Der BFH hat am 20.08.2014 mehrere Entscheidungen zur Abgeltungsteuer veröffentlicht, die u.a. erhebliche Bedeutung auf die Finanzierungsgestaltung von Familienunternehmen durch Angehörige haben dürften. Worum geht es?
BMF: Kein günstiger Abgeltungsteuersatz für Darlehen zwischen Angehörigen
Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen grundsätzlich dem Abgeltungsteuersatz (25 % zzgl. SolZ und ggf. KiSt). U.a. bei Zinserträgen aus sonstigen Kapitalforderungen ist aber der progressive Steuertarif anzuwenden,
- wenn Gläubiger und Schuldner nahestehende Personen sind (§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG) oder
- wenn ein Darlehensgeber eine dem zu mindestens 10% an einer Kapitalgesellschaft beteiligten Gesellschafter nahestehende Person ist (§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG).
Nach Ansicht der Finanzverwaltung liegt ein „schädliches“ Näheverhältnis (unwiderlegbar) vor, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i.S.d. § 15 AO sind oder an einem Personenunternehmen der Steuerpflichtige und/oder ein Angehöriger beteiligt ist (BMF v. 9.10.2012, DB0526781).
Bisherige Gestaltungspraxis: Vermeidung von Darlehensgewährung durch Angehörige
Für die Finanzierungsgestaltung bedeutet die Auffassung der Finanzverwaltung, dass Darlehenszinsen, die z.B. die Ehefrau aus einem Darlehen an eine oHG oder KG des Ehemannes erzielt, mit dem „hohen“ persönlichen Steuersatz zu versteuern sind. Gleiches gilt, wenn z.B. der Bruder ein Darlehen an eine GmbH gibt, an der seine Schwester zu 10% beteiligt ist, und hierfür Zinsen erhält. Um diese Belastungsnachteile zu vermeiden, gehen Gläubiger erfahrungsgemäß solche Finanzierungsstrukturen nicht ein. Z.B. ist aus steuerlicher Sicht eine Geldanlage der Ehefrau bei einer Bank vorteilhafter (Abgeltungsteuer), als eine Darlehensgewährung an die KG des Ehemannes (keine Abgeltungsteuer). Hintergrund ist, dass bei gleichem Bruttozinsertrag nach Abzug der Abgeltungsteuer beim Gläubiger ein höherer Nachsteuerertrag verbleibt als bei Darlehensgewährung an das familiengeprägte Unternehmen. Um – bei Anwendung des sog. Reichensteuersatzs – nach Ertragsteuern (ohne KiSt) einen Nettoertrag i.H.v. 525,25 € zu erzielen, muss der Gläubiger eines Darlehens an das Familienunternehmen Zinsen i.H.v. 1.000 € brutto vereinnahmen. Derselbe Nettozinsertrag verbleibt ihm bei einer Geldanlage bei einer Bank jedoch schon bei einem Bruttozinsertrag von 713,41 €.
BFH: Angehörige sind nicht zwangsläufig nahestehende Personen
Nun hat der BFH in gleich drei Fällen (VIII R 9/13, DB0666393; VIII R 44/13, DB0666392 und VIII R 35/13, DB0666391) die Entscheidungen der vorinstanzlichen Finanzgerichte (Baden-Württemberg, München und Niedersachsen) aufgehoben und zugunsten der klagenden Steuerpflichtigen entschieden. Die Anwendung des gesonderten Abgeltungsteuertarifs nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ist – bei fremdvergleichskonformen Darlehensbedingungen – nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i.S.d. § 15 AO sind. Ein lediglich aus der Familienangehörigkeit abgeleitetes persönliches Interesse ist nach Auffassung des BFH nicht ausreichend, um ein Näheverhältnis i.S.d. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu begründen. Mit gleicher Begründung hat der BFH in einem vierten Fall (VIII R 31/11, DB0666394) zu § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG entschieden, dass der gesonderte Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen bei einer Darlehensgewährung an eine GmbH nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der Gläubiger der Kapitalerträge ein Angehöriger des zu mehr als 10% an der Schuldnerin beteiligten Gesellschafters ist.
In allen Urteilsbegründungen führt der BFH aus, dass neben dem Angehörigenverhältnis weitere Tatbestandsmerkmale hinzukommen müssen, die ein Abhängigkeits- bzw. Beherrschungsverhältnis zwischen Darlehensgeber und -nehmer belegen. Laut BFH ist der Abgeltungsteuersatz nicht anzuwenden, wenn der beherrschten Person aufgrund eines absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt. Dazu bedarf es konkreter Anhaltspunkte. Z.B. müssen Darlehensgeber und -nehmer auf den jeweils anderen einen außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss ausüben können oder die Vertragsparteien müssen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen haben.
Zusammenfassung
Nach den o.g. BFH-Entscheidungen sollten mittelständische Familienunternehmen ihre Finanzierungsstruktur überprüfen. Ggf. können sie (hochverzinsliche) Kontokorrentkredite dadurch zurückführen, dass sie von Familienangehörigen Kredite aufnehmen. Die Angehörigen erzielen ggf. höhere Zinsen als bei einer Geldanlage bei der Bank und das Unternehmen erspart sich die höheren Bankzinsen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Darlehensvereinbarungen dem Fremdvergleich standhalten. Nach m.E. dürfte hierbei die „Herkunft“ der Darlehensmittel keine Rolle spielen (Stichwort: Geldschenkung des Ehemannes an Ehefrau vor Darlehensgewährung).
Dass der Gesetzgeber durch eine Gesetzesänderung die BFH-Rechtsprechung „kassiert“ (sinngemäß: der Abgeltungsteuersatz ist nicht anzuwenden für Darlehenszinsen, wenn Gläubiger und Schuldner nahestehende Personen oder Angehörige i.S.d. § 15 AO sind), erscheint unwahrscheinlich. Denn eine einschränkende Nichtanwendung des Abgeltungsteuertarifs ist laut BFH auch aus verfassungsrechtlicher Sicht – sowohl wegen Art. 6 Abs. 1 GG zur Vermeidung einer unvereinbaren Diskriminierung der Familie als auch wegen des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG – geboten.
Mit Blick auf die Abwehrberatung gilt es, sofern noch nicht geschehen und soweit möglich, alle Veranlagungsverfahren offen zu halten, um von der vorteilhaften BFH-Rechtsprechung zu profitieren.