Wegzug natürlicher Personen – Steuerstundung auch bei Wegzug in die Schweiz?

RA/StB/FAStR Prof. Dr. Jens Escher, Salary Partner bei TaylorWessing, Düsseldorf

Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft, die Deutschland durch Wegzug den Rücken kehren möchten, sehen sich der Gefahr einer Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) ausgesetzt. Bei Wegzügen in EU-/EWR-Staaten kommen im Grundsatz großzügige Stundungsregelungen zur Anwendung, nicht aber bei Wegzügen in Drittstaaten. Das FG Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 14.06.2017 (2 K 2413/15) dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob im Fall eines Wegzugs in die Schweiz nicht dieselben Stundungsregeln gelten müssen wie bei Wegzügen in EU-/EWR-Staaten.

Besteuerung bei Wegzug des Anteilseigners einer Kapitalgesellschaft

Natürliche Personen, die mindestens 10 Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig waren und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Wegzug endet, trifft im Zeitpunkt des Wegzugs ggf. eine Wegzugsbesteuerung. Betroffen sind ausschließlich Anteile i.S.d. § 17 EStG an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften, also im Privatvermögen gehaltene Beteiligungen von mindestens 1 % (Beteiligung am Kapital innerhalb der letzten fünf Jahre). Diese Anteile gelten zum Wegzugszeitpunkt als veräußert, wobei mangels tatsächlichen Verkaufs der „gemeine Wert“ (Verkehrswert) der Anteile als fiktiver Veräußerungspreis zum Ansatz kommt (§ 6 Abs. 1 AStG). In Höhe der Differenz zwischen dem Verkehrswert der Anteile und den maßgeblichen Anschaffungskosten des Wegzüglers entsteht hierdurch ein fiktiver Veräußerungsgewinn, welcher – wie bei einer tatsächlichen Veräußerung – zu 60 % der Einkommensteuer mit dem persönlichen Steuersatz unterworfen wird (Teileinkünfteverfahren). Die ermittelte Steuer wird im Einkommensteuerbescheid für das Wegzugsjahr festgesetzt.

Hintergrund der Regelung ist der Umstand, dass Deutschland aufgrund des Wegzugs des Anteilseigners das Besteuerungsrecht für eine nach dem Wegzug erfolgende Anteilsveräußerung verlieren würde, aufgrund von DBA-Regelungen regelmäßig auch im Fall einer Beteiligung an einer deutschen Kapitalgesellschaft. Im Wegzugszeitpunkt soll daher die letzte Möglichkeit genutzt werden, die in den Anteilen verhafteten Wertsteigerungen (stille Reserven) einer Besteuerung in Deutschland zu unterwerfen.

Wegzug in EU-/EWR-Staaten

Während die festgesetzte Wegzugssteuer früher im Regelfall auch unmittelbar fällig wurde, sieht das Gesetz seit Neufassung durch das SEStEG (Gesetz vom 07.12.2006, BGBl. I 2006 S. 2782) für Wegzüge von Staatsbürgern eines EU-/EWR-Staates in einen dieser Staaten vor, dass die bei Wegzug festgesetzte Steuer ohne Antrag und unbefristet zu stunden ist, und zwar zinslos und ohne Sicherheitsleistung (§ 6 Abs. 5 AStG). Die Stundung endet im Grundsatz erst im Zeitpunkt einer späteren tatsächlichen Anteilsveräußerung (§ 6 Abs. 5 Satz 4 AStG, der jedoch verschiedene Ersatztatbestände enthält). Der Gesetzgeber reagierte hiermit auf Vorgaben des EuGH, demzufolge die Berechnung und Festsetzung einer Wegzugssteuer zwar im Grundsatz legitim sei, deren sofortige Erhebung jedoch eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit  darstelle (EuGH vom 11.03.2004 – Rs. C-9/02, Lasteyrie du Saillant, DB 2004 S. 686; vom 07.09.2006 – Rs. C-470/04, N, RS0847320).

Wegzug in Drittstaaten

Bei Wegzügen in Drittstaaten ist die Situation anders. Das Gesetz sieht hier weiterhin für den Regelfall die sofortige Erhebung der Steuer auf den „fiktiven Veräußerungsgewinn“ vor. Lediglich dann, wenn die sofortige Einziehung der Steuer mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre, sieht das Gesetz auf Antrag die Möglichkeit einer ratierlichen, verzinslichen Stundung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren gegen Sicherheitsleistung vor (§ 6 Abs. 4 AStG). Einen Härtefall wird man zwar regelmäßig bereits dann annehmen können, wenn der Steuerpflichtige ohne die Stundung gezwungen wäre, die Anteile zwecks Finanzierung der ausgelösten Wegzugssteuer zu verkaufen. Gleichwohl liegen in der Verzinsung (es gelten die üblichen 6 % p.a., § 238 AO) und der Befristung der Stundung erhebliche Nachteile, die durchaus geeignet sein können, einen Anteilseigner vom Wegzug in einen Drittstaat abzuhalten. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) oder die allgemeine Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) stehen dem nicht entgegen, da diese für Drittstaatensachverhalte nicht gelten. Zwar gilt im Grundsatz die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfte der bloße Wohnsitzwechsel allerdings nicht in deren Anwendungsbereich fallen (vgl. EuGH vom 23.02.2006 – Rs. C-513/03, van Hilten), zudem ist eine Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ggf. gesperrt (vgl. EuGH vom 10.05.2007 – Rs. C-492/04, Lasertec, DB 2007 S. 1283).

Wegzug in die Schweiz

Was gilt nun bei Wegzügen in die Schweiz? Da die Schweiz kein EU-/EWR-Staat ist, müssten eigentlich die Regelungen zum Wegzug in Drittstaaten gelten, d.h. es käme im Grundsatz zur sofortigen Erhebung der Wegzugssteuer. Allerdings wurde zwischen der Schweiz und der EG bzw. deren Mitgliedstaaten ein 1999 unterzeichnetes und 2002 in Kraft getretenes Freizügigkeitsabkommen (FZA) geschlossen, welches die Freizügigkeit zwischen den Vertragsstaaten auf der Grundlage der zwischen den EU-Staaten geltenden Bestimmungen verwirklichen soll. Ob dieses FZA es gebietet, im Fall des Wegzugs des Staatsbürgers eines Vertragsstaats in die Schweiz wie im Fall eines Wegzugs in einen EU-/EWR-Staat eine voraussetzungslose, unbefristete und zinslose Stundung der Wegzugssteuer zu gewähren, wird seit Jahren kontrovers diskutiert (offen gelassen durch BFH vom 25.08.2009 – I R 88, 89/07, RS0764609 = BFH/NV 2009 S. 2047).

Das FG Baden-Württemberg geht in seinem Beschluss vom 14.06.2017 davon aus, dass diese Frage zu bejahen ist, da das FZA ein „Diskriminierungsverbot“ enthalte. Ferner sei die Rechtsprechung des EuGH zu den europäischen Grundfreiheiten auf die im FZA geregelten Freizügigkeitsrechte übertragbar. Eine sofortige Erhebung der bei Wegzug in die Schweiz festgesetzten Steuer beschränke die gebotene Freizügigkeit daher in nicht gerechtfertigter Weise. Dies gelte unabhängig davon, ob die Wohnsitzverlagerung beruflich oder privat veranlasst sei.

Fazit

Das vom FG Baden-Württemberg eingereichte Vorabentscheidungsersuchen (Art. 267 AEUV) ist zu begrüßen, bietet es doch dem EuGH die Möglichkeit, die Frage der Reichweite der im FZA geregelten Freizügigkeitsrechte weiter zu präzisieren, insbesondere mit Blick auf steuerliche Regelungen der Vertragsstaaten. Dies ist nicht abschließend geklärt, insbesondere nicht mit Blick auf die hier relevante Frage der Wegzugsbesteuerung. Wie etwa die Entscheidung des EuGH in der Rs. Ettwein belegt (EuGH vom 28.02.2013 – Rs. C-425/11, RS0707972; vgl. dazu Hennigfeld, StR kompakt, DB0585211), ist das FZA aber durchaus geeignet, ein den europäischen Grundfreiheiten vergleichbares Schutzniveau auch bezüglich steuerlicher Regelungen zu gewähren. Offen ist im vorliegenden Zusammenhang allerdings insbesondere, ob dies nur in Fällen gelten kann, in denen der Wohnsitzwechsel einen „wirtschaftlichen Hintergrund“ hat und daher geeignet ist, in den Anwendungsbereich etwa der Niederlassungsfreiheit oder der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu fallen. Mit Blick auf die im Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz inzwischen enthaltene „große Auskunftsklausel“ (Art. 27 DBA-Schweiz) spricht vieles dafür, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit jedenfalls nicht mit dem Einwand gerechtfertigt werden kann, eine Erhebung der gestundeten Steuer im Fall einer späteren Anteilsveräußerung sei aufgrund eines Informationsdefizits gefährdet. Allenfalls wäre an die Erforderlichkeit einer Sicherheitsleistung zu denken, weil keine Beitreibungsunterstützung durch die Schweiz gewährleistet ist.

Bis zur Entscheidung des EuGH sind Wegzüge von Anteilseignern in die Schweiz weiter mit dem Risiko einer sofort zu entrichtenden Wegzugssteuer verbunden. Bescheide sind ggf. offen zu halten. Im Fall einer ausgelösten Wegzugsbesteuerung kann auch eine Rückkehr nach Deutschland innerhalb von fünf Jahren (bei berufsbedingter vorübergehender Abwesenheit innerhalb von 10 Jahren) Abhilfe schaffen; wurden die Anteile zwischenzeitlich nicht veräußert, entfällt die bei Wegzug festgesetzte Steuer rückwirkend (§ 6 Abs. 3 AStG).

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