Subjektiver Fehlerbegriff und Alt-Betriebsprüfungsfälle

RA/StB Dipl.-Kfm. Markus Schulz, Senior Manager bei KPMG, Köln

RA/StB Dipl.-Kfm. Markus Schulz, Senior Manager bei KPMG, Köln

Mit dem Beschluss vom 31.1.2013 hat der Große Senat des BFH den subjektiven Fehlerbegriff hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen aufgegeben. In der Praxis stellt sich nunmehr die Frage, ob es zu einer Änderung der Bilanzansätze zum Nachteil des Steuerpflichtigen bei erstmaliger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommen kann. 

Problem

Der Steuerpflichtige wählte in der Vergangenheit einen Bilanzansatz, der – gemessen am Maßstab eines objektiven Kaufmanns – richtig war, weil eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage zum Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz nicht existierte. Im Laufe der später stattfindenden Betriebsprüfung ergeht nach der Veröffentlichung der Entscheidung des Großen Senats (GrS) des BFH vom 31.1.2013 (GrS 1/10, BStBl. II 2013 S. 317 = DB0585433; veröffentlicht am 27.3.2013) erstmals ein Urteil des BFH, aufgrund dessen sich der vormals vom Steuerpflichtigen gewählte Bilanzansatz als objektiv „falsch“ herausstellt. Die Betriebsprüfung (und dieser folgend auch das Veranlagungsfinanzamt) sieht sich daher auf Basis Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 31.1.2013 an den früheren Bilanzansatz nicht mehr gebunden und beabsichtigt, diesen zuungunsten des Steuerpflichtigen zu ändern. In Anlehnung an Schiller wird der Steuerpflichtige sich (zu Recht) fragen: „Was tun spricht Zeus?“

Hintergrund

Für die Beurteilung der Frage, ob eine beim Finanzamt eingereichte Bilanz fehlerhaft ist, galt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des GrS des BFH vom 31.1.2013 bekanntlich ein subjektiver Maßstab. Danach war der Ansatz in der Bilanz nur fehlerhaft, wenn der Steuerpflichtige den objektiven Verstoß gegen das Recht zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung erkennen konnte. War die Rechtslage zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung mangels existierender höchstrichterlicher Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Rechtsfrage ungeklärt, konnte der Steuerpflichtige auf Basis der Rechtsprechung des BFH jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als „richtig“ ansetzen. Das Finanzamt war an diesen Ansatz gebunden, auch wenn der BFH die Rechtsfrage später gegenteilig entschied. Eine Änderungsmöglichkeit dieses subjektiv richtigen Bilanzansatzes bestand für das Finanzamt daher nicht.

Diesem subjektiven Fehlerbegriff ist der Große Senat des BFH in der o.g. Entscheidung entgegengetreten, soweit es um die „rechtliche“ Beurteilung von Bilanzansätzen geht. Danach soll den vom Steuerpflichtigen vertretenen Rechtsansichten auch dann keine Bedeutung zukommen, wenn sie bei Aufstellung der Bilanz vertretbar waren oder der damals herrschenden Auffassung entsprachen. Denn die Besteuerung, so der GrS, habe materiell-rechtlich ohne Rücksicht auf Vertretbarkeit von Rechtsansichten oder Verschulden des Steuerpflichtigen nach dem tatsächlich verwirklichten Sachverhalt zu erfolgen. Das Finanzamt sei daher verpflichtet, die Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen ausschließlich auf der Grundlage des am Bilanzstichtag objektiv geltenden Rechts, d.h. der im Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung maßgebenden objektiv zutreffenden Rechtslage zu prüfen und ggf. zu korrigieren. Rechtsansichten des Steuerpflichtigen sollen unbeachtlich bleiben.

Lösungsansatz

Der Steuerpflichtige braucht eine Änderung im Rahmen von laufenden Betriebsprüfungen keineswegs fürchten, jedenfalls soweit der entsprechende Erstbescheid bis zum 26.3.2013 – dem Tag vor der Veröffentlichung des Beschlusses des GrS – ergangen ist. Denn insoweit dürfte er sich in wohl zutreffender Weise auf den Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO berufen können (im Einzelnen auch Rödder/Hageböcke, Ubg 2014 S. 13 ff.). Danach darf die Finanzverwaltung bei Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigen, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshof des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Das dürfte aber im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BFH (vor dem Beschluss des GrS) zum subjektiven Fehlerbegriff zur Frage der Bilanzierung bei zunächst fehlender höchstrichterlicher Rechtsprechung der Fall gewesen sein. Denn soweit ersichtlich hat die Finanzverwaltung die entsprechenden Entscheidungen des BFH sämtlich im Bundessteuerblatt veröffentlicht und somit für allgemein anwendbar erklärt. Da auch abweichende oder entgegenstehende Verwaltungsverlautbarungen soweit ersichtlich nicht ergangen sind, kann der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen auch in den Fällen, in denen diese Rechtsprechung des BFH bereits in der Steuererklärung oder einer Steueranmeldung berücksichtigt worden ist, ohne dass das für die Finanzbehörde erkennbar war, nicht eingeschränkt werden, da die Finanzverwaltung die bisherige Rechtsprechung wohl auch bei Kenntnis dieser Umstände angewandt hätte (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AO). Damit hält der Steuerpflichtige für die vorgenannten Fälle ein scharfes Schwert gegenüber der Finanzverwaltung in den Händen und bleibt – anders als Schiller’s Poet – nicht auf die Bewunderung lediglich des Ideellen verwiesen.

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