Nicht überraschend stellt der BFH die Zinsschranke insgesamt auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand, indem er Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke gewährt (BFH-Beschluss v. 18.12.2013- I B 85/13, DB DB0652069). Der Streitfall betraf einen „normalen“ Fall der Zinsschranke, in dem trotz negativen Einkommens Körperschaftsteuer hätte gezahlt werden sollen. Hier hatte das Unternehmen noch Glück, denn der Körperschaftsteuerschaden betrug im Streitjahr nur ca. 11.000 Euro. Das hat den BFH jedoch nicht gehindert, die Sache ernst zu nehmen.
Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips
Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedeutet für die Einkommensteuer wie die Körperschaftsteuer grundsätzlich, dass nur das Nettoeinkommen, also der Saldo aus Einnahmen und betrieblich veranlassten Ausgaben, der Besteuerung unterliegt. Die Zinsschranke stellt eine Durchbrechung des Nettoprinzips, und damit eine Einschränkung der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit dar. Bis hierher ist der Gedankengang des BFH nur schwerlich in Zweifel zu ziehen.
Rechtfertigung?
Die eigentliche Frage ist, ob diese Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips gerechtfertigt ist.
Die Zinsschranke wurde im Jahr 2008 offiziell als Maßnahme zur Gegenfinanzierung von Steuersatzsenkungen eingeführt. Der BFH hält zwar die Gegenfinanzierung einer Steuersatzsenkung durch Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips nicht grundsätzlich für ausgeschlossen, allerdings ist auch dabei auf eine „gleichheitsgerechte Lastenverteilung“ zu achten, die bei der Zinsschranke nicht gegeben ist.
Relativ kurz macht es der BFH mit den sogenannten „qualifizierten Fiskalzwecken“. Dass die „Bestätigung des Steueraufkommens“ oder die „Vermeidung unkalkulierbarer Steuerausfälle“ es geboten hätten, die Zinsschranke einzuführen, kann der BFH bei überschlägiger Prüfung nicht erkennen.
Bei summarischer Prüfung ist für den BFH auch nicht erkennbar, dass die Missbrauchsabwehr die Zinsschranke rechtfertigen könnte. Eine Missbrauchstypisierung wie die Zinsschranke ist zwar prinzipiell zulässig, sie darf jedoch keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren. Dabei dürfen die ungleichen Rechtsfolgen nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen treffen und die Nachteile dürfen nicht zu schwer wiegen. Das erscheint dem BFH hier zumindest als zweifelhaft.
Für den deutschen Fiskus liegt das eigentliche Problem bei der Regelung des Zinsabzuges im EU-Recht. Der Gesetzgeber hat „Angst“ vor Gewinnverlagerungen in das Ausland, glaubt jedoch, dem aufgrund der Restriktionen des EU-Rechtes nicht direkt entgegenwirken zu können. Die Erwägungen des BFH zur Erforderlichkeit der Zinsschranke kommen daher zum Kern des Themas: Die Zinsschranke ist nicht zielgenau, da sie auch hohe, oder aus Sicht des Gesetzgebers überhöhte Zinsaufwendungen betrifft, die keinen Auslandsbezug haben und deshalb eine Ergebnisverlagerung in das Ausland nicht mit sich bringen können. Dem BFH erscheint es jedoch fraglich, ob zur Vermeidung der Unionsrechtswidrigkeit die Zinsschranke in dieser Form erforderlich sei. Es ließe sich zumindest nicht ausschließen, dass der EuGH ausgehend von seiner jüngeren Rechtsprechung eine zielgenaue Missbrauchsklausel akzeptieren würde.
Der BFH äußert seine Bedenken zwar in zurückhaltender Form („es bestehen Zweifel“, „es erscheint fraglich“). Es spricht jedoch vieles dafür, dass sich der I. Senat bei Abfassung dieses Beschlusses bereits eine klare Meinung gebildet hat. Die Aussagen sind auch nicht überraschend, denn der BFH hat sich bereits in einem früheren AdV-Beschluss aus dem Jahre 2012 (I B 111/11, DB 2012 S. 1071; hierzu Steuerblog DB0474603 v. 16.05.2012) entsprechend geäußert.
AdV auch bei verfassungsrechtlichen Zweifeln
Der AdV steht nach Auffassung des I. Senates, der sich inzwischen auch der II. Senat angeschlossen hat, nicht entgegen, dass das BVerfG ein Gesetz möglicherweise nicht rückwirkend, sondern nur pro futuro für nichtig erklären wird.
BVerfG – Rechtsschutz auch für die Vergangenheit?
Es ist abzusehen, dass die Zinsschranke das BVerfG früher oder später erreichen wird. Sollte das BVerfG die Zinsschranke gleichfalls für verfassungswidrig halten, wäre es zu begrüßen, wenn dies nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit zur Nichtigerklärung führen würde.
Denn die bisherige Praxis, verfassungswidrige Steuergesetze für die Vergangenheit bestehen zu lassen, könnte als Belohnung dafür verstanden werden, auch erkennbare verfassungsrechtliche Fehler nicht zu beheben. Die „Beute“ des verfassungswidrigen Gesetzes verbleibt dem Fiskus. Anders wäre das zu beurteilen, wenn sich die verfassungsrechtliche Wertung ändert und dem Gesetzgeber Zeit zur Anpassung zu geben ist. Bei der Zinsschranke hingegen ist die plausible verfassungsrechtliche Kritik so alt wie das Gesetz.