Mit Einführung der sogenannten „Abgeltungsteuer“ ab dem Veranlagungszeitraum 2009 wurde die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen völlig neu geregelt. Die Berechnung, Einbehaltung und Abführung der pauschalen KapESt durch die Kreditinstitute soll abgeltende Wirkung haben. Einkünfte aus Kapitalvermögen sollen im Regelfall nicht mehr der Teil der Veranlagung sein.
Neuerungen gab es in diesem Zusammenhang auch bei Einkünften aus der Veräußerung von Wertpapieren. Diese unterliegen seit 2009 unabhängig von der Haltedauer stets der Besteuerung. Ausgenommen sind vom Grundsatz her alle „Altbestände“, also Wertpapiere, die vor dem 31. 12. 2008 erworben wurden. Ausnahmen hiervon betreffen vor allem die sogenannten Finanzinnovationen (wie z.B. Garantiezertifikate oder auch Zerobonds). Diese unterlagen bereits vor Einführung der Abgeltungsteuer bei Verkauf, Einlösung oder Endfälligkeit der Besteuerung nach § 20 EStG a. F.
So der in der Theorie einfache Grundsatz. In der Praxis ist aber die Entscheidung, welche steuerlichen Konsequenzen bei dem jeweiligen Wertpapier zu ziehen sind, nicht immer eindeutig. So herrscht z. B. Uneinigkeit, ob bestimmte Wertpapiere unter die Bestandsschutzregeln für Altbestände fallen oder nicht. Aktuelles Beispiel ist die steuerliche Behandlung von obligationsähnlichen Genussrechten. Diese zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass mit ihnen keine Beteiligung am Liquidationserlös einer Gesellschaft verbunden ist. BFH und BMF hatten kürzlich Gelegenheit, ihre jeweilige Auffassung zur Besteuerung dieser Wertpapiere darzulegen.
Veräußerung von obligationsähnlichen Genussrechten: Urteile des Hessischen FG und des BFH
Auslöser war folgender Fall: Der Kläger hielt in einem Depot obligationsähnliche Genussrechte der Y-AG. Konkret beinhalteten die Wertpapiere einen gegenüber Aktionären vorrangigen Anspruch auf Gewinnausschüttungen (vorbehaltlich eines ausreichenden Konzernjahresüberschusses 15% des Grundbetrags von 10 € je Genussrecht), aber keine Teilnahme-/ Mitwirkungs-/ Stimmrechte und auch keine Beteiligung am Liquidationserlös. Der Erwerb war weit vor dem 31. 12. 2008 erfolgt, sodass die Wertpapiere grds. zum sogenannten Altbestand gehörten. In 2010 konnten die Genussrechtsinhaber nach Aufforderung durch die Y-AG die Genussrechte zu einem Kurs von 180% an die Y-AG verkaufen. Von dieser Möglichkeit machte der Kläger Gebrauch. Das verwahrende Kreditinstitut behielt auf den Veräußerungsgewinn KapESt und Solidaritätszuschlag ein und führte die Beträge auf Basis der KapESt-Anmeldung an das FA ab. Hiergegen richteten sich zunächst erfolglos der Einspruch, die Klage beim FG und schließlich die Revision beim BFH.
Unstreitig ist zwischen allen Beteiligten, dass die laufenden Einnahmen aus obligationsähnlichen Genussrechten unter den Auffangtatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen. Dies gilt sowohl für Altbestands-Genussrechte als auch für solche, die seit dem 1. 1. 2009 erworben wurden. Ebenfalls unproblematisch ist der Verkauf von „Neubestands-Genussrechten“ (also solchen, die ein Anleger nach dem 1. 1. 2009 gekauft hat), hier greift unzweifelhaft § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG. Im beschriebenen Fall lag aber ein Altbestand vor. Gemäß den Übergangsregeln in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG könnten diese Wertpapiere steuerfrei veräußert werden, soweit keine Rückausnahme vorliegt. So auch die Auffassung des BFH (Urteil vom 12. 12. 2012 – I R 27/12, DB 2013 S. 1877), der das Hessische FG (Urteil vom 16. 2. 2012 – 4 K 639/11, DB0470757) bestätigt, dem Steuerpflichtigen und seiner Klage somit Recht gibt. In der Folge sei der KapESt-Abzug durch das Kreditinstitut herabzusetzen.
Der BFH (wie vorher schon das Hessische FG) widerspricht der im Schreiben des BMF vom 22. 12. 2009 (IV C 1 – S 2252/08/10004 [2009/0860687], DB0344340; später ergänzt durch BMF-Schreiben vom 9. 10. 2012 – IV C 1 – S 2252/10/10013 [2011/0948384], DB0526781) geäußerten Auffassung. In Rdn. 319 dieses Schreibens vertritt die Finanzverwaltung die Ansicht, dass auch obligationsähnliche Genussrechte unter die Rückausnahmen fallen und somit auch Altbestände unabhängig von der Haltedauer der Besteuerung unterliegen. Diese Ansicht teilt auch das FinMin. Schleswig-Holstein in einer Kurzinformation vom 7. 6. 2010 betr. steuerrechtliche Beurteilung des Rückkaufs von Bertelsmann-Genussscheinen. Dem folgen die Gerichte nicht. Gemäß BFH greift die Rückausnahme und somit die Steuerpflicht bei Altbeständen nur, wenn es sich um „Finanzinnovationen“ handelt, die auch nach altem Recht unabhängig von der Haltedauer bei Verkauf der Besteuerung unterlagen. Obligationsähnliche Genussrechte werden aber nicht den Finanzinnovationen zugerechnet, sodass nach Ansicht des BFH bestandsgeschützter Altbestand vorliegt.
Reaktion der Finanzverwaltung
Das BFH-Urteil wird erst jetzt veröffentlicht – gleichzeitig mit einem Schreiben des BMF vom 12. 9. 2013 (IV C 1 – S 2252/07/0002 :010 [2013/0845629]), das nun doch die Rspr. umsetzt und den Bestandsschutz für obligationsähnliche Genussrechte anerkennt. Das BMF passt Rdn. 319 in seinem Schreiben vom 9. 10. 2012 an. Interessant ist, dass die Finanzverwaltung bereits im Schreiben vom 11. 10. 2007 bzgl. der Behandlung von obligationsähnlichen Genussrechten feststellte, dass nach altem Recht die Regeln über Finanzinnovationen ausdrücklich ausgeschlossen sind und nach neuem Recht ein Veräußerungsgewinn zum Abgeltungsteuersatz nur bei Erwerb nach dem 31. 12. 2008 erfolgt. Das BMF hält ergänzend fest, dass Kreditinstute in allen Fällen verpflichtet sind, der Auffassung der Finanzverwaltung zu folgen und KapESt nach den Vorgaben der Finanzverwaltung einzubehalten und abzuführen.