Dringender Handlungsbedarf bei Cum/Cum-Geschäften zur Vermeidung einer steuerlichen „Bananenrepublik“

Prof. Dr. Christoph Spengel, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre II der Universität Mannheim sowie Research Associate am ZEW, Mannheim

Prof. Dr. Christoph Spengel, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirt-schaftslehre und Betriebswirt-schaftliche Steuerlehre II der Universität Mannheim sowie Research Associate am ZEW, Mannheim

Bei Cum/Cum-Geschäften, die in Form des Aktienkaufs oder der Wertpapierleihe vorgenommen wurden, kommt es nach der Rechtsprechung des BFH auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an, ob wirtschaftliches Eigentum gem. § 39 Abs. 2 AO auf den Erwerber bzw. den Entleiher übergegangen ist oder nicht. Sollte das wirtschaftliche Eigentum übergegangen sein, kommt es wiederum auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an, ob ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO vorliegt. Sollte das wirtschaftliche Eigentum nicht übergegangen sein oder die Zurechnung der Dividenden wegen der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs versagt werden, ist auch die Anrechnung bzw. Erstattung der Kapitalertragsteuer gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu versagen. Das kann gravierende finanzielle Auswirkungen für Banken in Deutschland haben, soweit diese als Entleiher oder kurzfristiger Erwerber agiert haben (zum Ganzen vgl. Spengel, DB1224506).

Cum/Cum-Geschäfte als Steuersparmodell

Ein Journalistennetzwerk hat im Mai 2016 ausschließlich steuerlich motivierte Cum/Cum-Geschäfte im Bankenbereich aufgedeckt. Nach Maßgabe der vom BFH aufgestellten Kriterien ist für diese Geschäfte regelmäßig nicht von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 Abs. 2 AO auszugehen. Sollte es dazu aufgrund der konkreten Ausgestaltung gleichwohl gekommen sein, ist aufgrund der ausschließlichen steuerlichen Motivation regelmäßig zu vermuten, dass ein Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO vorliegt. Die Journalisten beziffern den Steuerschaden durch Kapitalertragsteuerausfall in Deutschland in den Jahren 2013 bis 2015 auf eine Milliarde € pro Jahr. Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen singulären Fall einer großen US-Bank, der somit lediglich die Spitze des Eisbergs markiert. Cum/Cum-Geschäfte werden bereits seit Mitte der 70-iger Jahre des vorherigen Jahrhunderts in großem Stil praktiziert.

Mögliche Strafbarkeit der Modellbeteiligten

Für Personen, die bei der Abgabe der Steuererklärung mitgewirkt haben, kommt die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO oder eine leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378 AO in Betracht, falls nicht der Gesamtsachverhalt offengelegt worden sein sollte. Auch dies ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls (zu den im Fokus der Steuerfahndung stehenden Cum/Ex-Transaktionen vgl. Spatscheck/Spilker, DB1223262).

Zweifelhafte Reaktion der Finanzverwaltung auf Cum/Cum-Geschäfte

Angesichts der prognostizierten Steuerausfälle im Milliardenbereich über viele Jahre hinweg, der eindeutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen (§ 39 Abs. 2 AO, § 42 AO) verbunden mit der Weiterentwicklung der einschlägigen Rechtsprechungsgrundsätze sowie der beträchtlichen haftungs- und strafrechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit Cum/Cum-Geschäften stellen, ist die Untätigkeit von Gesetzgebung und Finanzverwaltung auch vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips unverständlich.

Mit Schreiben vom 11.11.2016 hat das BMF – dem Vernehmen nach unter großem Druck – reagiert, um Cum/Cum-Geschäfte mit Wirkung für die Vergangenheit aufzugreifen (zum BMF-Schreiben vgl. Ditz/Tcherveniachki, DB1224151). Nur eine Woche nach Veröffentlichung dieses BMF-Schreibens folgte am 18.11.2016 eine Rundverfügung der OFD Frankfurt. Beide Verwaltungsakte sind an entscheidenden Stellen jedoch missverständlich und nicht eindeutig formuliert. Vielmehr besteht berechtigter Anlass zur Vermutung, dass Cum/Cum-Geschäfte im Bankenbereich mit Wirkung für die Vergangenheit trotz eines Steuerschadens im Milliardenbereich nicht aufgegriffen werden sollen.

Dass diese Vermutung berechtigt ist, zeigen die Vorgänge unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung des o.a. BMF-Schreibens. Es darf als doppeltes Novum in der deutschen Steuerpolitik gelten, dass sich neben dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags am 30.11.2016 auch die Länderfinanzministerkonferenz (LFK) am darauf folgenden Tag mit dem o.a. BMF-Schreiben beschäftigt hat. Die LFK hat das BMF am 01.12.2016 mit einer deutlichen Mehrheit von zehn zu fünf Ministerstimmen um Klarstellungen und Ergänzungen seines Schreibens gebeten.

Aufgrund des entgegengesetzten Ministervotums ist das o.a. BMF-Schreiben nicht anwendbar, auch wenn das BMF dem Vernehmen nach anderer Auffassung ist. Zudem kann ein BMF-Schreiben kein Recht setzen. Dem Vernehmen nach hat auch die OFD Frankfurt ihre o.a. Rundverfügung mittlerweile zurückgezogen. Auch das Niedersächsische Finanzgericht hat sich in seinem Urteil vom 17.11.2016 ausdrücklich von den fraglichen Passagen des o.a. BMF-Schreibens distanziert.

Deutschland befindet sich derzeit somit im Zustand einer steuerlichen „Cum/Cum-Bananenrepublik“, denn diesen Geschäften ist vor dem Hintergrund der eindeutigen Gesetzeslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung – je nach konkreter Ausgestaltung – die steuerliche Anerkennung zu versagen. Diesen Umstand werden auch die Wirtschaftsprüfer im Rahmen der anstehenden Abschlussprüfung betroffener Institute zu beachten haben und beurteilen müssen, ob steuerliche Rückstellungen zu bilden sind.

Bei Cum/Cum-Geschäften besteht also dringender Handlungsbedarf. Unverständlich ist, warum das BMF immer noch auf Zeit spielt und einen Zick-Zack-Kurs fährt.

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