Die Zuordnung der Warenbewegung bei Reihengeschäften beschäftigt die Finanzrechtsprechung seit Jahren. Leider erweist sich die ergangene Rechtsprechung als uneinheitlich (siehe bereits Hassa, Steuerboard vom 18.09.2014 und vom 21.08.2015). Die Schwierigkeiten bei der umsatzsteuerrechtlichen Abwicklung dieser häufig vorkommenden Geschäftsvorfälle konnten so bis heute nicht ausgeräumt werden. Rechtssicherheit wird wohl erst eine Entscheidung des EuGH in einem aktuellen Vorlageverfahren bringen.
Vorgaben des EuGH
Nach wie vor bereitet die Umsetzung der Vorgaben des EuGH auf nationaler Ebene erhebliche Schwierigkeiten. Der EuGH hat in den Jahren 2010 und 2012 in den Rechtssachen Euro Tyre (Urteil vom 16.12.2010 – Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DB 2011 S. 150) und VSTR (Urteil vom 27.09.2012 – Rs. C-587/10, VSTR, DB 2012 S. 2436) einige Vorgaben für die Zuordnung der Warenbewegung gemacht.
Nationale Rechtsprechung
In Deutschland hat der XI. Senat des BFH in seinem Urteil vom 25.02.2015 (XI R 15/14, DB 2015 S. 901) entschieden, dass die gesetzliche Vermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG unionsrechtskonform ausgelegt werden könne. Die Warenbewegung sei der zweiten Lieferung in der Reihe zuzuordnen, wenn sich nach einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls ergebe, dass die Verfügungsmacht bereits vor dem Transport der Ware auf den Endempfänger übertragen wurde. Umgekehrt soll die Warenbewegung der ersten Lieferung zuzuordnen sein, wenn die Verfügungsmacht erst im Bestimmungsland auf den Endempfänger übertragen wurde (BFH vom 25.02.2015 – XI R 15/14, DB 2015 S. 901, Rn. 53).
In einem zweiten Urteil vom 25.02.2015 (XI R 30/13, DB 2015 S. 842) hat der XI. Senat des BFH entschieden, dass diese Grundsätze auch gelten müssen, wenn der Zweiterwerber den Transport der Ware veranlasst hat. Die Warenbewegung sei lediglich dann der zweiten Lieferung zuzuordnen, wenn eine umfassende Würdigung des Einzelfalls ergebe, dass die Verfügungsmacht bereits im Ursprungsland auf den Zweiterwerber übertragen wurde. Ansonsten müsse die Warenbewegung der ersten Lieferung zugeordnet werden. Die Transportveranlassung ist in diesem Fall unerheblich.
Diese Grundsätze wurden seitdem durch die Rechtsprechung der Finanzgerichte weiter ausgeformt (vgl. etwa FG Rheinland-Pfalz vom 31.05.2016 – 3 K 1364/15).
Kritik
Leider werden durch diese nationale Rechtsprechung die Vorgaben des EuGH nicht in ausreichender Weise beachtet. Der EuGH hat in der grundlegenden Rechtssache Euro Tyre Hinweise für ein umfassendes Zuordnungskonzept gegeben. Dieses Konzept wird auf nationaler Ebene nicht hinreichend umgesetzt (vgl. dazu ausführlich Hassa, UR 2016 S. 493-506).
Zwar wird von den nationalen Gerichten von einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls gesprochen. Tatsächlich verengt sich die Würdigung aber auf den Zeitpunkt der Weiterübertragung der Verfügungsmacht auf den Endempfänger. Damit wird aber nur eines der Zuordnungskriterien aus dem Konzept des EuGH herausgegriffen.
Zwar hat der EuGH tatsächlich festgehalten, dass eine Zuordnung der Warenbewegung zu der ersten Lieferung ausscheidet, wenn die Verfügungsmacht bereits im Ursprungsland auf den Zweiterwerber übertragen wurde (EuGH vom 16.12.2010 – Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DB 2011 S. 150, Rn. 33). Die Warenbewegung muss dann also der zweiten Lieferung zugeordnet werden.
Allerdings geht der Rückschluss zu kurz, wonach die Warenbewegung zwingend der ersten Lieferung zugeordnet werden müsse, wenn eine Weiterübertragung auf den Enderwerber erst im Bestimmungsland erfolgt. Dies drückt sich schon darin aus, dass die Feststellungen in der Rechtssache Euro Tyre dann in weiten Teilen völlig überflüssig wären. Es hätte lediglich der letzte Halbsatz des Tenors in der Rechtssache Euro Tyre Bedeutung („[…] sofern das Recht, über den Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, im Bestimmungsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Beförderung auf den Zweiterwerber übertragen wurde“). Der gesamte Hauptsatz, der im Übrigen den Tenor bildet, wäre völlig überflüssig. Die weiteren erwähnten Kriterien (Übertragung der Verfügungsmacht auf den Ersterwerber, Absichtsbekundung und Umsatzsteuer-Identifikationsnummer) wären funktionslos.
Der EuGH hat allerdings selbst erheblich zu diesen Unsicherheiten beigetragen, indem er in der Rechtssache VSTR die grundlegenden Ausführungen aus der Rechtssache Euro Tyre in verkürzter und damit missverständlicher Weise wiederholt hat.
Erneutes Vorlageverfahren beim EuGH
Abhilfe könnte nun aber ein kürzlich initiiertes, erneutes Vorlageverfahren beim EuGH schaffen (anhängig beim EuGH: Rs. C-386/16). Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, ob der EuGH die Gelegenheit nutzt, sein bereits in der Rechtssache Euro Tyre entwickeltes Zuordnungskonzept zu verdeutlichen.