Erneutes Rütteln am Soli

Das Niedersächsische FG lässt nicht locker. Es hält den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig und hat deshalb  am 21. 8. 2013 beschlossen, das Klageverfahren mit dem Az. 7 K 143/08 auszusetzen und das Solidaritätszuschlagsgesetz (SolZG) dem BVerfG zur Prüfung und Entscheidung vorzulegen. Das ist auf den ersten Blick nichts Besonderes, zumal es auch im Schrifttum Stimmen gibt, die den „Soli“ für verfassungswidrig halten. Besondere Brisanz enthält dieser Beschluss aber dadurch, dass dasselbe Klageverfahren (mit dem identischen Aktenzeichen) bereits schon einmal ausgesetzt wurde, das BVerfG aber die Richtervorlage als unzulässig verworfen hat (BVerfG-Beschluss vom 8. 9. 2010 – 2 BvL 3/10, DB 2010 S. 2146). Zwei Richtervorlagen in ein und derselben Sache, geht das?

Keine Sachentscheidung des BVerfG

Die Antwort ist – wie so häufig bei juristischen Fragen: Es kommt darauf an. Das BVerfG hat durch eine Kammerentscheidung die Unzulässigkeit der ersten Vorlage festgestellt. Kammern sind eine Art Vorprüfungsausschüsse der beiden Senate, die bestehend aus drei Verfassungsrichtern bei Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen dem Senatsverfahren vorgeschaltet sind. Die zuständige Kammer kann durch einstimmigen Beschluss aber nur die Unzulässigkeit von Richtervorlagen feststellen und auch nur dann, wenn es sich nicht um Vorlagen der obersten Gerichtshöfe des Bundes (z. B. BFH) handelt  (§ 81a BVerfGG). Dies ist in dem genannten Verfahren geschehen. Die Kammer hat wegen der Verwerfung als „unzulässig“  formal keine Entscheidung darüber getroffen, ob die Richtervorlage in der Sache „begründet“ war,  sie hat aber doch klar erkennen lassen, dass sie das vorgelegte Gesetz nicht für verfassungswidrig hält. Dennoch hat die Meinung der Kammer zur Sache selbst keinerlei Verbindlichkeit. Das FG kann im „zweiten Anlauf“ versuchen, die Vorlage „zulässig“ zu machen, um eine Sachentscheidung des BVerfG zu erreichen.

Verfahrensrechtlich gesehen konnte das FG also tatsächlich nachbessern, auch wenn man sich fragt, warum es die neuen Argumente nicht schon in der ersten Vorlage vorgetragen hat. Aber wie dem auch sei, an der Zulässigkeitshürde dürfte die erneute Vorlage nicht scheitern.

Erfolgsaussichten der erneuten Vorlage

Die eigentlich spannende Frage ist, ob die erneute Vorlage Erfolgsaussichten hat. Diese Frage lässt sich schwer beantworten, u. a. auch deshalb, weil der erneute Vorlagebeschluss des FG noch nicht veröffentlicht ist. Das Gericht hat bislang nur eine Pressemitteilung herausgegeben. Nach den danach vorliegenden Informationen stützt sich die Argumentation nunmehr nicht auf die fehlende (bzw. wegen Zeitablaufs nicht mehr vorhandene Gesetzgebungskompetenz), sondern auf einen Gleichheitssatzverstoß. Da es nämlich aufgrund der verschiedenen Anrechnungsvorschriften  (z. B. Anrechnung der GewSt auf die ESt-Schuld nach § 35 GewStG) bei gleichgelagerten Sachverhalten zu unterschiedlichen ESt-Festsetzungen kommen kann und der Solidaritätszuschlag an die festgesetzte ESt anknüpft (§ 3 SolZG), entspricht der „Soli“ in solchen Fällen nicht dem Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit. Dieses besagt nach ständiger Rspr. des BVerfG, dass  „Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern“ sind (BVerfGE 126 S. 278). Sind zwei Stpfl. gleich leistungsfähig i. S. des ESt-Rechts, mindert sich aber die ESt des einen durch Abzugsbeträge, die nichts mit Leistungsfähigkeitsminderungen zu tun haben (z. B. Anrechnung der GewSt oder ausländischer ESt) so wirkt sich diese Minderung auf die Höhe des „Soli“ aus, er wird niedriger, obwohl die Leistungsfähigkeit des Stpfl. gar nicht abgesunken ist. Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund für diesen „Systemfehler“ ist in der Tat nicht ersichtlich. Insoweit wird man dem vorlegenden Gericht Recht geben müssen.

Kommen die alten Argumente gegen den Soli wieder auf den Tisch?

Sollte die erneute Vorlage die Zulässigkeitshürde überspringen, wovon wohl auszugehen ist, so wird eine interessante Frage sein, ob der nunmehr zuständige Senat des BVerfG die durchaus nicht von der Hand zu weisenden Argumente des FG in der ersten Vorlage vom 25. 11. 2009 (dazu Birk, Steuerboard DB0611482) erneut prüfen und würdigen wird. Damals hatte das Gericht vertreten, dass der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe allein zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt erhoben werden dürfe und nicht als dauerhaftes Finanzierungsinstrument zur Verfügung stehe. Das BVerfG sah diese Begründung als unzureichend an (deshalb die Zurückweisung als unzulässig), da es bereits entschieden habe, dass der Soli weder zeitlich befristet noch nur für einen kurzen Zeitpunkt erhoben werden dürfe. Zur Frage Stellung zu nehmen, ob der Soli tatsächlich dauerhaft, also unbegrenzt erhoben werden darf, sah das BVerfG angesichts der restriktiven Auffassung des FG im ersten Beschluss keinen Anlass. Das könnte (und müsste) sich jetzt ändern. Denn nach mehr als 20 Jahren der Erhebung des Solidaritätszuschlags besteht Grund zur Annahme, dass der Bund auf diese Finanzierungsquelle nicht mehr verzichten will, auch wenn der eigentliche Grund entfallen ist. Das kann aber nicht Sinn und Zweck einer Ergänzungsabgabe sein und entspricht auch nicht dem grundgesetzlichen System der Ertragsverteilung. Das BVerfG täte somit gut daran, diese Frage nunmehr in der erneuten Vorlage mit zu klären, bevor sich der Soli als eine zweite ergänzende Bundes-ESt neben der ESt, die zwischen Bund Ländern und Gemeinden aufgeteilt wird, dauerhaft etabliert hat.

 

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