – keine beschränkte Steuerpflicht gegeben ist oder aber weil die öffentliche Hand als Veräußerer auftritt (für diese Konstellation: BFH-Urteil vom 2. 3. 2010 – I R 44/09). Der Wortlaut des Gesetzes ist offen formuliert.
Damit käme es im Ergebnis weder zur Besteuerung des Veräußerungserlöses noch zur Besteuerung der tatsächlichen Dividende, auch nicht im Wege des KapESt-Abzugs.
Sichtweise der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung sieht dies im aktuellen BMF-Schreiben anders. Sie legt dafür die Norm, welche die Sperrwirkung regelt (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a Satz 2 EStG), so aus, dass die Dividendenbesteuerung doch wieder auflebt, wenn es tatsächlich nicht zu einer Besteuerung des Veräußerungserlöses gekommen ist. Im Beispielsfall unterläge also die spätere Dividendenzahlung der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG) und einem KapESt-Abzug (soweit ein etwaiges DBA oder die Mutter-Tochter-Richtlinie dies zulassen).
Selbst wenn die Auffassung der Finanzverwaltung möglicherweise noch vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt sein könnte, widerspricht sie doch dem Sinn und Zweck und ihrer Systematik:
Der Gesetzgeber hatte bei Etablierung der Sperrwirkung im Jahr 1993 keine umfassende „subject to tax“-Klausel beabsichtigt. Damals dürfte es dem Gesetzgeber darum gegangen sein, die Doppelbesteuerung sowohl des Veräußerungserlöses als auch der Dividende beim Anteilseigner zu verhindern (vgl. auch BT-Drucks. 12/5016 S. 87). Es existieren keine Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber damit eine „Keinmalbesteuerung“ verhindern wollte. Vielmehr liegt es nahe, dass die Vorschrift nur die „virtuelle Doppelbesteuerung“ des Anteilseigners vermeiden soll, sobald der Dividendenanspruch veräußert wurde und die Dividende damit nicht mehr dem Anteilseigner zusteht. Andernfalls würde es zu einer nicht gerechtfertigten wirtschaftlichen Doppelbelastung kommen, wenn bspw. der Anteilseigner im Jahr der Veräußerung eines Dividendenanspruchs sonstige Verluste aus Kapitalvermögen erzielt und die tatsächliche Dividende aber erst im nächsten Veranlagungsjahr beschlossen wird und fließt. Dann käme es wegen der Verlustverrechnung nicht zu einer „tatsächlichen Besteuerung“ des Veräußerungserlöses, sodass nach Sicht der Finanzverwaltung die Besteuerung der Dividende aufleben würde.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber 2008 die Besteuerung der Veräußerungserlöse von (künftigen) Dividendenansprüchen aus dem Katalog der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte gestrichen hat. Dies kann nicht „durch die Hintertür“ mittels Auslegung von § 20 EStG korrigiert werden.
5. Fazit
Eine weitere Baustelle in Zusammenhang mit Dividenden und KapESt scheint eröffnet. Jedenfalls wird sich voraussichtlich erst gerichtlich klären, ob der Gesetzgeber (bewusst oder unbewusst) eine gesetzliche Systematik geschaffen hat, die sowohl die Veräußerung eines künftigen Dividendenanspruchs als auch den nachfolgenden Bezug der Dividende durch Steuerausländer ohne KapESt-Abzug zulässt.