Die Unterscheidung zwischen Ertrag und Kapitalrückzahlung ist im Steuerrecht von äußerst wichtiger Bedeutung. Schüttet eine Kapitalgesellschaft Gewinne aus, erzielt der Anteilseigner daraus steuerpflichtige Einkünfte. Zahlt sie hingegen eingezahltes Kapital zurück, liegt eine ergebnisneutrale Minderung der Anschaffungskosten des Anteilseigners vor. Bei der Abgrenzung zwischen beiden Vorgängen kommt bei inländischen Kapitalgesellschaften dem sog. steuerlichen Einlagekonto eine besondere Bedeutung zu. Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos einer inländischen Kapitalgesellschaft ist jährlich gesondert festzustellen. Leistungen der Gesellschaft, die das steuerliche Einlagekonto gemindert haben, gehören beim Anteilseigner zu den nicht steuerbaren Kapitalrückzahlungen.
Gewinnausschüttungen und Kapitalrückzahlungen gibt es auch bei ausländischen Kapitalgesellschaften. Allerdings führen diese – wenig überraschend – kein steuerliches Einlagekonto und gliedern auch sonst ihr Eigenkapital nicht nach deutschen steuerlichen Vorschriften. Nichtsdestotrotz müssen auch bei ausländischen Kapitalgesellschaften Gewinnausschüttungen und Kapitalrückzahlungen auf Ebene eines inländischen Anteilseigners zutreffend erfasst werden.
Maßgeblichkeit des ausländischen Handelsrechts
Der BFH hat dafür bereits vor längerer Zeit eine relativ einfache und auch praxistaugliche Formel entwickelt, die man unter dem Schlagwort „Maßgeblichkeit des ausländischen Handelsrechts“ zusammenfassen kann: Liegt nach dem für die betreffende Gesellschaft maßgeblichen ausländischen Handels- und Gesellschaftsrecht eine Kapitalrückzahlung vor, so ist diese Zahlung auch auf Ebene des inländischen Anteilseigners als solche zu erfassen (vgl. z.B BFH-Urteil vom 27.4.2000 – I R 58/99, BStBl. II 2001 S. 168 = DB0006551). Auch die Finanzverwaltung schloss sich – zumindest konkludent durch Veröffentlichung der BFH-Rechtsprechung im Bundessteuerblatt – dieser Auffassung an.
Im Jahr 2006 meinte der Gesetzgeber jedoch, die Regelungen über das steuerliche Einlagekonto auch auf Kapitalgesellschaften in der EU ausdehnen zu müssen (§ 27 Abs. 8 KStG). Allerdings war auch dem Gesetzgeber klar, dass er die deutschen Regeln nicht einfach einer EU-Kapitalgesellschaft „überstülpen“ konnte. Denn er kann schwerlich eine ausländische Gesellschaft verpflichten, jährlich ein steuerliches Einlagekonto nach deutschen steuerlichen Vorschriften zu ermitteln und dieses durch Bescheid deutscher Finanzbehörden gesondert feststellen zu lassen.
Besonderes Verfahren für EU-Gesellschaften
Stattdessen gab das Gesetz der ausländischen Gesellschaft die Möglichkeit, in einem speziellen Verfahren verbindlich feststellen zu lassen, dass eine bestimmte Zahlung eine Einlagenrückgewähr darstellt. Für einen entsprechenden Antrag gilt eine Ausschlussfrist von 2 Jahren. Zudem ist die Regelung noch mit einer „Poison Pill“ für den inländischen Anteilseigner versehen: Erfolgt keine Feststellung, gilt jede Zahlung der EU-Kapitalgesellschaft – auch wenn sie materiell als Kapitalrückzahlung einzustufen ist – beim inländischen Anteilseigner als steuerpflichtige Dividende.
Bei Lichte besehen, hatte der Gesetzgeber dem deutschen Anteilseigner einer EU-Kapitalgesellschaft damit „Steine statt Brot“ gegeben. Denn nicht der Anteilseigner kann das Verfahren zur gesonderten Feststellung der Einlagenrückgewähr initiieren, dies muss die EU-Kapitalgesellschaft tun. Bei einer Mehrheits- oder qualifizierten Minderheitsbeteiligung eines oder mehrerer deutscher Gesellschafter dürfte dies faktisch noch machbar sein. Allerdings werden die deutschen Gesellschafter dann wohl auch die Kosten dieses Verfahrens zu tragen haben. Für einen Minderheitsgesellschafter dürfte diese Anforderung eine nahezu unüberwindliche Hürde darstellen.
Negative Auswirkungen auf Drittstaaten-Kapitalgesellschaften?
Einige Vertreter in der steuerrechtlichen Literatur gingen allerdings noch weiter: Aus der Spezialregelung für EU-Kapitalgesellschaften folgerten sie, dass Drittstaaten-Kapitalgesellschaften überhaupt keine (nicht steuerbare) Einlagenrückgewähr mehr erbringen könnten. Denn das Feststellungsverfahren gelte nur für EU-Kapitalgesellschaften, für Drittstaaten-Kapitalgesellschaften sei nichts Vergleichbares vorgesehen.
Diese Auffassung muss befremden: Zahlungen, die offensichtlich Kapitalrückzahlungen darstellen und damit zu keinem Zuwachs der steuerlich relevanten Leistungsfähigkeit führen, sollen allein aufgrund des Fehlens eines förmlichen Verfahrens als steuerpflichtige Dividenden einzustufen sein? Das erzeugt nicht zuletzt erhebliche verfassungsrechtliche „Bauchschmerzen“.
Diese Auffassung sorgte für erhebliche Unsicherheiten in der Praxis, weil es äußerst schwierig ist, im Vorfeld etwaiger Kapitalmaßnahmen von Drittstaaten-Kapitalgesellschaften verbindlich klären zu lassen, dass es sich bei der betreffenden Maßnahme um eine Kapitalrückzahlung handelt.
Erfreulicherweise hat das Finanzgericht Nürnberg in einem kürzlich veröffentlichten Urteil zu dieser Thematik Stellung genommen (FG Nürnberg, Urteil vom 12.6.2013 – 5 K 1552/11, EFG 2014, S. 188). Das FG stellt dabei ausdrücklich fest, dass die Regelung zu EU-Kapitalgesellschaften keine „Sperrwirkung“ gegenüber Kapitalrückzahlungen von Drittstaaten-Gesellschaften entfaltet. Derartige Kapitalrückzahlungen sind vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen – der vom BFH postulierten „Maßgeblichkeit des ausländischen Handelsrechts“ – möglich.
Leider ist das Urteil des FG noch nicht rechtskräftig, eine Revision ist beim BFH anhängig (Az.: VIII R 47/13). Es bleibt zu hoffen, dass der BFH den Irrweg bei der Einlagenrückgewähr von Drittstaaten-Kapitalgesellschaften beendet und seine bisherige Rechtsauffassung bestätigt.