Bei lebzeitigen Unternehmensübertragungen ist das ertragsteuerliche Modell der „Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen“ weit verbreitet. Hierbei überträgt der Unternehmer sein Unternehmen oder wesentliche Teile davon auf den Nachfolger und lässt sich von diesem im Gegenzug lebenslange, seinen Lebensunterhalt sichernde Geldleistungen gewähren. Unter gewissen Voraussetzungen handelt es sich dabei entgegen der allgemeinen ertragsteuerlichen Systematik nicht um einen entgeltlichen Vorgang, der zu einer Realisierung stiller Reserven führt. Allerdings kann der Übernehmer die von ihm gewährten Geldleistungen als Sonderausgaben abziehen; der Übergeber muss die empfangenen Geldleistungen als sonstige Einkünfte versteuern (Korrespondenzprinzip).
Zeitlich gestreckte „gleitende“ Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen
Nach der Rechtsprechung kann die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen im ertragsteuerlichen Sinne zeitlich gestreckt dergestalt erfolgen, dass der Übergeber sich zunächst einen Nießbrauch vorbehält und dieser erst viele Jahre später durch eine Zusage auf laufende Versorgungsleistungen ersetzt wird (BFH vom 03.06.1992 – X R 14/89, DB 1992 S. 2424; vom 03.06.1992 – X R 147/88, DB 1993 S. 205 und vom 25.11.1992 – X R 34/89, DB 1993 S. 816). Während der Laufzeit des Nießbrauchs sind die Regeln über die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen nicht anwendbar. Wird der Nießbrauch später unmittelbar durch laufende Geldleistungen an den Nießbraucher abgelöst, bleibt der erforderliche „sachliche Zusammenhang“ mit der ursprünglichen Vermögensübertragung jedoch gewahrt und die gewährten Geldleistungen können beim Verpflichteten als Sonderausgaben abgezogen werden.
Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen bis 31.12.2007
Nach jahrzehntealter Rechtsprechung des BFH und grundsätzlicher Anerkennung durch Finanzverwaltung und Gesetzgeber (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG 2007) galt die ertragsteuerliche Privilegierung von Vermögensübertragungen gegen Entgelt in Form von wiederkehrenden Zahlungen bis Ende 2007 für unzählige verschiedene Arten von Wirtschaftsgütern, neben Unternehmensbeteiligungen jeder Art etwa auch für Mietimmobilien im steuerlichen Privatvermögen, kurzum jede „existenzsichernde Wirtschaftseinheit“.
Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen seit 01.01.2008
Der Anwendungsbereich der steuerneutralen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ist mit Beginn des Jahres 2008 stark eingeschränkt worden. Zu den privilegierten Vermögensarten zählen seither nur noch Einzelunternehmen oder Teile davon, Mitunternehmeranteile an land- und forstwirtschaftlich, freiberuflich oder originär gewerblich tätigen (gewerbliche Prägung genügt nicht!) Personengesellschaften, sowie GmbH-Geschäftsanteile, wenn mindestens 50% des Stammkapitals auf den Übernehmer übertragen werden und der Übergeber vor der Übertragung Geschäftsführer der GmbH war und der Übernehmer dies nach der Übertragung wird (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG 2008, jetzt: § 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Für Altfälle blieb die Rechtslage dagegen unverändert, d.h. die ertragsteuerliche Behandlung von vor 2008 erfolgten Übertragungen richtet sich bis heute nach dem bis 31.12.2007 geltenden Recht (§ 52 Abs. 18 Satz 1 EStG).
„Gleitende“ Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen in Altfällen
Wurden vor dem 01.01.2008 Wirtschaftsgüter, deren Übertragung seit diesem Datum nicht mehr privilegiert ist – etwa Anteile an gewerblich geprägten Personengesellschaften oder Mietimmobilien –, unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen, stellt sich die Frage, ob in diesen Altfällen heute gleichwohl noch eine Ablösung des Nießbrauchs durch ertragsteuerlich abzugsfähige Versorgungsleistungen nach der bis zum 31.12.2007 gültigen Rechtslage erfolgen kann. Zahlreiche Altfälle könnten dann heute noch auf das ertragsteuerlich günstige Modell der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen umgestellt werden.
Bisherige Auffassung der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung vertrat bisher die Auffassung, dass in Altfällen das bis zum 31.12.2007 gültige Recht bei späterer Umstellung des Nießbrauchs auf wiederkehrende Versorgungsleistungen nur dann anwendbar sei, wenn dies bereits im ursprünglichen Übertragungsvertrag verbindlich konkret vereinbart wurde (BMF vom 11.03.2010, BStBl. I 2010 S. 227 = DB 2010 S. 588, Tz. 85). Erfolgte die Vereinbarung der Ablösung des Nießbrauchs hingegen erst nach dem 31.12.2007, sollte nach Verwaltungsansicht ausschließlich das ungünstigere, seit dem 01.01.2008 geltende Recht anzuwenden sein.
Anwendung des BFH-Urteils vom 12.05.2015 – IX R 32/14 durch die Finanzverwaltung
Mit Urteil vom 12.05.2015 (IX R 32/14, DB 2015 S. 1935) ist der BFH der Ansicht der Finanzverwaltung deutlich entgegengetreten. Nach Meinung des BFH kommt es nicht darauf an, wann der Nießbrauch abgelöst wird und ob die spätere Ablösung durch Versorgungsleistungen bereits vor dem 31.12.2007 vertraglich vereinbart worden war. Demnach können Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der gleitenden Übergabe von steuerlichem Privatvermögen auch weiterhin als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn die Vermögensübertragung vor dem 01.01.2008 vereinbart (nicht notwendig vollzogen) worden ist. Die Finanzverwaltung wird die Entscheidung des BFH künftig allgemein anwenden (BMF vom 06.05.2016, DB 2016 S. 1165).
Fazit
Der Anwendungsbereich der zeitlich gestreckten „gleitenden“ Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen in Altfällen war – bei Zugrundelegung der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung – klein. Das Erfordernis der vertraglichen Vereinbarung einer späteren Ablösung des vorbehaltenen Nießbrauchs gegen Versorgungsleistungen findet sich in kaum einem Altfall, zumal dieses von der Finanzverwaltung verlangte Kriterium erst nach Inkrafttreten der neuen Rechtslage zum 01.01.2008 veröffentlicht worden war. Mit der Entscheidung des BFH vom 12.05.2015 (a.a.O.) und seiner jüngst erfolgten Anerkennung durch die Finanzverwaltung bietet sich nun in vielen Altfällen zumindest die Möglichkeit, eine Ablösung des Nießbrauchs gegen Versorgungsleistungen auch heute noch vorzunehmen und die danach gewährten Versorgungsleistungen beim Verpflichteten als Sonderausgaben abzuziehen.