Die Rückgewähr von Einlagen, die nicht in das Nennkapital geleistet wurden, unterliegt nach deutschem Steuerrecht grundsätzlich nicht der Ertragsbesteuerung, wenn der Gesellschafter lediglich hingegebene Vermögenssubstanz zurückerhält. Dieser Grundsatz gilt seit dem Veranlagungszeitraum 2006 auch für Körperschaften oder Personenvereinigungen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, § 27 Abs. 8 KStG. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die leistende Körperschaft einen Antrag stellt. Dieser ist nach amtlich vorgeschrieben Vordruck bis zum Ende des Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Leistung erfolgt ist, zu stellen. In diesem Zusammenhang stellt sich für den deutschen Berater zur Vermeidung der Gewinnausschüttungsfiktion des § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG die Frage, ob die etwaige versäumte Frist des § 27 Abs. 8 Satz 4 nach § 109 AO verlängerbar ist bzw. Widereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist oder, ob jene Frist aufgrund Verstoßes gegen die EU-Grundfreiheiten gar nicht erst einzuhalten ist. Dieser Frage gingen jüngst das FG Köln mit Entscheidung vom 15.02.2017 (2 K 803/15, rechtskräftig) sowie das FG München mit Entscheidung vom 22.11.2016 (6 K 2548/14, rechtskräftig) nach. Das Urteil des FG Köln, das im Sachverhalt dem des FG München ähnlich ist, wird im Folgenden näher betrachtet.
Sachverhalt
Eine österreichische Kapitalgesellschaft (Klägerin) schüttete im Jahr 2009 an ihre in Deutschland ansässige Alleingesellschafterin aus. Ein Teilbetrag der Ausschüttung war dabei nach Auffassung der Klägerin als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren. Daher stellte die Klägerin am 29.12.2011 den Antrag auf gesonderte Feststellung der Einlagenrückgewähr gemäß § 27 Abs. 8 KStG für den Veranlagungszeitraum 2009. Der Antrag war verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Wegen Verfristung lehnte die zuständige Finanzbehörde den Erlass eines Feststellungsbescheides ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Begründung, § 27 Abs. 8 Satz 4 KStG normiere keine Ausschlussfrist, so dass rückwirkend die Frist nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO zu verlängern sei. Zumindest sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Klägerin wegen ihrer Unkenntnis vom Bestehen der Antragsfrist einem Irrtum über Verfahrensfragen unterlag. Hilfsweise verstoße die Regelung des § 27 Abs. 8 Satz 4 KStG gegen die Niederlassungs- bzw. Kapitalverkehrsfreiheit sowie gegen den Äquivalenzgrundsatz, da die Verfahrensmodalitäten der Einlagenrückgewähr beim Inländer und EU-Ausländer bei gleichartigen innerstaatlichen Sachverhalten unterschiedlich ausgestaltet seien.
Entscheidung des FG Köln
Nach Ansicht des FG Köln hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung einer Einlagenrückgewähr in der begehrten Höhe. Das Gericht wandte gegen die klägerische Argumentation Folgendes ein:
- Bei der Antragsfrist des § 27 Abs. 8 Satz 4 KStG handle es sich schon nicht um eine verlängerbare Ausschlussfrist. Dies ergebe sich aus dem Gesetzeskontext, aus dem deutlich werde, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Antragstellung auf ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistung erfolgt ist, begrenzen wollte. Daher sei die Antragsfrist des § 27 Abs. 8 Satz 4 KStG jedenfalls nicht nach dem allgemeinen Grundsatz des § 109 Abs. 1 AO verlängerbar.
- Widereinsetzung in den vorigen Stand könne ebenfalls nicht gewährt werden, da die Klägerin nicht ohne Verschulden die Einhaltung der Antragsfrist versäumt habe. Die angemessene und vernünftigerweise zu erwartende zumutbare äußerste Sorgfalt hätte es geboten, dass sich die Klägerin im Zusammenhang mit der Ausschüttung an den alleinigen Anteilseigner erkundigt, ob in diesem Zusammenhang steuerlich relevante Anträge zu stellen gewesen wären. Insoweit hätte es der äußersten Sorgfalt entsprochen, dass die Klägerin im Kontext einer Ausschüttung „über die Grenze“ selbstständig Informationen über die steuerrechtlichen Folgen eingeholt hätte und zwar nicht nur im Hinblick auf die Folgen in Österreich, sondern auch im Hinblick auf die Folgen in Deutschland. Insoweit könne sich ein Ausländer nicht darauf berufen, er habe sich über das Wesen einer Frist geirrt, weil die Rechtslage in seinem Heimatland anders sei.
- Eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit bzw. der Niederlassungsfreiheit durch die unterschiedliche Ausgestaltung der Verfahren zur Berücksichtigung einer Einlagenrückgewähr im Hinblick auf inländische und ausländische Gesellschaften liege mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte ebenfalls nicht vor. Für eine inländische Gesellschaft wird von Amts wegen ein steuerliches Einlagenkonto gemäß § 27 Abs. 1 KStG durch die Finanzverwaltung geführt, das jährlich fortgeschrieben wird und auf dessen Basis steuerlich beachtliche Einlagenrückgewährungen berücksichtigt werden. Bei einer ausländischen Gesellschaft ist es hingegen mangels Zuständigkeit der deutschen Finanzverwaltung nicht möglich, von Amts wegen ein steuerliches Einlagenkonto zu führen, so dass die Berücksichtigung einer Einlagenrückgewähr letztlich nur auf Basis eines Antrags erfolgen kann.
- Mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte liege auch kein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip vor. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gesetzliche Frist des § 27 Abs. 8 Satz 4 KStG den im Gemeinschaftsrecht allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit diene. Da die Finanzverwaltung auf Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten keine Einwirkungsmöglichkeiten habe, sei daher eine vorgegebene starre Frist nicht zu beanstanden, um die abschließende Bearbeitung von Steuerfällen in einem zeitlich überschaubaren Rahmen sicherzustellen.
Stellungnahme
Die Entscheidungen der Finanzgerichte bringen zwar Rechtssicherheit hinsichtlich der formalen Antragsvoraussetzung. Insoweit ist darauf zu achten, dass EU-Kapitalgesellschaften den Feststellungsantrag innerhalb der gesetzlichen Antragsfrist stellen. Dies zwingt steuerliche Berater von deutschen Anteilseignern zu einer zeitnahen Qualifikation der Ausschüttung, um die nachteilige Fiktion des § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG zu vermeiden.
Allerdings ist fraglich, ob die Finanzgerichte bei Ausschüttungen einer EU-Kapitalgesellschaft, die nicht an einen inländischen Alleingesellschafter erfolgt ist, sondern an eine nicht überschaubare Anzahl von in- und ausländischen Anteilseignern, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 110 AO ebenfalls verneint hätten.
Sind beispielsweise mehrere (hundert) Anteilseigner im In- und Ausland mittelbar von dem Feststellungsantrag über die Einlagenrückgewähr nach § 27 Abs. 8 KStG betroffen, stellt sich die Frage, ob es noch die angemessene und vernünftigerweise zu erwartende zumutbare äußerste Sorgfalt gebietet, dass sich die ausschüttende EU-Gesellschaft im Zusammenhang mit der Ausschüttung für sämtliche im In- und Ausland verstreuten Anteilseigner innerhalb kürzester Zeit erkundigt, ob und ggf. wie, mit welchen Nachweisen sowie innerhalb welcher Zeit ggf. steuerlich relevante Anträge zu stellen sind.
Beruhigt kann in solchen Fällen der Einlagenrückgewähr dann nur der inländische Anteilseigner einer Drittstaatengesellschaft sein, weil nach jüngster Rechtsprechung des BFH Drittstaatengesellschaften steuerneutrale Einlagen rückgewähren können, ohne dass diese dem fristgebundenen formellen Antragsverfahren des § 27 Abs. 8 KStG und dessen „Nachweiswahn“ unterliegen.