Unter welchen Voraussetzungen Pflege- und Betreuungsleistungen unter die komplizierten Befreiungsregelungen des Umsatzsteuergesetzes fallen, hat in den letzten Jahren oftmals die Finanzgerichte beschäftigt. Dies betrifft zum Beispiel ambulante wie stationäre Pflegeeinrichtungen sowie Seniorenheime. Die unklare Rechtslage und die erheblichen Kostenfolgen für die Betroffenen verlangen nach einer Klarstellung. Dies gilt auch für die Besonderheiten der 24-Stunden-Pflege.
Durchführung einer 24-Stunden-Pflege
Bei der 24-Stunden-Pflege (bzw. -Betreuung) ist eine Betreuungskraft permanent in der Wohnung einer betreuungsbedürftigen Person anwesend. Sie übernimmt in der Regel neben Betreuungstätigkeiten (und ggf. pflegerischen Tätigkeiten) auch die hauswirtschaftliche Versorgung. Diese Betreuung kann unabhängig von der Einstufung in eine Pflegestufe bzw. von dem zusätzlichen Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes in Anspruch genommen werden. Nicht ganz unwichtig ist daher, ob zu den monatlichen Kosten noch Umsatzsteuer hinzukommt, zumal ein Vorsteuerabzug hier ausgeschlossen ist. Zur Durchführung einer 24-Stunden-Betreuung wird häufig ein Vertrag mit einem Dienstleister in einem osteuropäischen EU-Mitgliedstaat abgeschlossen, der dazu einen bzw. mehrere Arbeitnehmer im Wechsel einsetzt. Im Rahmen einer solchen Arbeitnehmerentsendung verbleiben die Sozialversicherungs- und Lohnsteuerpflichten im Sitzstaat des Dienstleisters.
Unübersichtliche Steuerbefreiungen für Pflege- und Betreuungsleistungen
Die ausführliche Regelung der Steuerbefreiungen für Betreuungs- und Pflegeleistungen (§ 4 Nr. 16 UStG) lehnt sich in ihrer alten wie neuen Fassung (seit 2009) stark an Regelungen des Sozialrechts an. So muss es sich im Bereich der Pflege um Einrichtungen handeln, die Verträge nach dem SGB XI mit den Pflegekassen unterhalten. Eine Auffangregelung verlangt alternativ, dass die Betreuungskosten in mindestens 25 Prozent der Fälle ganz oder überwiegend von den Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe übernommen werden (40 Prozent der Fälle nach alter Fassung). Diese Anforderungen erfüllen gerade die Anbieter der 24-Stunden-Betreuung nicht, zumal wenn es sich um ausländische Unternehmen handelt.
Unmittelbares Berufen auf EU-Richtlinie hilft
Hier kann das EU-Recht helfen. Denn die Mehrwertsteuersystemrichtlinie befreit eng mit der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen von der Umsatzsteuer, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime oder andere von dem Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL). Die unionsrechtliche Steuerbefreiung nimmt naturgemäß auf die Besonderheiten des deutschen Sozialrechts keine Rücksicht. Dadurch entsteht ein Spannungsverhältnis zu dem Wortlaut der deutschen Regelungen. Die zahlreichen jüngeren Entscheidungen der Finanzgerichte legen nahe, dass dies wohl zu Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung geführt hat, insbesondere wenn diese sich an den abweichenden Wortlaut des UStG halten will. Ein Unternehmer kann sich dann unmittelbar auf die Steuerbefreiung der EU-Richtlinie berufen.
24-Stunden-Pflege fällt durch das Raster der deutschen Steuerbefreiungen
Insbesondere die Bedingung der Kostenübernahme in der deutschen Steuerbefreiung ist im Hinblick auf die EU-Richtlinie problematisch. Das hat auch das FG Rheinland-Pfalz für einen inländischen Pflegedienst auf den Punkt gebracht (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.04.2014 – 6 K 1796/13). Dieser Pflegedienst erbrachte schwerpunktmäßig Leistungen der 24-Stunden-Pflege durch Kräfte aus Osteuropa. Die Kostenübernahmegrenze von 40 Prozent (alte Fassung) wurde verfehlt; das Finanzamt verweigerte daher die Steuerbefreiung. Nach Auffassung des Finanzgerichts kann sich der Pflegedienst unmittelbar auf die Steuerbefreiung der EU-Richtlinie berufen, weil die 24-Stunden-Pflege eine eng mit der Sozialfürsorge verbundene Leistung ist. Die 40-Prozent-Schwelle des UStG verstoße gegen den mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatz und sei daher nicht zu beachten. Denn die Steuerbefreiung sei von Zufälligkeiten bzw. Umständen abhängig, die der Pflegedienst nicht beeinflussen könne und die von der jeweiligen Ausgestaltung des Pflegeversicherungsrechts abhingen. Die Nichterfüllung der Steuerbefreiung nach dem UStG habe ihre Ursache darin, dass die Pflegekassen nur weit hinter den tatsächlich anfallenden Kosten zurückbleibende Leistungen erbrächten. Die Steuerbefreiung der Leistungen des Pflegedienstes sei davon abhängig, ob seine Kunden finanziell leistungsfähig bzw. so vermögend seien, um die von den Pflegekassen nicht übernommenen Leistungen selbst bezahlen zu können.
Im Streitfall wurde die Einordnung des Pflegedienstes als anerkannte Einrichtung nach der EU-Richtlinie dadurch erleichtert, dass es sich um einen inländischen Pflegedienst handelte, der zudem Verträge mit Pflegekassen abgeschlossen hatte. Allerdings ist beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig (XI R 23/14). Schließt der Betreuungsbedürftige einen Vertrag mit einem Dienstleister im EU-Ausland, sind dessen Umsätze in Deutschland nicht umsatzsteuerbar. Denn der Leistungsort liegt im Ausland. Über die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung (evtl. der EU-Richtlinie) entscheidet dann die dortige Finanzverwaltung.
Gesetzgeber muss handeln
In Deutschland verbreitet sich die Erkenntnis, dass die gesetzliche Regelung zumindest teilweise unionsrechtswidrig ist. Wenn sich die Anbieter von Betreuungs- und Pflegeleistungen daher erst nach entsprechenden Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung und ggf. erst mithilfe der Finanzgerichte auf die Steuerbefreiung nach der EU-Richtlinie berufen können (und zwischenzeitlich Umsatzsteuer abführen müssen), wird dadurch eine unnötige Belastung der Betroffenen in einem gesellschaftlich wichtigen Bereich ausgelöst. Dies betrifft auch die Leistungen der 24-Stunden-Betreuung. Der Gesetzgeber wird die Reichweite der Steuerbefreiungen klarstellen müssen.