Geringerer persönlicher Erbschaft- und Schenkungsteuerfreibetrag verstößt gegen Unionsrecht

Hans-Christoph Graessner, RA/FAStR/StB, KPMG AG, Köln

Hans-Christoph Graessner, RA/FAStR/StB, KPMG AG, Köln

Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (SchenkG/ErbStG) gewährt jedem Erwerber alle zehn Jahre einen persönlichen Freibetrag. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sahen bei unbeschränkter Steuerpflicht einen Freibetrag je nach Verwandtschaftsgrad von 20.000 bis 500.000 Euro vor. Bei beschränkter Steuerpflicht reduzierte sich jedoch der Freibetrag auf einheitlich 2.000 Euro (§ 16 Abs. 2 ErbStG). Ein solcher Sachverhalt kann z.B. vorliegen, wenn eine in Deutschland belegene Immobilie durch Personen, die sich seit über fünf Jahren im Ausland aufhalten (Gebietsfremde), unentgeltlich erworben wird. So lag es auch im Fall Mattner: Frau Mattner war deutsche Staatsangehörige, die seit 35 Jahren in den Niederlanden lebte. Der niederländische Wohnsitz führte bei Frau Mattner zu einem erheblichen Steuernachteil, als sie von ihrer Mutter (ebenfalls wohnhaft in den Niederlanden) eine Immobilie in Deutschland geschenkt bekam. Denn von der deutschen Finanzverwaltung wurde ihr nur der Freibetrag in Höhe von 2.000 Euro gewährt.

Der Fall Mattner (EuGH vom 22.04.2010 – Rs. C-510/08, DB 2010 S. 931 = DB0350150) führte zwar zu einer Anpassung des deutschen SchenkG/ErbStG in 2011. Seitdem besteht für beschränkt Steuerpflichtige die Möglichkeit einen Antrag zu stellen, die unbeschränkte Steuerpflicht einschließlich der dann anzuwendenden Freibeträge durchzuführen. Voraussetzung für den Antrag ist, dass entweder der Erblasser bzw. Schenker oder der Erwerber innerhalb des EU- beziehungsweise EWR-Raumes seinen Wohnsitz hat (vgl. § 2 Abs. 3 ErbStG). Die EU-Kommission hatte aber bereits vor Anpassung des deutschen SchenkG/ErbStG die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Regelung zu § 16 Abs. 2 ErbStG gerügt und hielt auch nach dem EuGH-Fall Mattner an der Auffassung fest, dass die deutsche Vorschrift europarechtswidrig sei. Über die grundsätzliche Vereinbarkeit des § 16 Abs. 2 ErbStG mit dem EU-Recht hat nun der EuGH in seinem Urteil vom 04.09.2014 entschieden (Rs. C-211/13, DB 2014 S. 2146 mit Anm. Wachter = DB0670173).

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Der EuGH sieht in der Regelung von unterschiedlichen Freibeträgen bei beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtigen Erwerbern eine Ungleichbehandlung, die gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt (Art. 63 AEUV). Dies begründet der EuGH unter anderem wie folgt:

  • Die Anwendung von unterschiedlichen Freibeträgen führt im Ergebnis dazu, dass eine Erbschaft bzw. Schenkung einer in Deutschland belegenen Immobilie von Gebietsfremden höher besteuert wird, als wenn keiner der Beteiligten zum maßgeblichen Zeitpunkt in Deutschland ansässig ist. Die Benachteiligung eines Gebietsfremden stellt eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
  • Eine solche Ungleichbehandlung ist jedoch grundsätzlich verboten, soweit nicht ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ergibt sich in Bezug auf die Höhe der Schenkung- und Erbschaftsteuer, die für eine in Deutschland belegene Immobilie anfällt, kein objektiver Unterschied, der es rechtfertigen würde, die Situation von Personen, die nicht in Deutschland ansässig sind, und die Situation, in der zumindest einer der Beteiligten in Deutschland ansässig ist, ungleich zu behandeln. Die Höhe der Steuer wird in derartigen Fällen entsprechend dem Wert der Immobilie und dem Verwandschaftsverhältnis berechnet. Beide Kriterien sind jedoch von dem Wohnort dieser Personen unabhängig.
  • Schließlich greife auch nicht der Kohärenz-Gedanke zur Rechtfertigung der deutschen Regelung. Dies wäre nach Ansicht des EuGH nur dann möglich gewesen, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung (hier: die Beschränkung des Freibetrags der Höhe nach für beschränkt Steuerpflichtige) dargelegt wird (EuGH vom 22.04.2010 – Rs. C-510/08, DB 2010 S. 931 = DB0350150, „Mattner“; vom 17.10.2013 – Rs. C-181/12, DB0620240, „Welte“). Der Nachweis eines solchen steuerlichen Vorteils für Gebietsfremde, durch den der steuerliche Nachteil durch die Anwendung unterschiedlicher Freibeträge ausgeglichen werden soll, konnte aber vorliegend nicht erbracht werden.

Infolgedessen stellt die Vorschrift des § 16 Abs. 2 ErbStG einen ungerechtfertigten Eingriff in das Unionsrecht dar. Deutschland habe daher gegen seine Pflicht verstoßen, keine Normen zu erlassen, die nicht mit den Grundfreiheiten der Europäischen Union vereinbar sind.

Fazit

Der EuGH hat bei seiner Entscheidung hervorgehoben, dass er die Vereinbarkeit der schenkung- und erbschaftsteuerlichen Vorschriften mit dem EU-Recht ausschließlich vor Einführung der Antragsmöglichkeit geprüft hat. Offen bleibt folglich, ob das deutsche SchenkG/ErbStG auch unter Berücksichtigung der neu eingeführten Antragsmöglichkeit europarechtswidrig ist. Angriffspunkt könnte die Beschränkung des Antragsrechts auf EU-/EWR-Ausländer sein, da die Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich auch für Personen in Drittstaaten gilt. Festzuhalten bleibt Folgendes: Nach neuer Rechtslage hat jeder EU-/EWR Ausländer ein gesetzlich verankertes Wahlrecht zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht. So erfreulich diese Antragsmöglichkeit ist, klar muss sein, dass die Entscheidung zur unbeschränkten Steuerpflicht vorab eingehend geprüft werden muss. Denn nicht immer muss ein Antrag für den Steuerpflichtigen vorteilhafter sein. Hintergrund ist, dass in diesem Fall weitere Erwerbe innerhalb von zehn Jahren bei der Ermittlung der Steuer einzubeziehen sind. Dabei können Erwerbsvorgänge, die bisher aufgrund der beschränkten Steuerpflicht nicht zu berücksichtigen waren (z.B. reine Geldforderungen) sich als nachtteilig erweisen und gegen eine Ausübung des Antragsrechts sprechen.

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