Verstoßen die Substanzerfordernisse des § 50d Abs. 3 EStG gegen EU-Recht?

RA Gerald Herrmann, Counsel bei P+P Pöllath + Partners, München

Im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaften wird nach § 50d Abs. 3 EStG die Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge versagt, wenn sie keine angemessene Substanz nachweisen können. Die bereits im Jahr 2012 aufgrund europarechtlicher Bedenken neugefasste Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers missbräuchlichen Gestaltungen entgegenwirken, die zu Steuervorteilen führen, die durch die Zwischenschaltung von Holdinggesellschaften in EU/DBA-Staaten erlangt werden (sog. Treaty Shopping).

Das FG Köln hat nunmehr begrüßenswerterweise mit Beschluss vom 17.05.2017 (Az.: 2 K 773/16, RS1245557) die Frage der Europarechtskonformität auch der aktuellen Fassung der Norm dem EuGH zur Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit einerseits und der Mutter-Tochter-Richtlinie andererseits vorgelegt. Vorlagegrund ist insbesondere der überschießende Regelungsgehalt der Vorschrift, der grundsätzlich auch mit ausreichender Substanz ausgestattete Gesellschaften erfasst und somit auch bei solchen zu einer Versagung der Kapitalertragsteuer-Erstattung führen kann.

Hintergrund

Auf bestimmte Erträge aus Kapitalvermögen, u.a. auf Dividenden aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, wird Kapitalertragsteuer erhoben. Diese wird direkt, d. h. noch vor der Ausschüttung der Dividende, vom auszuzahlenden Betrag einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. Für die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer ist dementsprechend auch nicht die begünstigte Person oder Muttergesellschaft, der die Dividende zusteht, verantwortlich, sondern vielmehr die (Tochter-)Gesellschaft, welche die Dividende ausschüttet.

Unter bestimmten Voraussetzungen besteht eine Ausnahme von der Kapitalertragsteuer-Pflicht für Dividenden, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, von einer inländischen Tochtergesellschaft zufließen. Die ausländische Muttergesellschaft kann dann beim Finanzamt die Erstattung der abgeführten Kapitalertragsteuer beantragen.

Dieser Erstattungsanspruch ist nach § 50d Abs. 3 EStG (2012) jedoch ausgeschlossen, wenn  folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) An der ausländischen Muttergesellschaft sind Personen beteiligt, die keinen Anspruch auf eine solche Erstattung hätten, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielt hätten; und (2) die von der ausländischen Muttergesellschaft erzielten Erträge stammen nicht aus ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit; und alternativ (3) in Bezug auf diese Erträge liegen auch keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Muttergesellschaft vor oder (4) die ausländische Muttergesellschaft nimmt nicht mit einem für ihren Zweck angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil.

Diese Ausschlussregelung, welche missbräuchlichen Gestaltungen vorbeugen soll, sieht das FG Köln im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben kritisch. Insbesondere zweifelt es die Vereinbarkeit der Norm mit der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU einerseits sowie mit der europäischen Mutter-Tochter-Richtlinie andererseits an.

Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 i.V.m. Art 54 AEUV gewährt für Gesellschaften das Recht auf freie Sitz-Wahl innerhalb der EU, welche nicht durch nachteilige Regelungen einzelner Mitgliedstaaten beschränkt werden darf. Die europäische Mutter-Tochter-Richtlinie sieht vor, dass die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft grenzüberschreitend ausgezahlte Dividende vom Steuerabzug an der Quelle, d.h. im Sitzstaat der Tochtergesellschaft, befreit ist.

Vereinfachter Sachverhalt

Die Klägerin war eine niederländische Kapitalgesellschaft, deren Anteile zu 100% von einer im Inland ansässigen GmbH gehalten wurden. Die Klägerin wiederum hielt im Streitjahr, neben anderen Beteiligungen, 93,66% der Anteile an einer inländischen Tochter-GmbH.

Gegenüber ihren Tochtergesellschaften beschränkte sich die Tätigkeit der Klägerin auf das Halten und Verwalten der gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen sowie auf die bedarfsgerechte Vergabe von Finanzierungsdarlehen. Gelegentlich war die Klägerin zudem auch im Einkauf für den Konzernverbund tätig. Die Klägerin war mit eigenen Büroräumen und eigenem Personal ausgestattet.

Im streitigen Veranlagungszeitraum schüttete die inländische Tochter-GmbH ihren Gewinn an die Klägerin aus und führte die hierauf einbehaltene Kapitalertragsteuer an das Finanzamt ab. Die Klägerin beantragte daraufhin die Erstattung dieser einbehaltenen und abgeführten Steuer, was das Finanzamt mit der Begründung ablehnte, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfülle und damit nicht erstattungsberechtigt sei.

Vorlagebeschluss des FG Köln vom 17.05.2017 – 2 K 773/16

Das FG Köln (RS1245557) legt die Frage der Europarechtskonformität der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG nunmehr dem EuGH vor.

Das Gericht hat in seiner Entscheidung zunächst festgestellt, dass drei Voraussetzungen für eine Versagung der Steuererstattung nach dieser Norm im Streitfall erfüllt seien: (1) Die Anteilseignerin der Klägerin hätte als unbeschränkt steuerpflichtige inländische GmbH keinen Erstattungsanspruch gehabt, wenn die Dividendenausschüttung unmittelbar an sie erfolgt wäre. (2) Die von der Klägerin erzielten Erträge stammten nur im Hinblick auf die – untergeordnete – Einkaufstätigkeit, nicht aber in Bezug auf die rein vermögensverwaltende Holding- und Finanzierungstätigkeit aus ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit; und (3) in Bezug auf diese Erträge sei kein wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Grund für die Einschaltung der ausländischen Klägerin ersichtlich. Deshalb führe auch das Vorhandensein eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs bei der Klägerin insgesamt zu keinem anderen Ergebnis. Da der Klägerin also – bei Geltung des § 50d Abs. 3 EStG – die Steuererstattung (quotal bezogen auf die Holding- und Finanzierungstätigkeit) zu versagen sei und das Gericht Zweifel an der Europarechtskonformität der Norm habe, sei die Vorlagefrage auch entscheidungserheblich.

Das FG Köln äußert in seinem Beschluss zunächst Zweifel an der Vereinbarkeit der Regelung mit der Niederlassungsfreiheit. Kritisch sieht das Gericht dabei die Benachteiligung zwischengeschalteter ausländischer Holdinggesellschaften gegenüber inländischen Holdinggesellschaften: während die dauerhafte Zwischenschaltung inländischer Holdinggesellschaften grundsätzlich nicht als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werde und die einbehaltene Kapitalertragsteuer angerechnet oder vergütet werde, sodass im Ergebnis keine Belastung mit Kapitalertragsteuer bestehe, werde diese Entlastung über die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG ausländischen Holdinggesellschaften verwehrt. Für diese Ungleichbehandlung bestehe aber kein ausreichender sachlicher Grund. Als sachlichen Rechtfertigungsgrund für nationale Missbrauchsklauseln erkennt der EuGH grundsätzlich die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen an, welche aber nur als solche zu qualifizieren sind, wenn rein künstliche Gestaltungen vorliegen, d.h. wenn weder eine wirtschaftliche Tätigkeit noch eine dauerhafte Ansiedlung gegeben ist. Solche nationalen Missbrauchsklauseln müssen nach der EuGH-Rechtsprechung zudem der jeweiligen Gesellschaft die Möglichkeit zum Gegenbeweis geben und verhältnismäßig sein. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nach Auffassung des FG Köln im vorliegenden Fall zweifelhaft, da schon unklar sei, ob die Klägerin bzw. deren inländische Anteilseignerin durch die Zwischenschaltung überhaupt einen missbräuchlichen Steuervorteil erziele. Schließlich sei die inländische Anteilseignerin ohne Zwischenschaltung der Klägerin auch von der Kapitalertragsteuer-Belastung befreit. Zudem bemängelt das Gericht die überschießenden, weil kumulativen Anforderungen der Norm als unverhältnismäßig, insbesondere, da hiervon nicht nur rein künstliche (missbräuchliche) Gestaltungen erfasst seien, sondern grundsätzlich auch Holdinggesellschaften, die über ausreichende Substanz verfügen. Ein Gegenbeweis zur Entkräftung des Missbrauchsvorwurfs sei für solche Gesellschaften nur schwer möglich. Dieses gelte vor allem deshalb, da die Feststellungslast für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG allein die betreffenden ausländischen Holdinggesellschaften treffe – die gesetzliche Vermutung gehe grundsätzlich zunächst von einer missbräuchlichen Gestaltung aus.

Weiter bemängelt das Gericht die Abweichung der Vorschrift von der europäischen Mutter-Tochter-Richtlinie, welche ja gerade eine Freistellung vom Steuerabzug an der Quelle für grenzüberschreitend gezahlte Dividenden vorsieht. Zwar sei es den EU-Mitgliedstaaten nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage gestattet gewesen, zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen der Richtlinie entgegenstehende Vorschriften zu erlassen; dieses könne aber nicht bedeuten, dass einzelne Mitgliedstaaten beliebig eigene Definitionen für missbräuchliche Steuergestaltungen treffen können. Zu beachten sei dabei vor allem auch der Gleichlauf des EU-Rechts: eine nationale Norm, die unter dem Aspekt der Bekämpfung missbräuchlicher steuerlicher Gestaltungen nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei, könne dann auch nicht im Einklang mit der Mutter-Tochter-Richtlinie stehen.

Zusammenfassung

Mit diesem Vorlagebeschluss reagiert das FG Köln begrüßenswerterweise auf die unverhältnismäßigen Anforderungen, die der deutsche Gesetzgeber auch in der aktuellen Fassung des § 50d Abs. 3 EStG an zwischengeschaltete Holdinggesellschaften stellt. Insbesondere die pauschale Erfassung auch substanzhaltiger Gesellschaften und die fehlende Möglichkeit eines Gegenbeweises stehen außer Verhältnis zum angestrebten Zweck der Steuerumgehung.

Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH der Einschätzung des FG Köln folgt und damit einmal mehr den deutschen Gesetzgeber zur Einhaltung der europarechtlichen Vorgaben zwingen wird.

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