In der am 15.12.2017 veröffentlichten Entscheidung vom 17.11.2017 (4 K 3523/14 F) hat das FG Münster entschieden, dass Abzinsungserträge aus der erstmaligen Abzinsung unverzinslicher Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG zu den Zinserträgen i.S.d. des § 4h Abs. 3 Satz 3 und 4 EStG zählen. Die Entscheidung steht damit in Widerspruch zu Tz. 27 des Anwendungsschreibens der Finanzverwaltung zur Zinsschranke vom 04.07.2008 (BStBl. I 2008 S. 718 = VA0344542). Nach Auffassung der Finanzverwaltung zählen Erträge aus der erstmaligen Abzinsung unverzinslicher Verbindlichkeiten nicht zu den bei der Ermittlung des Zinssaldo des Betriebs zu berücksichtigenden Zinserträgen.
Ausgangslage
Auch gut 10 Jahre nach der Einführung der sog. Zinsschranke sind zahlreiche Anwendungsfragen der Vorschrift nicht abschließend geklärt. Zuletzt ist die fachliche Diskussion v.a. durch die mögliche Verfassungswidrigkeit der Zinsabzugsbeschränkung dominiert worden (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. BFH vom 14.10.2015 – I R 20/15, RS1191858). Hierbei darf allerdings nicht übersehen werden, dass der deutschen Abzugsbeschränkung – im Hinblick auf die Vorgaben der EU-Kommission zur Einführung einer Zinsabzugsbeschränkung (s. ATAD I) – eine gewisse Vorbildfunktion zukommt. Die von dem FG Münster entschiedene Rechtsfrage wird seit der Einführung der Vorschrift streitig diskutiert. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung für die Fortentwicklung der Vorschrift von Bedeutung.
Der Entscheidung des FG Münster zugrunde liegender Sachverhalt
Für das Streitjahr 2009 war streitig, ob die Zinsschranke für den Betrieb einer Mitunternehmerschaft (GmbH & Co. KG) einem steuerwirksamen Abzug von Zinsaufwendungen entgegensteht. Die Besonderheit des Streitfalls bestand dabei darin, dass sich für den Betrieb der Mitunternehmerschaft – unter Berücksichtigung von Abzinsungserträgen als Zinserträge i.S.d. § 4h Abs. 3 Satz 4 EStG – kein die Freigrenze von 3 Mio. € übersteigender negativer Zinssaldo ergeben hätte. Im Ergebnis hätte die Zinsschranke im Streitjahr einer steuerwirksamen Berücksichtigung der Zinsaufwendungen nicht entgegen gestanden. Die im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung gewinnerhöhend berücksichtigten Abzinsungserträge des Streitjahres resultierten aus der erstmaligen bilanziellen Erfassung einer unverzinslichen Darlehensverbindlichkeit des Gesamthand- bzw. des Sonderbereichs der Mitunternehmerschaft (Laufzeit > 12 Monate) mit dem Barwert gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG.
Die Finanzverwaltung hat – unter Verweis auf Tz. 27 des Anwendungsschreibens zur Zinsschranke vom 04.07.2008 – die Auffassung vertreten, dass § 4h Abs. 3 Satz 4 EStG keine Zinserträge aus der erstmaligen bilanziellen Erfassung unverzinslicher Verbindlichkeiten erfasst. Bei diesen Zinserträgen handele es sich nicht um Zinserträge i.S.d. § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG. Dies folge daraus, dass Erträgen aus der erstmaligen Abzinsung der „Zinscharakter“ i.S. eines Entgelts für eine Kapitalüberlassung fehle. Im Rahmen der 30%-Grenze des steuerlichen EBITDA (ohne Berücksichtigung der Abzinsungserträge überstieg der negative Zinssaldo des Betriebs die Freigrenze von 3 Mio. €) war für den Betrieb der Mitunternehmerschaft nur ein Teilbetrag der Zinsaufwendungen des Streitjahres steuerlich abzugsfähig (der nicht abzugsfähige Teilbetrag der Zinsaufwendungen ging in den zum 31.12.2009 festzustellenden Zinsvortrag ein).
§ 4h Abs. 3 Satz 4 EStG erfasst auch Erträge aus der erstmaligen Abzinsung
Das FG Münster begründet die Anwendung des § 4h Abs. 3 Satz 4 EStG auf Abzinsungserträge mit dem Wortlaut der Vorschrift. Danach führt die Auf- und Abzinsung unverzinslicher oder niedrig verzinslicher Verbindlichkeiten oder Kapitalforderungen zu bei der Ermittlung des Zinssaldos zu berücksichtigenden Zinserträgen oder Zinsaufwendungen. Voraussetzung ist, dass die Abzinsung eine Schuld betrifft, der eine Geldkapitalüberlassung zugrunde liegt. Das FG Münster hebt hervor, dass – ausgehend von dem Wortlaut der Vorschrift – sämtliche Abzinsungserträge, die den maßgeblichen Gewinn erhöht haben, auch zu Zinserträgen i.S.d. Satzes 3 der Vorschrift führen.
Aus Sicht des FG Münster lassen sich sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch der Gesetzesbegründung keine Hinweise entnehmen, dass Erträge aus der erstmaligen Abzinsung unverzinslich oder niedrig verzinslicher Verbindlichkeiten nicht zu bei der Ermittlung des Zinssaldos zu berücksichtigenden Zinserträgen führen sollen. Das FG Münster gelangt insoweit zu dem zutreffenden Ergebnis, dass die von der Finanzverwaltung in Tz. 27 des BMF-Schreibens angelegte „Sonderregelung“ für Zinserträge aus der erstmaligen Abzinsung unverzinslicher Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG keine Stütze im Gesetz findet. Wie das FG Münster zutreffend feststellt, erfasst der Wortlaut des § 4h Abs. 3 Satz 4 EStG sämtliche Fälle der Auf- und Abzinsung unverzinslicher oder niedrig verzinslicher Verbindlichkeiten oder Kapitalforderungen.
Auch wenn das FG Münster hierauf nicht näher eingeht, lässt sich Tz. 27 des BMF-Schreibens auch nicht mit dem Ziel der Verhinderung aus Sicht der Finanzverwaltung missbräuchlicher Gestaltungen rechtfertigen. Verhindern will die Finanzverwaltung die Nutzung des Einmaleffektes aus der Generierung von Zinserträgen für Zinsschrankenzwecke; der gegenläufige Effekt aus der Aufzinsung wirkt sich hingegen erst in den Folgejahren ratierlich aus.
Das FG Münster legt zudem auch zutreffend dar, dass die von der Finanzverwaltung vertretene Argumentation – bei dem Abzinsungsertrag handele es sich nicht um ein Entgelt für eine Kapitalüberlassung – im Hinblick auf die Gesetzessystematik nicht tragfähig ist. Denn das Gesetz unterscheidet ausdrücklich zwischen den von § 4h Abs. 3 Satz 3 EStG erfassten Entgelten für ein Kapitalüberlassungsverhältnis und den durch den Satz 4 gesetzlich bestimmten Zinserträgen.
Die Rechtsauffassung des FG Münster ist auch vor dem Hintergrund zutreffend, dass hierdurch die aus Tz. 27 des BMF-Schreibens resultierende Asymmetrie beseitigt wird. Während der Zinsertrag aus der Abzinsung unverzinslicher Verbindlichkeiten im Jahr der erstmaligen bilanziellen Berücksichtigung der Verpflichtung unberücksichtigt bleiben soll, wirkt sich der Aufwand aus der ratierlich vorzunehmenden Zuschreibung der Verbindlichkeit bis zum Fälligkeitszeitpunkt in den Folgejahren stets erhöhend auf den Zinsaufwand aus. Die Verwaltungsauffassung hat daher im Ergebnis zur Folge, dass Zinsertrag und Zinsaufwendungen in systematischer Hinsicht nicht begründbare unterschiedliche steuerliche Folgen nach sich ziehen. Die aus Tz. 27 des BMF-Schreibens resultierende Differenzierung überzeugt daher nicht.
Unter Berücksichtigung der aus der Abzinsung resultierenden Zinserträge ergaben sich für den Betrieb der Klägerin keine aufgrund der Zinsschranke nicht abzugsfähigen Zinsaufwendungen (der negative Zinssaldo des Betriebs betrug weniger als 3 Mio. €). Vor diesem Hintergrund konnte das FG Münster über den Streitfall – trotz des Vorlagebeschlusses des I. Senats zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift – entscheiden.
Fazit
Die Entscheidung des FG Münster ist ein Beleg dafür, dass die Finanzverwaltung dazu neigt, den Steuerpflichtigen belastende und in der Rechtsanwendung bereits komplexe steuerliche Vorschriften durch Anwendungsschreiben weiter zu verschärfen und zu verkomplizieren. Das FG Münster hat zutreffend herausgestellt, dass die einschränkende Auslegung des § 4h Abs. 3 Satz 4 EStG durch die Finanzverwaltung durch den Gesetzeswortlaut nicht gedeckt ist. Aus Sicht der Praxis ist die Entscheidung erfreulich. Allerdings ist zu beachten, dass die Entscheidungsgrundsätze im Fall der Abzinsung einer unverzinslichen bzw. niedrig verzinsten Forderung durch die Generierung von Zinsaufwendungen auch zu Lasten des Steuerpflichtigen wirken können. Das FG Münster hat die Revision zugelassen. Es ist daher zu hoffen, dass der BFH die Gelegenheit erhält, die Rechtsauffassung des FG Münster zu bestätigen.