Mit Beschluss vom 27.9.2012 (Az. II R 9/11, DB0524035) hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Bundesverfassungsgericht um Entscheidung ersucht, ob die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG) mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sind. Nach Ansicht des BFH sind die weitreichenden Verschonungen für Betriebsvermögen verfassungswidrig, da sie nicht durch hinreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigt sind und angesichts der für alle Steuerpflichtigen gleichen Tarifvorschrift (§ 19 ErbStG) zu einer die gesamte Erbschaftsteuer erfassenden Fehlbesteuerung führen. Mit Erlassen vom 14.11.2012 (BStBl. I S. 1082, DB0556618) hat die Finanzverwaltung für alle offenen Steuerfälle mit Stichtag ab 1.1.2009 angeordnet, dass die Steuer nur noch vorläufig festgesetzt werden darf. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wird noch im Jahr 2014 erwartet (Az. 1 BvL 21/12). Damit stellt sich die Frage nach möglichem Handlungsbedarf vor der Gerichtsentscheidung: Welche Auswirkungen hat das Urteil auf bereits vollzogene Übertragungen, welche Folgen hat es für Schenkungen und Erbfälle nach dem Urteil?
Bestandskräftige endgültige Steuerbescheide
Für alle bestandskräftigen und nicht mehr änderbaren Steuerbescheide sind aus dem Urteil des BVerfG keine Folgen zu erwarten. Diese Bescheide bleiben unverändert bestehen (§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
Steuerbescheide mit vorläufiger Steuerfestsetzung
Alle ab 14.11.2012 bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts erfolgten Steuerfestsetzungen sind in vollem Umfang vorläufig (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO) und können daher nach dem Urteil noch geändert werden. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass das geltende Erbschaftsteuerrecht mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, so kann es dessen Bestimmungen für nichtig erklären. Alle vorläufigen Steuerfestsetzungen wären dann von Amts wegen aufzuheben (§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO). Neufestsetzungen könnten mangels gesetzlicher Grundlage nicht erfolgen. Eine rückwirkende Neuregelung der Erbschaftsteuer zulasten der Steuerpflichtigen wäre verfassungsrechtlich nicht zulässig.
Bestätigt das Verfassungsgericht das geltende Erbschaftsteuerrecht, so bleiben die Verschonungsregeln für Unternehmensvermögen anwendbar. Vorläufige Bescheide würden dadurch allerdings nicht automatisch endgültig; die Endgültigkeit tritt ohne Zutun des Steuerpflichtigen erst mit Festsetzungsverjährung ein. Steuerpflichtige sollten daher bei günstigen vorläufigen Bescheiden einen Antrag auf Endgültigkeitserklärung beim Finanzamt stellen (§ 165 Abs. 2 S. 4 AO), um eine Änderung wegen sonstiger unzutreffender Veranlagung zu vermeiden.
Angesichts seiner bisherigen Urteile zur Erbschaftsteuer nicht unwahrscheinlich ist schließlich, dass das BVerfG nur die Unvereinbarkeit des Erbschaftsteuerrechts mit dem Gleichheitssatz ausspricht und den Gesetzgeber zur verfassungskonformen Neuregelung bis zu einem festgelegten Zeitpunkt verpflichtet. In diesem Fall bleiben alle vorläufigen Steuerfestsetzungen ebenfalls vorläufig bestehen, egal, ob das Gericht die Fortgeltung des verfassungswidrigen Rechts anordnet oder nicht. Eine Änderung dieser Steuerbescheide zulasten der Steuerpflichtigen ist unzulässig (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Deshalb sollte auch dann ggf. die Endgültigkeitserklärung beantragt werden.
Noch nicht veranlagte Erbfälle und Schenkungen vor Urteilsverkündung
Erklärt das BVerfG das geltende Erbschaftsteuerrecht für nichtig, könnten die bei Entscheidung des Gerichts noch offenen Steuerfälle nicht mehr veranlagt werden und blieben steuerfrei. Besteht die Erbschaftssteuer dagegen die gerichtliche Prüfung, so erfolgt die Steuerfestsetzung auf Basis der (ggf. im Wege verfassungskonformer Auslegung modifizierten) geltenden Verschonungsregeln. Gleiches gilt, wenn das Verfassungsgericht befristet oder unbefristet die Fortgeltung des geltenden Rechts anordnet. Wurde die Fortgeltung nicht angeordnet oder ist eine vom Gericht für die Fortgeltung oder die gesetzliche Neuregelung gesetzte Frist abgelaufen, so darf das Finanzamt die Veranlagung nur noch vorläufig vornehmen (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO); entsprechende Bescheide sind hierauf zu prüfen. Eine spätere Änderung dieser Steuerfestsetzungen zulasten der Steuerpflichtigen auf Grundlage einer zwischenzeitlichen gesetzlichen Neuregelung wäre als sog. echte Rückwirkung verfassungsrechtlich nicht zulässig.
Übertragungen zwischen Urteil und Inkrafttreten eines neuen Erbschaftsteuerrechts
Wird das Erbschaftsteuerrecht für nichtig erklärt, könnte jegliches Vermögen bis zu einer gesetzlichen Neuregelung steuerfrei übertragen werden. Bestätigt das Gericht das geltende Recht dagegen, werden künftige Übertragungen auf Grundlage der geltenden Verschonungsregeln besteuert. Hält das Gericht das geltende Erbschaftsteuerrecht für unvereinbar mit dem Grundgesetz, so kommt es darauf an, ob und ggf. bis wann das Gericht die Fortgeltung des alten Rechts angeordnet hat. Nur während der Geltung des alten Rechts können auf dessen Grundlage endgültige Veranlagungen vorgenommen werden. In allen anderen Fällen wären Steuerfestsetzungen im Hinblick auf die künftige gesetzliche Neuregelung erneut nur vorläufig möglich. Änderungen solcher vorläufigen Bescheide sind nur zugunsten des Steuerzahlers erlaubt. Eine gesetzliche Neuregelung kann damit für zwischenzeitliche Übertragungen rückwirkend keine Nachteile entfalten.
Fazit: Vertrauensschutz
Die gute Nachricht für die Steuerpflichtigen ist, dass sich die aktuell und voraussichtlich bis zu einer Neuregelung der Erbschaftsteuer bestehende Unsicherheit in fast allen Szenarien nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen auswirken wird. Alle vor Inkrafttreten eines künftigen Erbschaftsteuerrechts übertragenen Unternehmensvermögen können somit noch in den Genuss der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln oder gar völliger Steuerfreiheit kommen.
Risiken für die von der Entscheidung des Verfassungsgerichts betroffenen Steuerpflichtigen bestünden nur, wenn das Gericht punktuell – ohne Einbeziehung der Tarifvorschrift – die erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln für nichtig erklären sollte. Dies wäre indes nur zulässig, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Gesetzgeber bei Kenntnis von der Nichtigkeit der §§ 13a, 13b ErbStG gar keine Verschonung für Unternehmensvermögen geschaffen hätte; letzteres erscheint angesichts der Gesetzeshistorie fernliegend.