Die „Abschaffung“ der vinkulierten Minderheitsbeteiligung im Steuerrecht

RA/StB Dr. Barbara Koch-Schulte, P+P Pöllath + Partners

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Bestimmte BFH-Entscheidungen entfalten ihre Bedeutung nicht schon bei Veröffentlichung, sondern erst mit ihrer Handhabung durch die Finanzverwaltung. So geschehen mit der Entscheidung des BFH vom 30. 6. 2011 (VI R 37/09, BStBl. II 2011 S. 923 = DB 2011 S. 2127), die den Zufluss eines geldwerten Vorteils bei Ausübung von Mitarbeiteraktienoptionen zum Gegenstand hat. Diese Entscheidung hat zwar durchaus ein Echo in der Literatur gehabt, die Bedeutung dieser Entscheidung aus Sicht der Finanzverwaltung kommt in den Besprechungen jedoch nur andeutungsweise zur Geltung. Denn nach der in der Praxis teilweise von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung, vermitteln vinkulierte Kapitalanteile kein wirtschaftliches Eigentum mehr, was faktisch zu einer Abschaffung von vinkulierten Minderheitsbeteiligungen im Steuerrecht führen würde. Damit könnten z.B. Dividenden aus vinkulierten Kapitalanteilen steuerlich nur noch Mehrheitsgesellschaftern zugerechnet werden, oder, wenn kein Mehrheitsgesellschafter vorhanden ist, könnten Dividenden nicht mehr zugerechnet werden. Vinkulierte Minderheitsbeteiligungen könnten kein Betriebsvermögen sein und Veräußerungsgewinne gemäß § 17 EStG bei solchen Beteiligungen nicht mehr entstehen.

Kein Zufluss bei „Erwerb“ vinkulierter Mitarbeiterkapitalanteile

Für eine detaillierte Beschreibung des Sachverhalts der betreffenden Entscheidung sei hier auf die Urteilsbesprechung von Portner (Steuerblog 7. 11. 2011) verwiesen. Zusammenfassend nur Folgendes: In der genannten Entscheidung führte der VI. Senat aus, dass eine schuldrechtlich vereinbarte Sperr- oder Haltefrist für die zu erwerbenden Aktien dem Zufluss eines geldwerten Vorteils bei der Ausübung von Mitarbeiteroptionen grundsätzlich nicht entgegensteht. Etwas anderes müsse aber gelten, wenn eine Verfügung über die Aktien rechtlich unmöglich sei, wie dies z.B. bei einer Vinkulierung gem. §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG der Fall sei. Denn dann wäre eine Verfügung über die Aktien ohne Zustimmung oder Genehmigung der Gesellschaft zivilrechtlich absolut unwirksam. Dies müsse auch berücksichtigt werden, wenn die Erlangung wirtschaftlicher Verfügungsmacht im Rahmen des Zuflusses geprüft würde. Dem Thüringer FG als erster Instanz wurde aufgegeben, den Sachverhalt für die streitgegenständlichen, unter US-Recht zu erwerbenden „Restricted Shares“ insofern noch einmal zu prüfen.

Mit dieser Entscheidung des BFH weicht der VI. Senat von der bis dahin geltenden Rechtsprechung des BFH zur Frage des Zuflusses bei Vinkulierung ab (z. B. BFH vom 16.11.1984 – VI R 39/80, BStBl. II 1985 S. 136 = DB 1985 S. 469). Vinkulierungen gibt es aber nicht nur im Aktienrecht. § 15 Abs. 5 GmbHG lässt eine Vinkulierung auch für GmbH Geschäftsanteile ausdrücklich zu. Hier ist sie wegen der personalistischen Struktur der GmbH sogar noch häufiger. Die Vinkulierung muss in der Satzung wirksam beschlossen sein, um die Verfügung durch den Gesellschafter absolut zu verhindern. Ist sie nur schuldrechtlich in einer Gesellschaftervereinbarung geregelt, handelt es sich lediglich um eine schuldrechtliche Veräußerungssperre, welche eine Veräußerung nicht absolut unmöglich macht, und daher nach Meinung des BFH den Zufluss nicht hindert.

Auswirkungen auf die Interpretation des wirtschaftlichen Eigentums?

Einige Vertreter der Finanzverwaltung ziehen aus der Entscheidung des BFH Rückschlüsse für den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums gemäß § 39 Abs. 2 AO von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen. Sie sind der Auffassung, dass ohne die für den Zufluss gemäß § 11 Abs. 1 EStG erforderliche wirtschaftliche Verfügungsmacht auch kein wirtschaftliches Eigentum i. S. des § 39 Abs. 2 AO vorliegen kann. Dies soll unabhängig davon gelten, ob dem Arbeitnehmer bereits das Stimmrecht aus den Aktien zusteht oder sie zu Dividendenausschüttungen berechtigt sind. Überträgt man nun die Rechtsprechung des BFH generell auf die Interpretation des wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 AO, so kommt man zu dem Ergebnis, dass Minderheitsbeteiligungen an vinkulierten Aktien oder GmbH-Geschäftsanteilen steuerlich nicht mehr anerkannt werden können. Denn in keinem Fall kann der Minderheitsgesellschafter ohne Zustimmung der Gesellschaft rechtswirksam über seine Beteiligung verfügen. Mithin kann er nach Auffassung der Finanzverwaltung auch nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile sein.

Nach bisher ständiger Rechtsprechung (z. B. BFH vom 11. 7. 2006 – VIII R 32/04, BStBl. II 2007 S. 296 = DB 2006 S. 2665) setzt der Erwerb wirtschaftlichen Eigentums voraus, dass

(1) der Erwerber aufgrund eines bürgerlich-rechtlichen Rechtsgeschäftes eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann,

(2) dem Erwerber alle wesentlichen, mit dem Anteil verbundenen Rechte (insbesondere Stimm- und Gewinnbezugsrechte) zustehen, und

(3) das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung bereits auf den Erwerber übergegangen sind.

Die Entscheidung des VI. Senats kann, wenn sie denn Relevanz für die Definition des wirtschaftlichen Eigentums haben soll, nur bei der Sachverhaltsprüfung zu Punkt (3) eine Rolle spielen, denn nur in diesem Punkt geht es letztlich um die Realisierung eines Gewinnes oder Verlustes aus einer Veräußerung. Wenn man diesem Ansatz folgen würde, dann dürfte es nunmehr nicht mehr nur darauf ankommen, dass den wirtschaftlichen Eigentümer Wertchancen und -risiken treffen. Er müsste dann vielmehr auch in der Lage sein, die Realisationsentscheidung selbst, ohne Mitwirkung anderer, rechtlich wirksam treffen zu können. Eine jederzeit mögliche, zivilrechtlich wirksame Verfügungsmöglichkeit wäre damit Tatbestandsvoraussetzung des wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 AO.

Argumente gegen die Praxis der Finanzverwaltung

Dass eine solche Interpretation nicht gewollt sein kann, ergibt sich unmittelbar bereits aus dem Grundsatz des § 41 AO, der für die Besteuerung maßgeblich auf das abstellt, was die Beteiligten wirtschaftlich gewollt und durchgeführt haben, auch wenn ein Rechtsgeschäft zivilrechtlich unwirksam ist. Insofern erscheint es seltsam, wenn man für den Nachweis wirtschaftlichen Eigentums zunächst nachweisen müsste, dass man sein Eigentum auch wirksam veräußern oder anderweitig darüber verfügen kann.

Auch die Rechtsprechung in Bezug auf formunwirksame Rechtsgeschäfte zeigt, dass die BFH-Entscheidung vom 30. 6. 2011 eine solche, von der Finanzverwaltung intendierte Bedeutung nicht haben kann. So sind formunwirksam geschlossene und damit absolut unwirksame Treuhandverträge oder Kaufverträge über GmbH-Geschäftsanteile oder Grundstücke steuerlich anerkannt worden, wenn sie tatsächlich durchgeführt wurden (z.B. BFH vom 17. 2. 2004 – VIII R 26/01, BStBl. II 2004 S. 6519 = DB 2004 S. 1243). Wenn es für den Erwerb wirtschaftlichen Eigentums wirklich darauf ankommt, ob der Stpfl. in der Lage ist, rechtlich wirksam über seine Beteiligung zu verfügen, dann müsste er auch nachweisen, dass er dies immer formwirksam tut. Denn es ist ja grundsätzlich auch bei vinkulierten Aktien und Geschäftsanteilen nicht ausgeschlossen, dass der Gesellschafter die Zustimmung der Gesellschaft zur Verfügung erhält.

Dieses „Ergebnis“ kann nicht richtig sein. Aber wo liegt der Fehler? Es stellt sich die Frage, ob die Gleichsetzung von Zufluss und Erwerb wirtschaftlichen Eigentums eigentlich richtig ist. Denn der VI. Senat nimmt in seiner Entscheidung nicht ein einziges Mal Bezug auf den Erwerb wirtschaftlichen Eigentums. Das ist seltsam, da der BFH in anderen Entscheidungen aus dem Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums durchaus auf den Zufluss eines Wirtschaftsgutes geschlossen hat (z. B. BFH vom 17.11.2011 – IV R 2/09, BFH/NV 2012 S. 490). Logisch wäre eine Differenzierung der Begriffe nicht, aber es ist nicht auszuschließen, dass dem VI. Senat die Relevanz seiner Entscheidung für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht bewusst war.

Allerdings ist die Prüfung des Zuflusses von Einnahmen der Bestimmung der Einkunftsart und damit der Feststellung des wirtschaftlichen Eigentums systematisch nachgelagert. Vorrangig ist bei der Prüfung eines steuerlichen Sachverhalts der Veranlassungszusammenhang und damit auch die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums zu klären. So regelt § 20 Abs. 5 Satz 2 EStG ausdrücklich, dass derjenige Steuerpflichtige Dividendeneinkünfte erzielt, dem die Anteile im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses gemäß § 39 AO zuzurechnen sind.

Fazit

Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass die Entscheidung des VI. Senats nur eine Einzelfallentscheidung sein kann, die keinesfalls verallgemeinert werden darf oder bei der Interpretation des wirtschaftlichen Eigentums eine Rolle spielen sollte. Letztlich muss es ja auch für den Fiskus vor allem darauf ankommen, wo sich das wirtschaftliche Resultat eines Übertragungsvorgangs findet und nicht, ob es dort auch zivilrechtlich wirksam eingetreten ist. Alles andere widerspricht der vor allem für das Ertragssteuerrecht maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise und führt zu seltsamen Ergebnissen.

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