Jetzt also doch: Der AStG-Hinzurechnungsbetrag ist nicht gewerbesteuerpflichtig!

RA/StB Dr. Christian Böing, LL.M., Director Tax, PwC Düsseldorf

RA/StB Dr. Christian Böing, LL.M., Director Tax, PwC Düsseldorf

Kaum eine Grundsatzfrage bei der Anwendung des deutschen Außensteuerrechts war in jüngerer Zeit heftiger umstritten als die, ob der Hinzurechnungsbetrag gem. § 10 Abs. 2 AStG nicht nur der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, sondern auch der Gewerbesteuer unterliegt. Diese Frage ist vor allem deshalb höchst relevant, weil die zusätzliche Belastung mit Gewerbesteuer in vielen Fällen Strafcharakter hat, da die ausländische „Niedrig“-Steuer (die z.B. im Fall der Niederlande immerhin 24,99 Prozent beträgt) nicht auf die Gewerbesteuer anrechenbar ist. Das FG Düsseldorf (Urteil vom 28.11.2013 – 16 K 2513/12 G, DB0647227, vgl. hierzu auch Graw, StR kompakt, DB0647231; vgl. auch Blog-Beitrag vom 09.04.2014) vertrat dennoch die Auffassung, dass der Hinzurechnungsbetrag mangels Anwendbarkeit etwaiger Kürzungsvorschriften in vollem Umfang auch gewerbesteuerpflichtig sei. Der I. Senat des BFH (Urteil vom 11.03.2015 – I R 10/14, DB 2015 S. 1077, DB0696052) hat dies nun im Revisionsverfahren anders gesehen und ist damit der h.M. im Schrifttum gefolgt, die z.T. mit unterschiedlichen Begründungen ebenfalls zur Gewerbesteuerfreiheit des Hinzurechnungsbetrags gelangt.

Sachverhalt

Die klagende GmbH war alleinige Gesellschafterin einer Singapur-Ltd., die im Streitjahr 2009 unstreitig als Zwischengesellschaft passive Einkünfte (Zinsen und Währungsdifferenzen) i.S.v. § 8 AStG erzielt hatte. Diese Einkünfte wurden bei der Klägerin im Rahmen des Hinzurechnungsbetrags gem. § 10 Abs. 2 AStG erklärungsgemäß als steuerpflichtige Kapitalerträge erfasst und für Zwecke der Körperschaftsteuer ihrem Einkommen hinzugerechnet. In der Gewerbesteuererklärung kürzte die Klägerin den Hinzurechnungsbetrag unter Anwendung des § 9 Nr. 3 GewStG heraus. Das beklagte FA folgte dem nicht und unterwarf den Hinzurechnungsbetrag in vollem Umfang auch der Gewerbesteuer. Das FG Düsseldorf gab dem FA Recht (vgl. Blog-Beitrag vom 09.04.2014).

Die Entscheidung des BFH

Der I. Senat des BFH hat die Entscheidung des FG erfreulicherweise aufgehoben. Zwar zählt auch der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, die grundsätzlich der Gewerbesteuer unterfallen. Jedoch sei der Hinzurechnungsbetrag nach der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG aus dem steuerpflichtigen Gewerbeertrag auszuscheiden. Nach dieser Norm ist der Gewerbeertrag eines inländischen Gewerbebetriebs um den Teil zu kürzen, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt. Die beiden kursiv gedruckten Tatbestandsmerkmale waren die Klippen, die der BFH umschiffen musste. Anders als das FG ist der BFH zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesetzeswortlaut („eine“) nicht zwingend dahingehend auszulegen sei, dass der Gewinnanteil aus einer ausländischen Betriebsstätte nur dann zu kürzen ist, wenn die Betriebsstätte eine solche der inländischen Gesellschaft (hier der Klägerin) ist. Ausreichend sei, dass der zugerechnete Gewinnanteil aus irgendeiner ausländischen Betriebsstätte stammt, also auch aus einer solchen der ausländischen Zwischengesellschaft (hier der Singapur-Ltd.). Aber auch sonst würde der Hinzurechnungsbetrag auf eine ausländische Betriebsstätte der inländischen Klägerin „entfallen“. Denn durch die Fiktion des § 10 Abs. 2 AStG würden die Einkünfte der Zwischengesellschaft in Kapitaleinkünfte der inländischen Mutter umqualifiziert und somit – entgegen der Ansicht des FG – nicht als „betriebsstättenlose Auslandseinkünfte“ in der Luft hängen, sondern auf die im Ausland belegene Betriebsstätte entfallen.

In der Literatur wird z.T. befürwortet, den Hinzurechnungsbetrag unter Anwendung des § 9 Nr. 7 GewStG (sog. internationales gewerbesteuerliches Schachtelprivileg) aus dem Gewerbeertrag heraus zu kürzen. Im Urteilsfall war unstreitig, dass die Voraussetzungen für diese Kürzungsvorschrift nicht vorlagen (keine Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie, Aktivitätsvorbehalt). Ob zumindest in Anwendungsfällen der Mutter-Tochter-Richtlinie eine Kürzung des Hinzurechnungsbetrags auch nach § 9 Nr. 7 Hs. 1 GewStG erfolgen kann, brauchte der BFH nicht zu entscheiden. Wesentlich war für ihn nur, dass § 9 Nr. 7 GewStG die vorliegend anwendbare Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG nicht sperrt. Einer weiteren Kürzungsmöglichkeit nach § 9 Nr. 8 GewStG – wie sie von Teilen der Literatur vertreten wird – erteilte der BFH wegen des Aktivitätsvorbehalts im einschlägigen DBA Singapur sowie dem auch für die Gewerbesteuer geltenden Treaty Override in § 20 Abs. 1 AStG eine klare Absage.

Würdigung und Praxiseffekte des Urteils

Das Urteil des BFH ist zu begrüßen und für die Praxis von hoher Relevanz. Von den in Betracht kommenden Kürzungsnormen hat der BFH mit § 9 Nr. 3 GewStG die – jedenfalls im Urteilsfall – am besten passende ausgewählt. In Fällen der Mutter-Tochter-Richtlinie sollte zudem § 9 Nr. 7 Hs. 1 GewStG Anwendung finden.

Eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils wäre auch nicht sachgerecht gewesen. Ein eherner Grundsatz des GewStG ist der Inlandsbezug (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Zwar gilt dieser nicht uneingeschränkt; allerdings würde die Belastung des Hinzurechnungsbetrags mit Gewerbesteuer wegen der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit der ausländischen Steuern zu einer Doppelbesteuerung führen, die es verbietet, auch insoweit eine Ausnahme vom Inlandsbezug zuzulassen.

Ungeachtet dessen, ob die Finanzverwaltung das Urteil im BStBl. II veröffentlichen und anwenden wird, sollte es bei der Erstellung von Gewerbesteuererklärungen, bei Betriebsprüfungen und Rechtsbehelfsverfahren dringend berücksichtigt werden. Denn die wirtschaftliche Belastung durch eine Gewerbesteuer auf den Hinzurechnungsbetrag kann abhängig von der Höhe des ausländischen Körperschaftsteuersatzes und des gemeindlichen Gewerbesteuerhebesatzes beträchtlich sein (vgl. dazu im Detail Kraft/Schreiber, IStR 2015 S. 149 ff.)

Das Urteil sollte den Gesetzgeber nicht auf den Plan rufen, die aktuelle Rechtslage zu überdenken und den Hinzurechnungsbetrag ungekürzt der Gewerbesteuer zu unterwerfen. Denn zum einen würde dies zu unbegründeten systematischen Verwerfungen führen. Zum anderen könnte der Gesetzgeber dann auch mit höherrangigem Recht in Konflikt geraten. Verfassungsrechtlich dürfte eine Gewerbesteuerbelastung des Hinzurechnungsbetrags ohne Anrechnung ausländischer Steuern gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstoßen. Unionsrechtlich wäre zudem die Kapitalverkehrsfreiheit zu beachten, die – entgegen der Ansicht des FG Düsseldorf – nicht einfach mit dem simplen Einwand der sog. Stand-still-Klausel weggewischt werden kann. Zwar gibt es die Hinzurechnungsbesteuerung als solche bereits seit mehr als 40 Jahren; sie hat sich aber seit 1994 (darauf kommt bei der Stand-still-Klausel an) auch im Hinblick auf die (vermeintliche) Belastungswirkung mit Gewerbesteuer strukturell fortentwickelt. Sollte der Gesetzgeber dennoch tätig werden, sollte die Anrechenbarkeit der ausländischen Steuer auf die Gewerbesteuer ein Selbstverständnis sein.

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