BGH zum Sanierungserlass

Prof. Dr. iur. Heribert M. Anzinger, Ulm

Prof. Dr. iur. Heribert M. Anzinger, Ulm

Jetzt ist die Zivilgerichtsbarkeit dem BFH zuvorgekommen und die Rechtsprechung zur Gesetzmäßigkeit des Sanierungserlasses (BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003 S. 240 = DB0024884) um eine Stimme reicher. In einem Haftungsprozess hatte der BGH (Urteil. v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, DB0652093) über die Frage zu entscheiden, ob ein Berater seinem Mandanten zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er es unterlässt, diesem zu raten, den Sanierungserlass bei Vorliegen der Voraussetzungen des BMF-Schreibens durch Einspruch durchzusetzen. Er hat sie bejaht, sich dabei tief mit einem steuerrechtlichen Meinungsstreit beschäftigt und mit der gebotenen Zurückhaltung auch eine eigene Position zur Geltung des Sanierungserlasses angedeutet.Der zweite Leitsatz der Entscheidung ist ebenso kurz wie einleuchtend: „Unterlässt der Steuerberater es pflichtwidrig, seinen Mandanten darauf hinzuweisen, dass dieser Anspruch auf eine steuerliche Sonderbehandlung nach dem sogenannten Sanierungserlass hat, kann er diesem für die daraus erwachsenden Nachteile haften, auch wenn der Sanierungserlass sich später als gesetzeswidrig herausstellen sollte.“

Meinungsstreit

Mit der Gesetzmäßigkeit des Sanierungserlasses hätte sich der BGH danach gar nicht mehr auseinanderzusetzen brauchen. Er hat es trotzdem getan – auf 28 Seiten. Aufhänger war nicht die objektive Rechtslage als Maßstab für eine Pflichtverletzung. Bei Ermessensentscheidungen kommt es nach st. Rspr. für die Beraterhaftung nur auf die mutmaßliche Behördenentscheidung an. Anlass zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Sanierungserlasses war für den BGH die der Pflichtverletzung und der haftungsausfüllenden Kausalität nachgeordnete Frage, ob übergeordnete Prinzipien des Rechts einer Erstattung des Schadens entgegenstehen.

Der Meinungsstreit zur Geltung des Sanierungserlasses dreht sich bekanntlich um zwei Pole: Müssen die Finanzbehörden Ertragsteuern auf Sanierungsgewinne unabhängig von Inhalt und Existenz des Sanierungserlasses auf der Grundlage der §§ 163, 227 AO auch über die dort vorgesehenen Fälle hinaus erlassen (so FG Münster v. 27.3.2003, EFG 2004 S. 1572; FG Köln v. 24.4.2008, BB 2008 S. 2666, aufgehoben durch BFH v. 14.7.2010 – X R 34/08, DB0363984)? Und umgekehrt: Dürfen die Finanzbehörden nach den Grundsätzen des Sanierungserlasses die Ertragsteuern auf Sanierungsgewinne erlassen? Das FG München (Urt. 12.12.2007, EFG 2008 S. 615) und das FG Sachsen (Urt. v. 24.4.2013, nrkr., Az. BFH X R 23/13) verneinen das und sehen in der auf dem Sanierungserlass beruhenden Verwaltungs­praxis einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, weil die §§ 163, 227 AO nach der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG aF. dafür keine ausreichende Rechtsgrundlage bilden. Dem BFH ist wiederholt die Chance genommen worden, klärend Stellung zu beziehen (zuletzt BFH v. 27.11.2013 – X B 162/12).

BGH für Anwendbarkeit des Sanierungserlasses

Der BGH nutzt dagegen seine Chance, schränkt das Gewicht seiner Aussagen zwar eingangs ein, „Der Senat kann die Frage offenlassen, ob der Sanierungserlass gesetzwidrig ist und deswegen keine Anwendung findet (Rz. 31)“, um dann aber doch recht deutlich zu vertreten, dass er, jedenfalls für die Vergangenheit in den §§ 163, 227 AO eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass von Sanierungsgewinnen sieht (Rz. 33 f., zuvor deutlicher Rz. 10 ff.), die der Gesetzgeber durch die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG aF. nicht begrenzen wollte.

Ebenso verfährt der BGH mit dem Einwand, der Sanierungserlass verleite zu einem Verstoß gegen das unionsrechtliche Beihilfendurchführungsverbot. Er will offenlassen, ob das der Fall ist, stellt dann aber fest, dass der Sanierungserlass jedenfalls bisher nicht als Beihilfe qualifiziert wurde, wohl mit dem Beihilfenrecht vereinbar sei und im Einzelfall wegen Unterschreitung der im Jahr des Beratungsfehlers geltenden Relevanzschwellen der De-Minimis-Regeln nicht notifizierungspflichtig gewesen war (Rz. 40).

Auch wenn es für den entschiedenen Haftungsfall in erster Linie auf die tatsächliche Verwaltungspraxis ankam, man könnte wohl sogar vertreten, dass es für die Erfolgs­aussichten des Einspruchs nur auf die Verwaltungspraxis ankommt, hat der BGH nicht mit Hinweisen zur Auslegung des Steuerrechts gespart. Eine Vorlagepflicht zum Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) wird sich daraus freilich nicht ergeben, selbst wenn der BFH dem Sanierungserlass doch noch die Rechtsgrundlage absprechen wollte. Dazu enthält die Entscheidung hinreichende Vorbehalte. Aber die Argumente eines anderen obersten Bundes­gerichts wird die Finanzrechtsprechung und die Rechtsanwendungspraxis sicher prüfend zur Kenntnis nehmen. Insoweit ist diese zivilrechtliche Entscheidung auch für den steuerrechtlichen Diskurs weiterführend.

Kommentare sind geschlossen.