Sanierungsgewinn und Gewerbesteuer: Rolle rückwärts in NRW?

RA/StB/FAStR Dr. Götz T. Wiese, Latham & Watkins LLP, Hamburg

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Wenn Gläubiger sich an der Sanierung eines Unternehmens durch Forderungsverzicht beteiligen, wird unter engen Voraussetzungen auf die Besteuerung des Buchgewinns bei Ausbuchung der Verbindlichkeit verzichtet. Das Unternehmen muss, kurz gesagt, seine Sanierungsfähigkeit nachweisen, und der Forderungsverzicht muss zur Sanierung beitragen. Dann wird der Sanierungsgewinn nicht besteuert. Das steht im Sanierungserlass aus dem Jahr 2003. Bis dahin war die Steuerfreistellung des Sanierungsgewinns sogar im Gesetz geregelt (§ 3 Nr. 66 EStG a.F.), aber das Gesetz wurde als zu weitgehend kassiert. Seither hilft der Sanierungserlass, den das BMF als Grundlage für Billigkeitsmaßnahmen schuf (BStBl. I 2003 S. 240 = DB 2003 S. 796).

Problembereich Gewerbesteuer

Für die Einkommen- und Körperschaftsteuer kann das Finanzamt seither im Festsetzungs- und Feststellungsverfahren (§ 163 AO) und im Erhebungsverfahren (§§ 222, 227 AO) Billigkeitsmaßnahmen ergreifen und die Steuer auf den Sanierungsgewinn – nach Verrechnung mit Verlustvorträgen – stunden und im Ergebnis ganz erlassen. In der Finanzkrise hat sich hier eine vernünftige Besteuerungspraxis gezeigt, bei gewissen Unterschieden zwischen den einzelnen Bundesländern.

Ein erhebliches Problem besteht aber weiterhin im Bereich der Gewerbesteuer: Hier sind die Finanzämter, die in die Landessteuerverwaltung organisatorisch eingebunden sind, nur für die Festsetzung der so genannten Gewerbesteuer-Messbeträge zuständig. Über die Erhebung der Gewerbesteuer entscheiden dann die einzelnen Gemeinden auf Grundlage gemeindlicher Hebesätze. Für sanierungsbedürftige Unternehmen mit Betriebsstätten in mehreren Gemeinden bedeutet dies oftmals große Abstimmungsschwierigkeiten. Die Entscheidung des Finanzamts (für Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer) ist für die Gemeinden nicht bindend. Jede Gemeinde übt ihr Ermessen für die Billigkeitsmaßnahme eigenständig aus. Praktische Schwierigkeiten wie die Terminierung von Gemeinderats- und Finanzausschuss-Sitzungen stehen einer schnellen Sanierungsentscheidung oft im Weg.

Gesetzesänderung durch das ZollKodexAnpG

Erkennbar wollte der Gesetzgeber mit einer Änderung der Abgabenordnung (§ 184 Abs. 2 Satz 1 AO) den Weg gleichsam durch die Hintertür freimachen. Die Befugnis des Finanzamts, Gewerbesteuer-Messbeträge festzusetzen, schließt seit 2015 auch die Befugnis zu Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Satz 1 AO ein, wenn „eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der obersten Bundesfinanzbehörde“ dies vorsieht. Der Sanierungserlass des BMF wurde als solche Verwaltungsvorschrift angesehen (s. z.B. Vogel/Schlüter, DB 2015 S. 344). In praktischer Hinsicht ist eine solche Deutung natürlich hoch willkommen: Der Steuerpflichtige kann die Billigkeitsmaßnahme für sämtliche Ertragsteuern vom Finanzamt erlangen, wenn dieses nicht nur die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer niedriger festsetzt, sondern auch den Gewerbesteuer-Messbetrag auf Null herabsetzt. Das Hebesatzrecht der Gemeinden läuft dann ins Leere.

Ablehnende Haltung der OFD NRW

Haben sich die Steuerpflichtigen und ihre Berater hier zu früh gefreut? Die OFD NRW hat jedenfalls am 6. Februar 2015 eine „Kurzinformation“ (Kurzinfo GewSt Nr. 02/2015, DB 2015 S. 345) herausgegeben, wonach der geänderte § 184 Abs. 2 Satz 1 AO keine Grundlage zur Anwendung des Sanierungserlasses durch das Finanzamt im Bereich der Gewerbesteuer biete. Die Gesetzesänderung könne ganz grundsätzlich nicht auf die Stundung und den Erlass von festgesetzten Gewerbesteuern angewendet werden, da sich § 184 AO nur auf das Festsetzungsverfahren beziehe, nicht aber auf das Erhebungsverfahren.

Diese Position ist als solche zutreffend, aber nicht neu, und sie adressiert nicht den entscheidenden Punkt. Die OFD vertritt in der Kurzinformation auch den Standpunkt, dass – kurz gesagt – der Sanierungserlass die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags im Festsetzungsverfahren gar nicht regele. In seinem letzten Absatz spricht der Erlass unter dem Punkt „Gewerbesteuerliche Auswirkungen“ in der Tat nur das gewerbesteuerliche Erhebungsverfahren an. Allerdings regelt der Erlass in sämtlichen vorhergehenden Passagen sehr ausführlich die Ermittlung des ertragsteuerlichen Gewinns, der nach ganz allgemeinen Regeln dem Gewerbeertrag (§ 7 Satz 1 GewStG) zugrundegelegt wird. Der Gewerbeertrag ist wiederum Grundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrags (§§ 10, 14 GewStG). Dies alles ist dem Festsetzungsverfahren zugeordnet, für das § 184 Abs. 2 Satz 1 AO gilt. Daher die optimistische Deutung durch die Berater.

Rolle rückwärts also in NRW? Jedenfalls weiter Unsicherheit allenthalben. Das BMF sollte sich daher schnell äußern, am besten durch eine Ergänzung des Sanierungserlasses, zu der aber das Einvernehmen mit den Ländern herzustellen ist. Wünschenswert wäre die Wiedereinführung einer gesetzlichen Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns, ohne die überschießende Tendenz des „alten“ § 3 Nr. 66 EStG, aber mit einer soliden Fundierung des bewährten materiellen Rechts und einer verfahrensmäßigen Verortung der Billigkeitsmaßnahmen ausschließlich auf Ebene der zuständigen Finanzämter.

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