Jüngste Meldungen über ausländische Online-Händler werfen abermals ein Schlaglicht auf die Umsatzsteuer: Viele Unternehmen verkaufen deutschen Kunden über elektronische Plattformen Waren und Kundengelder, ohne die Umsatzsteuer an den Fiskus abzuführen und vereinnahmen das Entgelt mit Unterstützung von Plattformbetreibern „brutto wie netto“. Die Umsatzsteuer gerät so immer mehr in den Fokus der Finanzverwaltung. Und das bleibt nicht ohne Folgen: Auch Unternehmer, die versuchen, ihre Steuererklärungen möglichst zeitnah und richtig abzugeben, die aber angesichts der Komplexität dieser Steuerart an dieser Aufgabe bisweilen scheitern, geraten inzwischen eher als in der Vergangenheit in das Visier des Finanzamts.
Innerbetriebliches steuerliches Kontrollsystem zwingend geboten
Erkennt der Unternehmer, dass er versehentlich eine unrichtige Umsatzsteuererklärung abgegeben hat, muss er gegenüber seinem Finanzamt unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, eine Berichtigungsanzeige gem. § 153 AO abgeben. Das BMF-Schreiben vom 23.05.2016 (Änderung des Anwendungserlasses zur AO in Bezug auf § 153 AO; vgl. hierzu Seer, DB 2016 S. 2192 sowie Esterer, DB1202409) legt dem Steuerpflichtigen nahe, es nicht allein bei der Berichtigungsanzeige zu belassen: Denn der Hinweis, „hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient (…) kann (…) gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen (…).“ ist zwar grundsätzlich ein positives Signal.
Aber auch eine frohe Botschaft wie diese kann missverstanden werden: Ein Unternehmer, der den Fehlern und deren Ursachen nicht auf den Grund geht und angemessen begegnet, wird sich im Wiederholungsfall einer Finanzbehörde gegenübersehen, die das als Anhaltspunkt dafür heranziehen wird, dem Steuerpflichtigen eine leichtfertige oder sogar bedingt vorsätzliche Umsatzsteuerverkürzung vorzuwerfen. De-facto sind Unternehmer damit gehalten, auch für steuerliche Zwecke ein Mindestmaß an Tax Compliance Management gerade im Bereich der Umsatzsteuer sicherzustellen. Der zwischenzeitlich veröffentlichte IDW Praxishinweis zur Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems enthält zwar Hinweise darauf, welche Elemente ein solches innerbetriebliches steuerliches Kontrollsystem aufweisen soll (Kultur, Ziele, Organisation, Risiken, Programm, Kommunikation und Überwachung sowie Verbesserung). Die Empfehlung kann aber letztlich der Natur der Sache nach keine konkrete Hilfestellung dafür bieten, wie ein angemessenes Tax Compliance Management System – insbesondere für die Umsatzsteuer – realiter einzurichten ist.
Unternehmer muss in die Risikoinventur gehen, um Gefahren zu begegnen
Während für die Compliance-Kultur, -Kommunikation, -Überwachung und -Verbesserung kaum umsatzsteuerspezifische Besonderheiten gelten, ist diese Aussage in Bezug auf die Compliance-Ziele weniger eindeutig: Die rechtzeitige und vollständige Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen für das Inland samt Einhaltung gesetzlicher Nachweis-, Aufbewahrungs- und Aufzeichnungspflichten ist eine „gesetzte Größe“. Die Pflicht zur Abgabe korrekter ausländischer Umsatz- und Mehrwertsteuererklärungen folgt zwar nicht aus § 153 AO, kann sich aber aus dem nationalen Steuerstrafrecht ableiten, § 370 Abs. 4 AO. Auch vordergründig für die nationale Besteuerung nicht relevante Umstände können sich auf die hiesige Steuerschuld auswirken: Denn das Finanzamt kann den Abzug nationaler Vorsteuer oder die Steuerfreiheit einer im Inland anzumeldenden innergemeinschaftlichen Lieferung bei vermeintlich „kollusivem Zusammenwirken“ oder angenommener „Bösgläubigkeit“ des Unternehmers auch versagen, wenn die Folgen des Mehrwertsteuerbetrugs tatsächlich im EU- Ausland eintreten und aus Sicht des Finanzamts die ausländische Mehrwertsteuer eines anderen EU-Mitgliedstaats verkürzt werden soll. Für Art und Umfang der im Rahmen des Compliance Managements zu überwachenden Transaktionen ist somit nicht allein auf im Inland steuerbare Transaktionen abzustellen.
Diese Umstände rücken das für die Umsatzbesteuerung unternehmensspezifisch zu bestimmende eigene Risikoprofil und -programm in den Mittelpunkt. Ersteres umfasst im Wesentlichen folgende „Dimensionen“:
- Materielle Umsatzsteuerrisiken im engeren Sinn,
- Risiken in Geschäftsprozessen sowie
- Risiken im Erklärungs- und Meldeprozess.
Die Risikoaufnahme nimmt eine zentrale Rolle im Management der „Umsatzsteuer-Compliance“ ein. Denn potenziellen Gefahren kann ein Unternehmer nur effektiv begegnen, wenn er sie auch kennt. Er muss in die Risikoinventur gehen.
Die Erfahrung zeigt: Nicht allein auf eigene „Bordmittel“ setzen
Materielle Umsatzsteuerrisiken sind jene, die sich aus der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung des vom Unternehmer betriebenen Geschäfts unmittelbar ableiten: Mit dem Wegfall der Zollgrenzen obliegt es den Unternehmern, der Finanzbehörde das Gelangen von Waren in das EU-Ausland buch- und belegmäßig nachzuweisen. Wer an Unternehmer im Ausland Dienstleistungen ausführt, sollte die Ansässigkeit und Unternehmereigenschaft des Geschäftskunden im Ausland belegen können. Mit Risiken in Geschäftsprozessen sind vor allem solche angesprochen, die auf Schwachstellen in Unternehmensabläufen und Schnittstellen zurückzuführen sind. Die Spannbreite reicht von der Verwendung unrichtiger „Steuerschlüssel“ bei Bestellungsannahme über eine unzulängliche Überprüfung von Lieferanten und Kunden.
Letzteres kann in Kombination mit einer objektiven Steuerverkürzung des Geschäftspartners im Ausland als Indiz für die Bösgläubigkeit des Unternehmers gedeutet werden. Besteht dann auch noch ein objektiver Zusammenhang mit einem betrugsbehafteten Geschäft, kann das Finanzamt z.B. die Steuerfreiheit im Inland angemeldeter Binnenmarktumsätze aberkennen oder aber den Vorsteuerabzug versagen und in Reihengeschäftsfällen auch den Unternehmer für die inländische Steuerschuld eines Vorlieferanten haften lassen.
Risiken im Erklärungsprozess können bereits die Erstellung der Steuererklärung im engeren Sinn betreffen, d.h. das Befüllen des (elektronischen) Umsatzsteuervoranmeldungsformulars mit aus dem Rechnungswesen stammenden Daten (welche Werte aus dem Datenblatt sind in welches Kästchen einzutragen?). Diese theoretisch trennscharf abgrenzbaren Risiken können auch in Kombination auftreten und so zur Anmeldung zu niedriger oder aber zu hoher Steuerzahllasten führen. Letzteres stellt kein Compliance-Risiko dar, wirkt sich aber nachteilig auf den Unternehmenserfolg aus. In einem steuerlichen Kontrollsystem sollten den identifizierten Risiken passende Kontrollen zugeordnet werden, deren Durchführung auch zu dokumentieren ist.
Die Erfahrung zeigt: Hier sollte der Unternehmer nicht allein auf eigene „Bordmittel“ setzen, sondern einen externen Dritten mit kritischem Blick auf materielle Umsatzsteuerrisiken, Unternehmensabläufe und den Erklärungsprozess hinzuziehen.