Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften bereitet seit längerer Zeit enorme Schwierigkeiten. Die Herausforderung besteht in der Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferbeziehungen. Durch die Zuordnung lässt sich bei grenzüberschreitenden Reihengeschäften die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung bzw. die steuerfreie Ausfuhrlieferung bestimmen. Die hierzu in den letzten Jahren ergangene Rechtsprechung ist in weiten Teilen unklar und widersprüchlich (vgl. bereits Hassa, Steuerboard vom 18.09.2014). Am 25.02.2015 hat der XI. Senat des BFH in zwei Urteilen (XI R 15/14, DB0694689; vgl. dazu auch Heuermann, DB 2015 S. 1303 und XI R 30/13, DB0694498) erneut zur Zuordnung der Warenbewegung Stellung genommen.
Hintergrund
Das BFH-Urteil vom 25.02.2015 – XI R 15/14 (DB0694689) bildet eine weitere Entscheidung in dem schier endlosen Rechtsstreit „VSTR“. Auch der EuGH war in diesen Rechtsstreit bereits im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens involviert (EuGH vom 27.09.2012 – Rs. C-587/10, VSTR, DB0509313). Dem Rechtsstreit lag ein Reihengeschäft zwischen drei Beteiligten zugrunde: einem deutschen Erstlieferanten, einem US-amerikanischen Ersterwerber und einem finnischen Zweiterwerber. Die Ware wurde unmittelbar aus Deutschland nach Finnland versendet.
Der EuGH hat den BFH darauf hingewiesen, dass für die Zuordnung der Warenbewegung darauf abgestellt werden müsse, wann die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, also die Lieferung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG beziehungsweise Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL, auf den Endempfänger erfolgt sei. Sofern diese (zweite) Lieferung im Ursprungsland, also vor dem Transport der Ware, stattgefunden habe, könne die Warenbewegung nicht mehr der ersten Lieferung zugeordnet werden. Diesen Hinweis des EuGH nahm der XI. Senat auf und verwies die Sache an das Sächsische Finanzgericht zurück. Nun hatte der XI. Senat über die erneute Revision zu entscheiden.
Übertragung der Verfügungsmacht auf den Endempfänger maßgeblich
Der XI. Senat hat (erneut) entschieden, dass die gesetzliche Vermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG unionsrechtskonform ausgelegt werden müsse. Die Warenbewegung sei gemäß § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG der zweiten Lieferung in der Reihe zuzuordnen, wenn sich nach einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls ergebe, dass die Verfügungsmacht bereits vor dem Transport der Ware auf den Endempfänger übertragen wurde.
Damit sei auf die objektiven Umstände und nicht etwa auf die „Absichtsbekundungen“ der Beteiligten abzustellen, wie dies der V. Senat (BFH vom 11.08.2011 – V R 3/10, DB0459984) und zuletzt das FG Münster (Urteil vom 16.01.2014 – 5 K 3930/10 U, DB0650709) angenommen hatten.
Transportveranlassung nicht entscheidend
In dem zweiten Urteil vom 25.02.2015 – XI R 30/13 (DB0694498) hat der XI. Senat zu einer weiteren Konstellation Stellung genommen. Es handelte sich wiederum um ein Reihengeschäft mit drei Beteiligten. In diesem Fall hatte allerdings der Zweiterwerber den Transport der Ware veranlasst. Nach bisherigem (nationalen) Rechtsverständnis musste die Warenbewegung in einem solchen Fall zwingend der zweiten Lieferung zugeordnet werden, da der transportierende Zweiterwerber nur an dieser zweiten Lieferung beteiligt war.
Nach Auffassung des XI. Senats ist allerdings auch in einem solchen Fall darauf abzustellen, wann dem Zweiterwerber die Verfügungsmacht an der Ware verschafft wurde. Die Warenbewegung sei lediglich dann der zweiten Lieferung zuzuordnen, wenn eine umfassende Würdigung des Einzelfalls ergebe, dass die Verfügungsmacht bereits im Ursprungsland auf den Zweiterwerber übertragen wurde. Ansonsten müsse die Warenbewegung der ersten Lieferung zugeordnet werden. Die Transportveranlassung ist in diesem Fall unerheblich.
Auswirkungen auf die Praxis
Der XI. Senat hat seine Rechtsprechung konsequent weitergeführt. Die Zuordnung aufgrund des Zeitpunkts der Übertragung der Verfügungsmacht auf den Endempfänger hatte der EuGH bereits in der Rechtssache VSTR vorgegeben. Damit festigt sich die Rechtsprechung und das Kriterium der Transportveranlassung tritt in den Hintergrund.
Für den Rechtsanwender sind die Schwierigkeiten, die mit der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Reihengeschäften einhergehen, allerdings keinesfalls beseitigt. Seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Euro Tyre (EuGH vom 16.12.2010 – Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, Slg. 2010, I-13335 = DB0399458) wird in der Rechtsprechung stets festgestellt, dass die Zuordnung lediglich „aufgrund einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls“ vorgenommen werden könne. Auch die jüngste Rechtsprechung greift lediglich zwei Reihengeschäftskonstellationen mit drei Beteiligten auf.
Interessant wird sein, ob es zeitnah zu einer gesetzlichen Neuordnung der Reihengeschäfte kommt, die die dringend erforderliche, umfassende Rechts- und Planungssicherheit für die Beteiligten mit sich bringt (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 08.05.2015, BR-Drucks. 121/15, S. 27).