Vorsteuerabzug bei fehlerhafter Rechnung: BFH erkennt rückwirkende Rechnungsberichtigung an

RA/FAStR Thomas Streit, LL.M. Eur., Managing Associate bei KÜFFNER MAUNZ LANGER ZUGMAIER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München

RA/FAStR Thomas Streit, LL.M. Eur., Managing Associate bei KÜFFNER MAUNZ LANGER ZUGMAIER Rechtsanwaltsgesell-schaft mbH, München

Erst vor wenigen Wochen hat der EuGH sein Urteil in der Rechtssache Senatex (Urteil vom 15.09.2016 – Rs. C-518/14, RS1216976) veröffentlicht (vgl. Streit, Steuerbaord vom 19.09.2016). Darin bestätigt der EuGH, dass eine Rechnung für Zwecke des Vorsteuerabzugs rückwirkend korrigiert werden kann. Bisherige Praxis war, dass ein Unternehmer den Vorsteuerabzug für von ihm eingekaufte Leistungen erst in dem Besteuerungszeitraum vornehmen kann, in dem ihm eine ordnungsgemäße Eingangsrechnung vorliegt. War eine Rechnung zunächst fehlerhaft und musste berichtigt werden, wurde der Vorsteuerabzug von Finanzämtern und Gerichten erst für den Besteuerungszeitraum anerkannt, in dem die berichtigte Rechnung vorlag. Eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung wurde verneint. Nun hat der BFH in einem kürzlich veröffentlichten Urteil (BFH vom 20.10.2016 – V R 26/15, DB 2016 S. 3019) die Rechtssicht des EuGH aus der Rechtssache Senatex aufgegriffen. In diesem neuen Urteil ändert der BFH seine bisherige Rechtsprechung und erkennt eine rückwirkende Rechnungsberichtigung ebenfalls an. Diese ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht möglich.

Sachverhalt

Der Entscheidung des BFH lag kurz gefasst folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine GmbH, die zahntechnische Labore betreibt. Sie hatte je einen Beratervertrag mit einem Rechtsanwalt und einer Gesellschaft im Bereich der Unternehmensberatung (GbR) geschlossen. Für die vereinbarten Beratungsleistungen war seitens der Klägerin ein Pauschalhonorar zuzüglich Umsatzsteuer zu entrichten.

In den jeweiligen Rechnungen, die die Klägerin in den Jahren 2005 bis 2007 erhielt, waren nach den Feststellungen des Finanzgerichts die erbrachten Beratungsleistungen zunächst nicht konkret bezeichnet worden. Der Rechtsanwalt beschrieb den Leistungsgegenstand auf den Rechnungen so: „ich erlaube mir, das vereinbarte Beraterhonorar wie folgt abzurechnen“. Die Rechnungen der GbR lauteten: „für allgemeine wirtschaftliche Beratung im (Zeitraum) berechnen wir Ihnen pauschal wie vereinbart“ und „für zusätzliche betriebswirtschaftliche Beratung (Zeitraum) berechnen wir Ihnen pauschal wie vereinbart“. Auf weitere Unterlagen, aus denen sich Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarung hätten ersehen lassen, nahmen die Rechnungen nicht Bezug.

Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen, da die Art der erbrachten Leistungen nicht hinreichend genau bezeichnet sei. Die Klägerin erhob daraufhin im Jahr 2011 Klage zum Finanzgericht.

Nach Erlass der Einspruchsentscheidung, aber noch während des laufenden Klageverfahrens vor dem Finanzgericht legte die Klägerin dem Finanzamt berichtigte Rechnungen vor, in denen der Gegenstand der Leistung ordnungsgemäß angegeben war.

Gleichwohl wies das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (7 K 7377/11) die Klage mit Urteil vom 10.06.2015 ab. Das Finanzgericht verneinte eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung in die Jahre 2005 bis 2007. Eine rückwirkende Rechnungsberichtigung sei jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die berichtigten Rechnungen erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung vorgelegt würden.

Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Revision zum BFH ein.

Rechtliche Würdigung des BFH

Der BFH hebt in seiner Entscheidung das Urteil des Finanzgerichts unter Bezugnahme auf die Rechtssache Senatex auf und spricht der Klägerin den Vorsteuerabzug rückwirkend für die Jahre 2005 bis 2007 zu. Der BFH distanziert sich dabei von seiner bisherigen Rechtsprechung, in der er einer Rechnungsberichtigung lediglich ex-nunc-Wirkung zuerkannte. Er legt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG und § 31 Abs. 5 UStG unionsrechtskonform aus und erkennt eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt an, in dem die ursprünglich fehlerhafte Rechnung ausgestellt worden ist.

Die Frage, ob jede fehlerhafte Eingangsrechnung rückwirkend korrigiert werden kann, oder ob es Mindestanforderungen gibt, die an eine fehlerhafte Eingangsrechnung zu stellen sind, damit eine rückwirkende Korrektur in Betracht kommt, hatte der EuGH in der Rechtssache Senatex offengelassen. Der BFH bleibt diesbezüglich bei seiner bisherigen Rechtsprechung und verlangt, dass die fehlerhafte Erstrechnung mindestens die Angaben

  • Rechnungsaussteller,
  • Leistungsempfänger,
  • Leistungsbeschreibung,
  • Entgelt und
  • gesonderter Umsatzsteuerausweis

enthalten muss. Andernfalls sei eine rückwirkende Berichtigung nicht möglich.

Hinsichtlich des Zeitpunkts, bis zu dem eine fehlerhafte Rechnung korrigiert sein muss, vertritt der BFH eine unternehmerfreundliche Linie. Nach seiner Erkenntnis reicht es aus, wenn der Aussteller die Rechnung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht berichtigt. Eine andere zeitliche Grenze ergebe sich weder aus dem nationalen Recht noch aus dem Unionsrecht. Der BFH zieht hier eine Parallele zum Belegnachweis bei Ausfuhrlieferungen nach § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV. Auch ein solcher Belegnachweis kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht erbracht werden.

Anders als der EuGH in der Rechtssache Senatex, der eine Rechnung lediglich als formelles Kriterium qualifizierte, bleibt der BFH jedoch ausdrücklich dabei, dass die Rechnung ein materiell-rechtliches Erfordernis für den Vorsteuerabzug sei. Nicht ganz deutlich wird dabei jedoch, was genau aus Sicht des BFH das materiell-rechtliche Erfordernis sein soll – das Vorhandensein einer fehlerhaften und berichtigungsfähigen Erstrechnung oder die berichtigte korrekte Rechnung. So oder so dürfte diese Aussage des BFH mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sein.

Entsprechend der Auffassung des EuGH geht auch der BFH davon aus, dass im Fall einer Rechnungsberichtigung aus unionsrechtlicher Sicht keine Nachzahlungszinsen entstehen dürfen. Ob eine Rechnungsberichtigung ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 233a Abs. 2a, Abs. 7 AO darstellt, ließ er offen.

Folgen für die Praxis

Es ist gut, dass der BFH so schnell zur grundsätzlichen Frage der rückwirkenden Rechnungsberichtigung Stellung bezogen hat. Auf Basis der Rechtssache Senatex überrascht es nicht, dass der BFH eine Rückwirkung anerkennt. Es ist erfreulich, dass er nicht bereits im Erlass der Einspruchsentscheidung eine zeitliche Grenze für die Berichtigung der fehlerhaften Rechnung sieht, sondern die Korrektur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht zulässt.

Nicht geklärt ist, ob es aus unionsrechtlicher Sicht tatsächlich Mindestangaben gibt, die eine fehlerhafte Erstrechnung enthalten muss. Der BFH hatte die von ihm auch in dieser Entscheidung wieder dargelegten Kriterien selbst in einer Entscheidung aus dem Jahre 2011 für Zwecke des § 14c UStG entwickelt (V R 39/09, DB 2011 S. 1200) und sie später dann auf den Bereich des Vorsteuerabzugs und die berichtigungsfähigen Rechnungen übertragen. Ob diese Sichtweise mit dem Unionsrecht übereinstimmt, wird der EuGH eines Tages klären müssen. Sollten diese Mindestangaben nicht – zumindest nicht in dieser Gänze – erforderlich sein, wäre es beispielsweise auch denkbar, eine Rechnung, die keinen Steuerausweis enthielt, mit Rückwirkung zu korrigieren.

Ebenso wenig ist geklärt, ob es tatsächlich in jedem Fall einer Erstrechnung bedarf, die korrigiert werden kann. Im Fall Senatex und im Fall des BFH lag jeweils eine Erstrechnung vor, sodass die Gerichte sich hierzu nicht äußern mussten. Aus der Rechtssache Terra Baubedarf wird vielfach abgeleitet, dass eine Erstrechnung vorhanden sein muss (EuGH vom 29.04.2004 – Rs. C-152/02, DB 2004 S. 1080). In der Rechtssache Barlis 06 (EuGH vom 15.09.2016 – Rs. C-516/14, RS1216975; vgl. dazu auch Oldiges, Steuerboard vom 21.09.2016) hat der EuGH den Vorsteuerabzug jedoch zugelassen, auch ohne dass eine berichtigte Rechnung vorliegt, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nachgewiesen sind. Wenn der EuGH hier den Wortlaut des Art. 178 MwStSystRL, der für die Ausübung des Vorsteuerabzugs an sich eine ordnungsgemäße Rechnung fordert, unter Anwendung allgemeiner Rechtsprinzipien überwindet, ist durchaus fraglich, warum nicht auch eine fehlerhafte Erstrechnung entbehrlich sein sollte. Entscheidend dürfte sein, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen.

Vorsorglich sollten Unternehmer fehlerhafte Eingangsrechnungen auch künftig möglichst zeitnah korrigieren lassen. Dabei ist zu beachten, dass der BFH die Rückwirkung der Rechnungsberichtigung bisher nur für Rechnungsergänzungen i.S.d. § 31 Abs. 5 UStDV bestätigt hat. Offen ist, ob die Rückwirkung auch dann anerkannt wird, wenn fehlerhafte Rechnungen storniert und neu ausgestellt werden. Ist eine Rechnung lediglich formelles Erfordernis des Vorsteuerabzugs und kann auf sie – zumindest teilweise (vgl. Barlis 06) – verzichtet werden, sollte jedoch auch in diesen Fällen eine Rückwirkung möglich sein.

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