Die Hinzurechnungsbesteuerung nach dem deutschen AStG ist immer wieder Gegenstand obergerichtlicher Rechtsstreitigkeiten. Dies belegt auch die Zahl der derzeit anhängigen Verfahren beim BFH zu diesem Themenkreis. So muss der BFH beispielsweise über die Frage der Vereinbarkeit der deutschen Hinzurechnungsbesteuerungsregeln mit der unionsrechtlich garantierten Kapitalverkehrsfreiheit entscheiden (Az. I R 78/14, Mitteilung zum Verfahren vom 20.05.2015). In einem weiteren Verfahren wird der BFH darüber befinden müssen, unter welchen Voraussetzungen eine beherrschte Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ i.S.v. § 8 Abs. 2 AStG nachgeht mit der Folge, dass von der Anwendung einer Hinzurechnungsbesteuerung abzusehen ist (Az. I R 94/15, Mitteilung zum Verfahren vom 20.06.2016; zur Vorinstanz vgl. Herrmann, Steuerboard vom 22.03.2016). Daneben hat der BFH mit Beschluss vom 12.10.2016 (I R 80/14, RS1232974) nun dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in einem sog. Drittstaatenfall mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist.
Hintergrund
Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung der §§ 7 bis 14 AStG ist ein Instrument zur Verhinderung der Verlagerung von Gewinnen aus der Bundesrepublik Deutschland in Länder mit niedrigerem Steuerniveau mittels Auslandskapitalgesellschaften (sog. Zwischengesellschaften). Sie greift ein, wenn eine „deutschbeherrschte“ (Beteiligung deutscher Steuerpflichtiger > 50%) Zwischengesellschaft sog. passive Einkünfte erzielt und diese Einkünfte im Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft niedrig besteuert sind (Steuersatz < 25%). Bei sog. Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter entfällt die Anforderung der „Deutschbeherrschung“, d.h. auch eine geringfügige Beteiligung deutscher Steuerpflichtiger kann die Hinzurechnungsbesteuerung auslösen. Sind die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung erfüllt, wird bei dem in Deutschland ansässigen Gesellschafter der Zwischengesellschaft eine Ausschüttung fingiert, die der inländischen Besteuerung unterliegt. Findet tatsächlich keine Ausschüttung an den Gesellschafter statt, kommt es infolge dessen zu einer Steuerzahlung ohne Kapitalfluss (sog. „dry income“). Die aktuelle EuGH-Vorlage des BFH greift über den Einzelfall hinaus relevante grundlegende Fragen zur Vereinbarkeit dieser Hinzurechnungsbesteuerung mit der Niederlassungsfreiheit sowie der Kapitalverkehrsfreiheit auf.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
Im Ausgangsverfahren des BFH klagt eine im Inland ansässige GmbH (Klägerin), die in den Streitjahren 2005 bis 2007 zu 30% an der Y-AG, einer schweizerischen Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz, beteiligt war. Ende Juni 2005 verkaufte die Y-AG an die inländische Z-GmbH Forderungen auf Zahlung von sog. „Erlösbeteiligungen“ gegenüber vier Sportvereinen und trat diese Forderungen sodann an die Z-GmbH ab.
Das Finanzamt ordnete die Einkünfte der Y-AG aus den abgetretenen Erlösbeteiligungen als passive Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S.v. § 7 Abs. 6 und 6a AStG (in der Fassung des StVergAbG) ein und unterwarf diese bei der Klägerin als Gesellschafterin der Y-AG der Hinzurechnungsbesteuerung. Die hiergegen gerichtete Klage wies das FG Baden-Württemberg in erster Instanz ab.
Vorlagefragen des BFH
Auf die Revision der Klägerin setzte der BFH das Verfahren aus und legte dem EuGH insgesamt drei Vorlagefragen zur Entscheidung vor. Die ersten beiden Vorlagefragen betreffen die Frage, ob die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 EGV (jetzt Art. 63 AEUV) im Ausgangsverfahren überhaupt zur Anwendung kommt und damit die Auslegung einer Ausnahme von der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 57 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 64 Abs. 1 AEUV).
Sofern der EuGH die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit bejaht, muss er sich mit der dritten Vorlagefrage des BFH auseinandersetzen, nämlich ob und unter welchen Voraussetzungen die Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in einem Drittstaatenfall mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist. Denn während der Steuerpflichtige bei Beteiligungen an Zwischengesellschaften innerhalb der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraumes auch bei Erzielung passiver Einkünfte die Hinzurechnungsbesteuerung vermeiden kann, indem er den Gegenbeweis erbringt, dass die Zwischengesellschaft einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachgeht, ist dies bei Zwischengesellschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, nicht möglich. Die Möglichkeit des Gegenbeweises hat der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung der Rechtssache Cadbury Schweppes des EuGH in § 8 Abs. 2 AStG verankert (vgl. dazu bereits Herrmann, Steuerboard vom 22.03.2016), Drittstaatenkonstellationen jedoch ausdrücklich davon ausgenommen. Der BFH möchte daher insbesondere wissen, ob die vom EuGH in der Rechtssache Cadbury Schweppes zur Niederlassungsfreiheit entwickelten Grundsätze auch im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit bei der Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischengesellschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, Anwendung finden. Darüber hinaus erbittet der BFH in den Entscheidungsgründen seiner EuGH-Vorlage eine Erläuterung dazu, wann von einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ auszugehen ist.
Bedeutung über Drittlandsfälle hinaus
Sollte der EuGH die Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften in einem Drittstaatenfall nur unter den Bedingungen mit der Kapitalverkehrsfreiheit für vereinbar halten, die er bereits in der Rechtssache Cadbury Schweppes aufgestellt hat, müsste der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeit des Gegenbeweises in § 8 Abs. 2 AStG auch auf Drittstaatenfälle erweitern. Hierdurch würde sich die Situation für Steuerpflichtige verbessern, die an Zwischengesellschaften in Drittstaaten beteiligt sind, deren Zwischeneinkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen.
Sofern der EuGH darüber hinaus auch die Anforderungen an das Vorliegen einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ präzisiert, hätte dies auch unmittelbare Auswirkungen auf Zwischengesellschaften, die in der EU oder dem Europäischen Wirtschaftsraum ansässig sind. Denn für diese geltende Gegenbeweisregel in § 8 Abs. 2 AStG liegt bereits jetzt der Begriff der „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ zugrunde.
Ausblick
Dem EuGH liegen nunmehr Fragen des BFH betreffend die Zulässigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung zur Entscheidung vor, deren Beantwortung auch in zwei weiteren derzeit beim BFH anhängigen Revisionsverfahren von Bedeutung sein kann. Dies verdeutlicht die generellen und zahlreichen Schwächen der gesetzlichen Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung nach dem AStG. Es bleibt daher mit Spannung zu erwarten, ob und ggf. wie der EuGH zu den vorgelegten Rechtsfragen Stellung beziehen wird. Aus Sicht der Steuerpflichtigen wäre es bereits erfreulich, wenn der EuGH den von ihm kreierten Begriff der „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ weiter konkretisieren würde, um damit mehr Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen zu schaffen.