Trotz Zwischenlagerung liegen Direktlieferungen aus dem Ausland nach Deutschland vor und ein Konsignationslager in Deutschland bleibt aus umsatzsteuerlicher Sicht unberücksichtigt, wenn der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung zum Lager feststeht. Zu diesem Ergebnis kommt der BFH in seinem Urteil vom 20.10.2016 zur Behandlung von Lieferungen über Konsignationslager (V R 31/15, RS1227269). Damit bestätigt der BFH die in den letzten beiden Jahren zu diesem Thema ergangenen Finanzgerichtsurteile. Der BFH widerspricht insofern auch der undifferenzierten Auffassung der Finanzverwaltung. So mancher ausländische Lieferant wird dies begrüßen, da er sich dadurch ggf. eine Registrierung und entsprechende Kosten in Deutschland erspart.
Sachverhalt
Ein spanischer Lieferant verkaufte in Spanien produzierte Waren an einen deutschen Abnehmer. Die Lieferung der Waren wurde über ein in Deutschland gelegenes Call-off Stock abgewickelt. Der Abnehmer hatte jederzeit Zugang zu den gelagerten Waren. In Lieferverträgen wurden die zu liefernden Produkte, die Zahlungsmodalitäten, die Lieferbedingungen und die Preise geregelt. Die konkreten Liefermengen und -daten waren festgelegt in Lieferabrufplänen, die der Abnehmer täglich oder in Abständen von wenigen Tagen an den Lieferer übersandte. Nur diese Lieferabrufpläne waren juristisch bindend. Die Lieferabrufe enthielten stets Freigaben für die nächsten 12 Wochen im Voraus und bestimmten für diesen Zeitraum die Liefertermine.
Verbindliche Bestellungen maßgeblich
Der BFH stellt fest, dass die Lieferungen Direktlieferungen sind und das Konsignationslager unberücksichtigt bleibt, wenn der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststeht. Hierzu soll das der Lieferung zugrunde liegende Rechtsverhältnis maßgeblich sein. Der BFH führt hierzu aus, dass eine „wahrscheinliche Begründung einer Abnehmerstellung“ zu Beurteilungsschwierigkeiten führen würde und damit nicht akzeptabel sei. Man kann sich aber fragen, ob diese sehr strikte Sichtweise tatsächlich vom BFH gewollt war, oder sich dieses Ergebnis nur aufgrund des konkreten Urteilsfalls ergibt. Wie sieht es z.B. bei einer ganz speziellen Auftragsfertigung aus, bei der der Liefergegenstand für andere Abnehmer ungeeignet wäre? Der Abnehmer würde dann faktisch von Beginn an feststehen, selbst wenn noch keine rechtlich bindende Abnahmeverpflichtung vorliegt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der BFH ausdrücklich die Grundsätze aus dem Ship-to-hold-Urteil vom 30.07.2008 (XI R 67/07, DB 2008 S. 2463 m. Anm. Michel) wiederholt. Demnach ist § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG auch anzuwenden, wenn der Lieferer nach Transportbeginn noch umdisponieren und den Gegenstand an einen anderen Abnehmer liefern kann. Demzufolge müsste es sich auch um eine Direktlieferung handeln, wenn zwar eine verbindliche Bestellung des Abnehmers besteht, die die gesamte versandte oder gelagerte Menge abdeckt, sich der Lieferer dann aber nach Versand noch anders entscheidet und die Ware später doch an einen anderen Abnehmer liefert.
Kurze Zwischenlagerung unschädlich
Der BFH stellt außerdem fest, dass eine kurze Zwischenlagerung unschädlich ist. Fraglich bleibt allerdings, ob dieser dem Tenor des Urteils entstammende Schluss so uneingeschränkt gilt. Der BFH verweist auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung und dem Transport sowie ein kontinuierlicher Ablauf gegeben sein müssen (EuGH vom 18.11.2010 – Rs. C-84/09, DB 2010 S. 2596). Er nennt in seiner Begründung auch die speziellen Umstände des Sachverhalts:
- auf Initiative des Abnehmers eingerichtetes Lager,
- dem Abnehmer vertraglich eingeräumtes uneingeschränktes Zugriffsrecht,
- von vornherein nur vorübergehende Einlagerung auf kurze Zeit.
Es scheint, als habe der BFH damit keine Aussage zur Dauer der Lagerung treffen wollen. Er dürfte nur darauf abgestellt haben, dass von Beginn an eine vorübergehende Lagerung beabsichtigt sein muss. Was man unter einer kurzfristigen Lagerung zu verstehen hat, bleibt damit unklar. Man kann aus dem Sachverhalt erahnen, dass ein Zeitraum von mehreren Wochen noch als kurz gilt. Die in das Lager versandten Waren entsprachen schließlich mengenmäßig dem Bedarf des Abnehmers in den nächsten Tagen und Wochen. Die Lieferabrufe enthielten zudem Freigaben für die nächsten 12 Wochen. Eine Aussage des Gerichts hierzu fehlt aber.
Widerspruch zur Finanzverwaltung
Nach den Feststellungen des BFH steht die Auffassung der Finanzverwaltung im Widerspruch zum geltenden Recht. Die im Hinblick auf Abnehmer und Zwischenlagerung undifferenzierte Sichtweise der Finanzverwaltung in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE und in Abschn. 3.12 Abs. 3 Satz 7 UStAE sowie in der Verfügung der OFD Frankfurt a.M. vom 15.12.2015 kann daher nicht bestehen bleiben. Es ist zu hoffen, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung zeitnah überdenkt und ggf. eine Nichtbeanstandung mit Übergangsfrist festlegt, um die praktischen Auswirkungen für die Unternehmen abzumildern. Für deutsche Abnehmer, die in der Vergangenheit einen nunmehr ggf. fraglichen Vorsteuerabzug geltend gemacht haben, sollte sich aber eigentlich kein Risiko ergeben. Die Abnehmer dürften diesbezüglich Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO genießen, da mit dem UStAE eine Verwaltungsvorschrift von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht im Einklang mit dem geltenden Recht stehend bezeichnet wurde.
Folgen für die Praxis
Konsignationslagerverträge und deren Abwicklung gehören nach dem Urteil des BFH auf den Prüfstand. Ggf. müssten Verträge an die neue Rechtslage angepasst werden, z.B. im Hinblick darauf, dass der Abnehmer bereits zu Beginn der Versendung eindeutig feststeht. Dabei müssen natürlich auch andere Aspekte beachtet werden. So möchte der Abnehmer mit Konsignationslagerverträgen meist auch das wirtschaftliche Risiko bis zur Lagerentnahme dem Lieferanten aufbürden. Aufgrund dessen erfolgt die Bilanzierung der Lagerware bis dahin auch in der Regel beim Lieferer. Aus praktischer Sicht könnten sich Schwierigkeiten hinsichtlich der Deklaration der Direktlieferungen ergeben. Wenn sich der Lieferort nach dem Beginn der Versendung richtet, gilt dies auch für den Lieferzeitpunkt. Sowohl der Lieferer als auch der Abnehmer haben die innergemeinschaftliche Lieferung bzw. den innergemeinschaftlichen Erwerb dann bei Rechnungsstellung, spätestes in dem dem Versand zum Lager folgenden Monat zu deklarieren. Die Entnahme und damit die Rechnungsstellung erfolgt aber ggf. deutlich später. Die weiteren Schritte sollten daher gut abgewogen werden.