Beenden Maßnahmen des Insolvenzgerichts bei der Organgesellschaft automatisch die umsatzsteuerliche Organschaft?

RA Gerald Herrmann, Associate bei P+P Pöllath + Partners, München

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Die umsatzsteuerliche Organschaft setzt voraus, dass die Organgesellschaft nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in das Unternehmen der Organmutter eingegliedert ist. Die Organschaft beginnt automatisch zu dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen für die Organschaft erfüllt sind und endet automatisch sobald die Voraussetzungen für die Organschaft nicht mehr erfüllt sind. Werden daher bei der Organgesellschaft Maßnahmen des Insolvenzgerichts angeordnet, so stellt sich für die Steuerpflichtigen regelmäßig die Frage, ob die Voraussetzungen der Organschaft weiterhin vorliegen und wie daher in den Umsatzsteuervoranmeldungen verfahren werden soll.

Der BFH hat für den Fall einer Bestellung eines sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt bei der Organgesellschaft zuletzt die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft angenommen (Urteil vom 8. 8. 2013 – V R 18/13, DB 2013 S. 2065). Führt dieses Urteil dazu, dass nunmehr bei sämtlichen Maßnahmen des Insolvenzgerichts die umsatzsteuerliche Organschaft automatisch endet?

Die Frage der Auswirkung der Maßnahmen des Insolvenzgerichts spielt sich regelmäßig nur im Bereich der organisatorischen Eingliederung ab. D. h. es stellt sich die Frage, ob durch die Maßnahmen des Insolvenzgerichts weiterhin der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen kann. Dies wird regelmäßig durch die personelle Verflechtung der Geschäftsführung von Organgesellschaft und Organträger im Sinne einer (teilweisen oder vollständigen) Personenidentität erreicht. Durch die Maßnahmen des Insolvenzgerichts können jedoch die Befugnisse der Geschäftsführungsorgane von Organgesellschaft und/oder Organträger derart eingeschränkt werden, dass – trotz Personenidentität – der Wille des Organträgers nicht bei der Organgesellschaft durchgesetzt werden kann.

Urteil zum sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter

In seinem Urteil vom 8. 8. 2013 hat der BFH die Rechtslage zum sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter neu entschieden. Die Besonderheit der Entscheidung liegt darin, dass die Definition der „organisatorischen Eingliederung“ abweichend von bisherigen Rechtsprechung präzisiert wird. Demnach ist es nicht (mehr) ausreichend, dass der Organträger bei der Organgesellschaft lediglich eine von seinem Willen abweichende Willensbildung i. S. eines (passiven) „Vetorechts“ ausschließen kann (so z. B. noch die Definition im Urteil V R 32/98, BStBl. II 1999 S. 258 = DB 1999 S. 727). Vielmehr muss für die organisatorische Eingliederung die (aktive) Möglichkeit zur Willensdurchsetzung bei dem Organträger verbleiben.

Nach Ansicht des BFH im Urteil vom 8. 8. 2013 – in Abweichung von seiner bisherigen Rspr. (z. B. BFH vom 22. 10. 2009 –  V R 14/08, BStBl. II 2011 S. 988 = DB 2010 S. 373) – ist letzteres auch im Falle einer Bestellung eines sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bei der Organgesellschaft nicht mehr erfüllt, da der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen der Organgesellschaft verhindern kann.

Im Ergebnis hat daher nunmehr die Bestellung eines sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters dieselben umsatzsteuerlichen Rechtsfolgen wie die Bestellung eines sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters.

Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter Bestellung eines Sachverwalters

Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Entscheidung des BFH auch auf Fälle des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung unter Bestellung eines Sachverwalters bei der Organgesellschaft übertragbar ist und damit jegliche Maßnahmen des Insolvenzgerichts bei der Organgesellschaft zu einer automatischen Beendigung der „organisatorischen Eingliederung“ und damit der umsatzsteuerlichen Organschaft führen.

Nach einer Verfügung der OFD Hannover vom 19. 5. 1999 (S 7105 – 101 – StH 542; S 7105 – 49 – StO 355) führt das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter Bestellung eines Sachverwalters bei der Organgesellschaft grundsätzlich nicht zu einer Beendigung der organisatorischen Eingliederung. Es sei denn, der Sachverwalter der Organgesellschaft erhält derart weitreichende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse eingeräumt, dass eine vom Willen der Organträgerin abweichende Willensbildung möglich ist.

Ein solcher Fall liegt nach Auffassung der OFD Hannover insbesondere vor, wenn

  • der Sachwalter die Kassenführungsbefugnis gem. § 275 Abs. 2 InsO an sich zieht,
  • es der Organgesellschaft verboten ist, ohne Zustimmung des Sachwalters Verbindlichkeiten einzugehen (vgl. § 275 Abs. 1 InsO) und
  • auch die übrigen Rechtsgeschäfte der Organgesellschaft auf Anordnung des Insolvenzgerichts weitgehend der Zustimmung des Sachwalters bedürfen (vgl. § 277 Abs. 1 InsO).

Die Entscheidung des BFH vom 8. 8. 2013 könnte grundsätzlich dazu führen, dass die Situation bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter Bestellung eines Sachwalters nunmehr abweichend von der Verfügung der OFD Hannover zu beurteilen ist.

Allerdings übernimmt der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter – im Gegensatz zum Sachverwalter – gerade die Kassenführungsbefugnis. Außerdem ist die Gesellschaft bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter (mit Zustimmungsvorbehalt) auch rechtlich nicht in der Lage ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters Verbindlichkeiten einzugehen und auch die übrigen Rechtsgeschäfte bedürfen der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt. Daher lagen im durch den BFH entschiedenen Fall die Ausnahmevoraussetzungen der Verfügung der OFD Hannover gerade vor. D. h. umgekehrt, dass bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter Bestellung eines Sachverwalters ohne entsprechende Ausnahmekompetenzen auch weiterhin eine (aktive) Durchsetzung des Willens des Organträgers bei der Organgesellschaft i. S. der Rspr. des BFH möglich bleibt. Die Einwirkungsmöglichkeiten beschränken sich daher nicht bloß auf ein (passives) „Vetorecht“ des Organträgers.

Dies spricht dafür, dass im Falle eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung unter Bestellung eines Sachverwalters bei der Organgesellschaft die organisatorische Eingliederung weiterhin bestehen bleibt. Dies gilt jedoch nur solange keine weiteren Maßnahmen i. S. der Verfügung der OFD Hannover vom Insolvenzgericht angeordnet werden bzw. der jeweilige Sachverwalter keine entsprechenden Kompetenzen an sich zieht. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Ansicht auch von der Rspr. geteilt wird. 

Zusammenfassung

Das Urteil des BFH vom 8. 8. 2013 stellt neue Grundsätze im Hinblick auf die Definition des „organisatorischen Eingliederung“ auf. Demnach fordert die organisatorische Eingliederung die (aktive) Möglichkeit zur Durchsetzung des Willens des Organträgers bei der Organgesellschaft. Anhand dieses Maßstabes werden alle Maßnahmen des Insolvenzgerichts zu messen sein. Daher wird die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenzfällen nicht automatisch anzunehmen sein, sondern weiterhin eine Frage des jeweiligen konkreten Einzelfalles und insbesondere der insolvenzgerichtlich angeordneten Maßnahmen bleiben. Jedoch werden durch das BFH-Urteil die Fälle, in denen die umsatzsteuerliche Organschaft in Insolvenzfällen weiter bestehen kann, unzweifelhaft stark eingeschränkt.

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