EU-Kommission schlägt grundlegende Reform des Mehrwertsteuersystems vor

RA/StB Dr. Helge Jacobs, Counsel bei Linklaters LLP, München

Mit einem Aufkommen von fast einer Billion Euro im Jahr 2014 ist die Mehrwertsteuer eine bedeutende und wachsende Einkommensquelle der Mitgliedstaaten. Es ist daher ein drängendes Anliegen der Mitgliedstaaten, die jährliche Mehrwertsteuerlücke von schätzungsweise 170 Mrd. Euro zu schließen, die in nicht geringem Umfang auf betrügerische Machenschaften (ca. 50 Mrd. Euro) zurückgeht (sog. „Karussellbetrug“). Andererseits beklagt die Unternehmenspraxis, dass die mehrwertsteuerlichen Risiken und die Administration des grenzüberschreitenden Handels in der Union zunehmen und es einfacher und rechtssicherer sei, Lieferungen in das Nicht-EU Ausland abzuwickeln. Im Rahmen des Mehrwertsteuer-Aktionsplans hat die EU-Kommission daher am 04.10.2017 ein neues Übergangsregime zu grenzüberschreitenden Lieferungen in der Union vorgestellt und zugleich einen Ausblick auf das endgültige System gegeben. Die Kommission gibt das Ideal einer Besteuerung des Unternehmers nach den Regelungen im „Ursprungsland“ definitiv auf. Richtlinie sowie Verordnungen (vgl. Link zur Richtlinie en / de) sollen ab dem 01.01.2019 greifen. Erst 2022 soll dann der Wechsel zu einem endgültigen System für den Handel kommen.

Betrugsanfälligkeit der Innergemeinschaftlichen Lieferung

Beim sog. „Karussellbetrug“ rechnen Betrüger über vermeintlich grenzüberschreitende Lieferungen an Unternehmerkunden ohne Umsatzsteuer ab, ohne dass es im Nachgang zu einer definitiven Besteuerung im Bestimmungsland kommt. Die Kommission versucht dieser Praxis bis zum Übergang zum endgültigen System für den Handel mit dem „zertifizierten Mehrwertsteuerpflichtigen“, sowie mit einer geänderten Regelung der „innergemeinschaftlichen Lieferung“ entgegenzuwirken.

Der zertifizierte Steuerpflichtige

Bei Lieferungen an einen Erwerber, der zertifizierter Mehrwertsteuerpflichtiger ist, soll zukünftig nur eine einzige steuerpflichtige Lieferung im Bestimmungsland ausgeführt werden: Die Steuerschuld soll auf den vertrauenswürdigen Erwerber (zertifizierten Steuerpflichtigen) übergehen.

Innergemeinschaftliche Lieferung – Neuregelung

Anders als bisher, soll die Verwendung von MwSt-IdNr. und der MIAS-Eintrag nicht mehr nur formale, sondern zukünftig auch materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung sein. In der Praxis sorgte der Belegnachweis (Stichwort: „Gelangensbestätigung“) in Deutschland für Wirbel und soll nun „anwenderfreundlicher“ ausgestaltet werden.

Lieferungen aus einem Konsignationslager im Inland

Lieferungen ausländischer Unternehmer aus einem Konsignationslager im Inland sind aktuell mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden und stellen sich nicht selten als Umsatzsteuerfalle heraus: Der ausländische Unternehmer muss sich für umsatzsteuerliche Zwecke im jeweiligen Bestimmungsland erfassen lassen und dort Erklärungspflichten erfüllen – wenn das Bestimmungsland nicht (wohl nicht vollends unionsrechtskonforme) Vereinfachungsregelungen vorsieht. Zukünftig sollen ausländische Unternehmer nur noch steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen im Abgangsmitgliedstaat und Unternehmerkunden steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe im Bestimmungsland anmelden – vorausgesetzt sie kommen ihren Nachweispflichten nach, führen Aufzeichnungen über den Warenbestand und der Lieferer führt die Lieferungen in seiner Zusammenfassenden Meldung auf.

Neuregelung für Reihengeschäfte zwischen Unternehmern innerhalb der Union

Welchem der Umsätze bei einem (innergemeinschaftlichen) Reihengeschäft die innergemeinschaftliche Beförderung zuzurechnen ist, welche Lieferung demnach als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung zu behandeln ist, ist gegenwärtig nach Maßgabe einer Einzelfallprüfung festzustellen. Bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften zwischen ausschließlich zertifizierten Steuerpflichtigen gilt zukünftig bei Beförderung durch oder auf Rechnung eines Zwischenlieferers, dass die Beförderung der Lieferung an diesen Zwischenlieferer zuzuschreiben ist, sofern er für Mehrwertsteuerzwecke in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Lieferung registriert ist und den Namen des Eingangsmitgliedstaates an seinen Lieferer übermittelt hat. Sind die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Beförderung der Lieferung des Zwischenlieferers an den nächsten Wirtschaftsbeteiligten zuzurechnen. Der Vorschlag orientiert sich damit an den bisherigen deutschen Regelungen.

Endgültiges System für den Handel in der Union

In Zukunft soll der nicht im Bestimmungsland ansässige leistende Unternehmer die Steuer nach dem Steuersatz des Bestimmungslands über eine einzige Anlaufstelle anmelden und entrichten, es sei denn der Erwerber ist selbst zertifizierter Steuerpflichtiger; in diesem Fall soll die Steuerschuld auf den Erwerber übergehen und damit insoweit das bereits für innergemeinschaftliche Dienstleistungen gegenwärtig bestehende Besteuerungskonzept für Lieferungen in der Union nachvollzogen werden. Diese Anlaufstelle muss in einem Mitgliedstaat belegen sein und leitet das Steueraufkommen an das Bestimmungsland weiter. Mit diesem System würde das Besteuerungskonzept bestehend aus steuerbefreiter innergemeinschaftlicher Lieferung und steuerpflichtigem innergemeinschaftlichen Erwerb vollends entfallen.

Fazit

Seit Einführung des mehrwertsteuerlichen Binnenmarkts übernehmen Unternehmer Aufgaben der Zollbehörden. Damit wurde auch der Grundstein für den internationalen Karussellbetrug gelegt. Zu begrüßen ist, dass steuerehrliche Unternehmer Instrumente (zertifizierter Steuerpflichtiger; vereinfachter Belegnachweis) erhalten, die es ihnen erlauben sollten, ihren Lieferverkehr mit Unternehmen in anderen EU-Mitgliedstaaten rechtssicherer als bislang abzuwickeln. Das aber hat seinen Preis: Unternehmer müssen sich zertifizieren lassen, bestehende (IT-)Prüfroutinen gegebenenfalls modifizieren und ihr Kontrollsystem anpassen. Ob das neue System betrugsresistenter sein wird, muss sich allerdings erst in der Praxis zeigen.

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