Vom BFH gibt es Erfreuliches zu berichten: Der VI. Senat hat mit Beschlüssen vom 14. 11. 2013 (VI R 49/12, DB0648350, und VI R 50/12, DB 2014 S. 216) dem Bundesverfassungsgericht § 40b Abs. 4 EStG vorgelegt. Er hält diese Vorschrift für verfassungswidrig. Sie verstoße gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip, da der Arbeitgeber auf Sonderzahlungen an Versorgungseinrichtungen, die gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 EStG als Arbeitslohn fingiert werden, pauschale Lohnsteuer selbst und endgültig zu tragen habe. Damit werde das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit „in krasser Weise verfehlt“. Gründe, die diesen Verstoß rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.
Hintergründe
Aufgrund der demographischen Entwicklung sind immer mehr Zusatzversorgungskassen dazu übergegangen, ihre Umlagesysteme auf das Kapitaldeckungsverfahren umzustellen. Da beim Umlagesystem die vereinnahmten Rentenbeiträge grundsätzlich sofort als Renten ausbezahlt werden, bleibt bei Schließung dieses Systems eine Deckungslücke, die durch Sonderzahlungen der Arbeitgeber (sog. Sanierungsgelder) ausgeglichen werden muss. Diese Sonderzahlungen sind beim Arbeitgeber betrieblich veranlasster Aufwand, stellen also Betriebsausgaben dar, die unter § 4 Abs. 4 EStG fallen. Die Auffassung der Finanzverwaltung, die Sonderzahlungen beim Arbeitnehmer als Arbeitslohn zu erfassen, teilte der BFH in drei Entscheidungen aus dem Jahre 2006 zu Recht nicht, da sie zu keiner Bereicherung des Arbeitnehmers führten.
Die Finanzverwaltung gab sich aber mit dieser Niederlage nicht geschlagen. Sie veranlasste vielmehr eine Gesetzesänderung. In § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG wurde im Jahressteuergesetz 2007 festgelegt, dass auch Sonderzahlungen des Arbeitgebers bei Umstellung einer umlagefinanzierten Versorgungszusage im Gegensatz zur Rechtsprechung des BFH Arbeitslohn seien. Der Arbeitnehmer, der durch die Sonderzahlung nichts erlangt, was er nicht vorher schon hatte (nämlich die Versorgungszusage, die künftig nur kapitalgedeckt finanziert werden soll), sollte jedoch darauf keine Lohnsteuer entrichten; vielmehr sollte diese dem Arbeitgeber aufgebürdet werden. Deshalb fügte der Gesetzgeber § 40b Abs. 4 EStG ein. Danach hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem pauschalen Steuersatz (15 %) zu erheben und zu tragen. Durch diese Vorschrift wandelt sich somit die Lohnsteuer in eine Unternehmenssteuer, die Sonderzahlungen werden beim Unternehmer (Arbeitgeber) mit einem 15%igen Abgeltungssatz erfasst. Im Ergebnis wird dadurch der Betriebsausgabenabzug (teilweise) rückgängig gemacht.
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 EStG noch im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums
Der 6. Senat des BFH hält die gesetzgeberische Fiktion des Arbeitslohns in § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG entgegen gewichtiger Stimmen im Schrifttum nicht für verfassungswidrig. Die Erweiterung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bewege sich im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit zur Erschließung neuer Steuerquellen. Die Ausfinanzierung der im Umlageverfahren nicht gedeckten Rentenansprüche und Anwartschaften führe zwar nicht zum Erwerb neuer Versorgungsansprüche. Dennoch habe auch der Arbeitnehmer in Zeiten demographischen Wandels ein „in erheblichem Maße bestehendes Interesse an der Sicherung bereits erworbener Zukunftssicherungsleistungen“. Dies rechtfertige es, die Sonderzahlungen den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzuordnen.
Mit der Zurechnung fiktiver Einkünfte eines anderen Rechtssubjekts hat der Gesetzgeber die rote Linie überschritten
Die zwingende Erfassung dieser fiktiven Arbeitnehmereinkünfte beim Arbeitgeber geht dem BFH aber zu weit. Denn damit müsse der Arbeitgeber die Einkommensteuer für Einkünfte eines anderen Rechtssubjekts entrichten. „Während bei allen anderen Steuerpflichtigen Maßstab für die Besteuerung ihr eigenes verfügbares Einkommen ist, wird die Einkommensteuer in § 40b Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 3 Satz 1 EStG nach den Einkünften eines Dritten bemessen.“ Damit würden Arbeitgeber mit gleicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich besteuert, wenn einer von ihnen Betriebsausgaben in Form von Sonderzahlungen habe. Diese Ungleichbehandlung könne auch nicht mit den Eigentümlichkeiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens begründet werden, „denn die Lohnsteuer ist nur eine an der Quelle erhobene Einkommensteuer, die der Arbeitnehmer als derjenige schuldet, der die Einkünfte erzielt.“
Bundesverfassungsgericht sollte zum objektiven Nettoprinzip nun Farbe bekennen
Nun ist das Bundesverfassungsgericht am Zuge. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang die Frage offen gelassen, ob das objektive Nettoprinzip ein Verfassungsprinzip ist. Es hat Einschränkungen der Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben/Werbungskosten regelmäßig gebilligt, wenn dafür ein sachlicher Grund vorhanden war. Es hat allerdings auch betont, dass das objektive Nettoprinzip in Verbindung mit dem Gebot der Folgerichtigkeit den Gesetzgeber durchaus binden könne. Wenn es Ausgangstatbestand des Einkommensteuergesetzes ist, dass jeder Steuerpflichtige nur seine Leistungsfähigkeit zu versteuern hat, dann dürfte es um die Verfassungsmäßigkeit des § 40b Abs. 4 EStG im Lichte der bisherigen BVerfG-Rechtsprechung schlecht bestellt sein. Denn die Besteuerung von Betriebsausgaben beim Arbeitgeber durch die Fiktion einer Einnahme beim Arbeitnehmer beruht ausschließlich auf fiskalischen Erwägungen. Solche taugen aber nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht als Rechtfertigung von Gleichheitssatzverstößen. Die doppelte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips beim Arbeitnehmer (dem eine Einnahme ohne Bereicherung zugerechnet wird) und beim Arbeitgeber (der sie versteuern muss) sollte das Bundesverfassungsgericht zum Anlass nehmen, endlich deutlicher Position zur verfassungsrechtlichen Verankerung des objektiven Nettoprinzips zu beziehen.