Mit dem aktuellen Entwurf des „Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“ (XQ1216448; vgl. hierzu auch Dreßler/Rogall, DB 2016 S. 2375) nimmt die Bundesregierung erneut einen Anlauf, die restriktive Verlustnutzungsbeschränkung des § 8c KStG zu entschärfen. Bereits rückwirkend ab dem 01.01.2016 soll ein neuer § 8d KStG eingeführt werden, wonach die Verluste in bestimmten Konstellationen trotz eines schädlichen Anteilseignerwechsels auf Antrag nicht untergehen.
Mehr Wagniskapitalinvestitionen als eigentliches Ziel
Die Grundidee des neuen § 8d KStG-E ist, wirtschaftlich gewünschte Investitionen von Wagniskapitalgebern nicht an steuerlichen Hindernissen scheitern zu lassen. Der Gesetzgeber hat dabei den konkreten Fall im Blick, dass ein Investor sich mit über 25% an einem deutschen Startup-Unternehmen beteiligen möchte, welches über Verlustvorträge, aber noch nicht über ausreichend stille Reserven verfügt. Aktuell würde diese Investition zu einem anteiligen oder auch vollständigen Untergang der Verlustvorträge bei dem Startup-Unternehmen führen, was im Einzelfall den gewollten Kapitalzufluss in die Gesellschaft verhindern kann.
Zugleich aber keine selektive Begünstigung und keine Zulassung eines Mantelkaufs
Auch wenn der Gesetzgeber vor allem junge deutsche Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen vor Augen hat, spricht er diese Zielgruppe mit dem neuen § 8d KStG-E aufgrund seiner früheren Erfahrungen mit der EU-Kommission nicht direkt an. Denn bereits im Jahr 2008 wurde durch eine Ausnahmeregelung in § 8c Abs. 2 KStG ein Versuch unternommen, gezielt Wagniskapitalinvestitionen zu fördern. Die Regelung trat jedoch nie in Kraft, weil die EU-Kommission diese als eine selektive europarechtswidrige Beihilfemaßnahme einstufte. Vor diesem Hintergrund kam für den Gesetzgeber nunmehr nur eine Vorschrift in Frage, die für alle Kapitalgesellschaften gleichermaßen gilt.
Der Gesetzesentwurf verfolgt zugleich ein weiteres entscheidendes Ziel: Ein erneuter missbräuchlicher Mantelkauf soll keinesfalls zugelassen werden, wie es vor der Schaffung des § 8 Abs. 4 KStG a.F. möglich gewesen ist.
Der „Geschäftsbetrieb“ als neuer zentraler Anknüpfungspunkt
Vor allem der Missbrauchsgefahr möchte der Gesetzgeber mit der Anknüpfung der Begünstigung an die Fortführung des Geschäftsbetriebs vorbeugen. Die zentrale Voraussetzung des neuen § 8d KStG-E ist daher, dass die Körperschaft in den letzten drei Jahren vor der Antragstellung oder – wenn sie seit weniger als drei Jahren existiert – seit ihrer Gründung ein- und denselben Geschäftsbetrieb unterhält. Sie muss diesen Geschäftsbetrieb auch nach dem Anteilseignerwechsel weiterhin aufrechterhalten, bis die betroffenen Verluste mit künftigen Gewinnen verrechnet worden sind.
Der Geschäftsbetrieb wird dabei als „die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigung der Körperschaft“ definiert und soll sich nach qualitativen Merkmalen, wie etwa den angebotenen Dienstleistungen und Produkten, dem Kunden- und Lieferantenkreis, der bedienten Märkte und der Qualifikation der Arbeitnehmer bestimmen. Jedem vernünftig denkenden Menschen ist bereits jetzt klar, dass bei solch einer Vielzahl an auslegungsbedürftigen Kriterien eine hohe Zahl von Streitigkeiten vor den Finanzgerichten vorprogrammiert ist.
Schädliche Ereignisse für den fortführungsgebundenen Verlustvortrag
Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen an den Geschäftsbetrieb zum Zeitpunkt des Anteilseignerwechsels erfüllt sind, kann die betroffene Gesellschaft entscheiden, ob sie von dem neuen „fortführungsgebundenen Verlustvortrag“ Gebrauch machen will.
Die Begünstigung des neuen § 8d KStG-E ist mit Auflagen verbunden. So darf die Gesellschaft in der Folgezeit den Geschäftsbetrieb nicht einstellen oder wesentlich verändern, keinen zusätzlichen Betrieb aufnehmen, sich nicht an Mitunternehmerschaften beteiligen, kein Organträger werden und keine Wirtschaftsgüter unter gemeinem Wert erwerben. Tritt eines dieser schädlichen Ereignisse ein, soll nur der gesamte zu diesem Zeitpunkt noch verbleibende Verlustvortrag in Höhe der zu demselben Zeitpunkt vorhandenen stillen Reserven erhalten bleiben. Ein darüber hinausgehender Verlustvortrag soll dagegen in voller Höhe (und nicht wie bei § 8c KStG gegebenenfalls nur anteilig) untergehen.
§ 8d KStG-E und der Spagat
Ob es dem Gesetzgeber mit der Neuregelung gelungen ist, die verschiedenen Ziele sinnvoll zu verbinden, wird sich im Laufe der Jahre zeigen. Wenn man bedenkt, dass von dem neuen § 8d KStG-E vor allem junge Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen profitieren sollen und gleichzeitig keinesfalls das Handeln mit steuerlichen Verlustvorträgen möglich werden soll, so liegt das Schwergewicht der Regelung eindeutig auf Letzterem. An den europarechtlichen Vorgaben sollte der neue § 8d KStG auf jeden Fall nicht scheitern.
In meinen Augen lassen sich Innovation und eine steuerliche Vorschrift, welche über Jahre hinweg die Anpassung des Geschäftsbetriebs an sich schnell ändernde wirtschaftliche Gegebenheiten verbietet, nur schwer miteinander in Einklang bringen. Dynamische Unternehmen jedenfalls werden von der Begünstigung angesichts der Unflexibilität der Regelung wohl nur schwer profitieren können.