Verlustabzug bei Kapitalgesellschaften: Bestimmung eines missbräuchlichen Mantelkaufs anhand der 25%-Grenze ist verfassungswidrig

StB/Dipl.-Kfm.  Dr. Hans Weggenmann, Geschäfts-führender Partner bei Rödl & Partner

Das BVerfG hat mit Beschluss vom 29.03.2017 (2 BvL 6/11, RS1239057) die Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG zum Verlustabzug bzw. -untergang bei Kapitalgesellschaften für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31.12.2018 eine rückwirkende Neuregelung für die Veranlagungszeiträume 2008-2015 vorzunehmen. Die Entscheidung unterstreicht zwei wesentliche Grundsätze der Besteuerung: das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sowie das Willkürverbot.

Zum Hintergrund der Entscheidung

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit negativen Ergebnissen können Unternehmen Verluste in kommende Veranlagungszeiträume vortragen und dort mit zukünftigen Gewinnen steuerwirksam verrechnen. Dies entspricht dem Gebot der Leistungsfähigkeit. Somit ist ein festgestellter Verlustvortrag ein echtes Asset, welcher wie eine Steuergutschrift auf zukünftige Steuerfestsetzungen wirkt. Es wird gemutmaßt, dass die bestehenden Verlustvorträge bei den Ertragsteuern bereits über 600 Milliarden Euro betragen, was ein erhebliches Risiko für die Haushalte des Bundes und der Länder darstellt. In Anbetracht dieser gigantischen Summe ist es wenig verwunderlich, dass der Gesetzgeber entgegen jeglicher Steuersystematik mit Restriktionen und extensiven Missbrauchsregelungen nicht die Nutzbarmachung, sondern den Untergang entsprechender Verlustvorträge forciert.

Eine dieser Missbrauchsregelungen stellt § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG dar. Die Regelung soll den volkswirtschaftlich unerwünschten Handel von substanzlosen Gesellschaften mit vortragsfähigen Verlusten (sog. Mantelkauf) unterbinden. Danach kommt es bei Kapitalgesellschaften zu einem anteiligen Untergang von Verlustvorträgen, wenn ein schädlicher Beteiligungserwerb vorliegt. Ein solcher ist gegeben, wenn innerhalb eines Fünfjahreszeitraums unmittelbar oder mittelbar mehr als 25% der Anteile auf einen Erwerber übertragen werden. Die Motive der Anteilsübertragung sind dabei irrelevant, eine zusätzliche „Missbrauchsabsicht“ in Form des vorrangigen Kaufs von Verlustvorträgen (Verlustmänteln) ist nicht erforderlich. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers wird bei einem change of control (>25%) die Änderung der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft unterstellt. Dies hat per se den anteiligen bzw. nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG bei Übertragung von mehr als 50% der Anteile den vollständigen Untergang des Verlustvortrags zur Folge.

Für einen Minderheitsgesellschafter kein Missbrauch erkennbar

Dieser Sichtweise hat das BVerfG zumindest für § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (Übertragung von 25-50% der Anteile) eine klare Absage erteilt. In solch einem Fall hat der Erwerber in der Regel lediglich eine Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung. Im Gegensatz zum Mehrheitsgesellschafter kann er aber nur bedingt Einfluss auf die unternehmerischen Geschicke der Gesellschaft nehmen und folglich die Verluste nicht durch entsprechende unternehmerische Entscheidungen zu seinen eigenen Zwecken nutzen. Somit kann eine typisierende Missbrauchsgestaltung für die Fälle des Minderheitsgesellschafters jedenfalls nicht pauschal im Erwerb der Anteile erkannt werden. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber eine abstrakte Missbrauchsgefahr zum Anlass genommen, um eine vom typischen Missbrauchsfall losgelöste Verlustnutzungsregelung zu vereinbaren. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt eine solche Regelung mangels tragfähiger Rechtfertigung einen Verstoß gegen das Willkürverbot dar und ist daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

Folgen für die Praxis

Die Verfassungswidrigkeit bezieht sich allein auf Satz 1 des § 8c Abs. 1 KStG, d.h. den Erwerb eines Minderheitsgesellschafters, und beschränkt sich auf die Zeiträume von 2008-2015. Für diese Zeiträume ist der Gesetzgeber nun aufgefordert, eine rückwirkende, verfassungskonforme, d.h. am tatsächlichen Missbrauchsfall orientierte Neuregelung zu schaffen. Dem Gesetzgeber wurde eine Frist zur Neuregelung von weit über einem Jahr bis zum 31.12.2018 zugebilligt.

Zwei Fragen bleiben offen: Zum einen, ob die Regelung des § 8c KStG zur Verlustnutzung bei Kapitalgesellschaften auch für Veranlagungszeiträume ab 2016 Bestand haben kann oder ebenfalls verfassungswidrig ist. Diese Frage hat das Gericht aufgrund der ab 2016 erfolgten Modifizierung der Verlustnutzungsregelungen mit § 8d KStG ausdrücklich ausgeklammert. Zum anderen ist noch unklar, ob auch für die Fälle des Erwerbs einer Mehrheitsbeteiligung (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG) von einer willkürlichen und damit verfassungswidrigen Regelung auszugehen ist. Zumindest zu letztgenanntem Fall könnte aufgrund eines hierzu anhängigen Verfahrens beim BFH (I R 31/11, RS0699987) bald eine gerichtliche Klärung erfolgen. Es steht zu befürchten, dass der BFH aufgrund der Ausführungen des BVerfG und des grundsätzlich weitreichenden Entscheidungsspielraums zur Missbrauchsvermeidung zumindest beim Mehrheitsgesellschafter in der Einflussnahme einen sachgerechten Grund finden und damit die Verfassungskonformität der Regelung bejahen könnte.

Rechtssicherheit spätestens am 01.01.2019

Abschließend noch eine Anmerkung zu den bemerkenswerten Ausführungen des BVerfG ganz am Ende der Entscheidung: Anders als noch beim BVerfG-Urteil zur Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer (BVerfG vom 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, RS1046342) hat das BVerfG dieses Mal auch die mögliche Sanktion im Falle der Fristüberschreitung niedergeschrieben, nämlich die anfängliche Nichtigkeit der Regelung. Damit zieht das Gericht wohl seine Lehren aus der Trägheit des Politikbetriebs in Berlin und verhindert ein ähnliches Possenspiel wie bei der Erbschaftsteuer im Sommer letzten Jahres. Mit dieser scharfen Formulierung zwingt das BVerfG den Gesetzgeber vielmehr, das Urteil und die Frist zur Neuregelung dieses Mal ernst zu nehmen. Im Sinne der Rechtsicherheit kann diese für den Rechtsanwender positive Entwicklung nur befürwortet werden.

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