Kann die Rückzahlung einer Einlage an einen Gesellschafter Kapitalertragsteuer auslösen? Ja, meint zumindest das FG Sachsen in einem Urteil vom 08.06.2016 – 2 K 1860/15. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen offenen und verdeckten Gewinnausschüttungen, wenn gleichzeitig mit ihnen Einlagen an die Gesellschafter zurückgewährt werden.
Unterschiedliche Behandlung offener und verdeckter Gewinnausschüttungen
Hat z.B. ein Gesellschafter im Jahr 01 eine Einlage in seine Gesellschaft erbracht, etwa mit dem Ziel das Eigenkapital der Gesellschaft zu stärken, so kann er diese Einlage im Jahr 03 wieder steuerfrei von der Gesellschaft zurückerlangen, wenn kein vorrangiger Gewinn bei der Gesellschaft entstanden ist und ein entsprechender Auszahlungsbeschluss sowie eine spezielle Bescheinigung vorliegen (sog. „Einlagenrückgewähr“).
Hat demgegenüber eine Gesellschaft ihrem Gesellschafter in einem Jahr nicht ausdrücklich seine zuvor geleistete Einlage zurückgewährt, sondern ihm einen zunächst nicht näher benannten Vorteil (z.B. private Nutzung eines Pkw der Gesellschaft) zugewendet, so kann sich folgendes Problem stellen: Nimmt die Finanzverwaltung im Nachhinein (etwa im Zuge einer Betriebsprüfung) an, dass der zugewendete Vorteil dem Grunde nach eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) ist, so wird der Vorteil als voll steuerpflichtige Gewinnausschüttung behandelt. Dieses Ergebnis wäre auch sachgerecht, wenn die Gesellschaft tatsächlich Gewinne ausgewiesen hat. Ist aber nun bei der Gesellschaft überhaupt kein ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden, so würde jedenfalls im Falle einer offenen Ausschüttung der an den Gesellschafter zugewendete Vorteil nur das Einlagenkonto schmälern, also im Grundsatz steuerfrei als Einlagenrückgewähr zufließen.
Einer steuerfreien Einlagenrückgewähr steht jedoch in Fällen der vGA häufig die gesetzliche Regelung des § 27 Abs. 3 und 5 KStG entgegen. Diese Regelung verlangt für die steuerfreie Einlagenrückgewähr eine spezielle Bescheinigung, die die Gesellschaft ihrem Gesellschafter ausstellen muss. Diese Bescheinigung kann allerdings im Nachhinein – also nach Aufdeckung der vGA – häufig nicht mehr erteilt werden. Das Gesetz sieht nämlich für die Erteilung der Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 und 5 KStG eine enge Frist vor. Die Bescheinigung kann nur solange ausgestellt werden, bis das Einlagenkonto erstmals i.S.v. § 27 Abs. 2 KStG gesondert festgestellt worden ist. Dies ist im häufigen Fall der Aufdeckung einer vGA durch eine Betriebsprüfung (mehrere Jahre später) regelmäßig ein Problem, da der entsprechende Feststellungsbescheid in der Regel bereits ergangen ist.
Die fehlende Bescheinigung führt dazu, dass sowohl der Gesellschafter als auch die Gesellschaft eine tatsächlich erfolgte Einlagenrückgewähr als steuerbare vGA behandeln müssen. Auf Ebene der Gesellschaft entsteht plötzlich ein zu versteuernder Gewinn und der Gesellschafter erhält eine steuerpflichtige Gewinnausschüttung.
Dieses Problem kann auch in Fällen auftreten, in denen tatsächlich ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist. Übersteigt nämlich die Höhe der nachträglich aufgedeckten vGA den Gewinn, so müsste sich eigentlich in Höhe der Differenz abermals das Einlagenkonto verringern. Es müsste also die aufgedeckte vGA zumindest insoweit steuerfrei bleiben, als es sich bei ihr tatsächlich um eine Rückgewähr von Einlagen handelt. Dem steht allerdings – genauso wie in dem Fall, in dem keine Gewinne vorhanden sind – die gesetzliche Regelung entgegen: Der über den ausschüttbaren Gewinn hinausgehende Betrag schmälert nicht das Einlagenkonto, sondern wird voll als Gewinnausschüttung versteuert.
Die Qualität der Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 und 5 KStG
Rechtlich entzündet sich das geschilderte Problem an der Einordnung und den Voraussetzungen der Bescheinigung, die die Gesellschaft dem Gesellschafter bei einer Einlagenrückgewähr ausstellen muss. Die Bescheinigung kann nämlich zeitlich nur innerhalb knapper Fristen erteilt werden. Außerdem entfaltet die Bescheinigung (und auch das Fehlen einer solchen Bescheinigung) nach einigen Urteilen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und auch des BFH (allerdings ins anders gelagerten Fällen) eine sog. „materielle Wirkung“, obwohl es sich eigentlich nur um eine formelle Voraussetzung zu handeln scheint. Die (formelle) Bescheinigung „überlagert“ sozusagen die tatsächliche (materielle) Qualität (Gewinnausschüttung oder Einlagenrückgewähr?) der Zuwendung.
Sachverhalt der Entscheidung des FG Sachsen vom 08.06.2016
Das FG Sachsen hatte eine Konstellation zu entscheiden, in der ein ausschüttungsfähiger Gewinn überhaupt nicht vorhanden war und die an den Gesellschafter geleistete vGA erst nachträglich im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckt wurde. Wegen des Fristablaufs konnte die Gesellschaft nicht mehr die nach § 27 Abs. 3 und 5 KStG erforderliche Bescheinigung ausstellen, so dass die vGA voll steuerpflichtig war.
Die Entscheidung des FG Sachsen vom 08.06.2016
Das FG Sachsen stellt sich in seiner Entscheidung auf den Standpunkt, die Gesetzeslage sei unzweifelhaft und für eine andere Auslegung der Regelungen zur Bescheinigung sei kein Raum. Das FG Sachsen führt weiter explizit aus, dass die gesetzlich fingierte Verwendung die tatsächliche Verwendung der Einlage verdränge und dass dies eben auch dann gelten solle, wenn eine vGA erst nach einer Außenprüfung nachträglich festgestellt werde. Eine teleologische Reduktion hält das FG Sachsen nicht für möglich, die Regelung sei vielmehr klar und eindeutig. Im Ergebnis wies das FG Sachsen die Klage der Gesellschaft also ab, so dass es dabei blieb, dass die de facto erfolgte Rückgewähr von Einlagen für die Gesellschaft und auch für den Gesellschafter voll steuerbar war.
Würdigung der Entscheidung
Gegen dieses Ergebnis sprechen gewichtige Gründe: Zum einen wird mit dieser Lesart der Regelungen zur Bescheinigung ein steuerrechtlicher Grundsatz ins Gegenteil verkehrt. Denn grundsätzlich folgt das Steuerrecht dem materiellen Inhalt des Geschehens und nicht dessen formeller Bezeichnung (sog. „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ oder „substance over form“). Zum anderen wurden die Vorschriften über die Bescheinigungen nach der Begründung des Gesetzgebers zu dem Zweck geschaffen, um in Fällen mit Auslandsberührungen nicht überprüfen zu müssen, ob das ausländische Recht einen Direktzugriff auf das Einlagenkonto zulässt. Abseits solcher Fälle mit Auslandsberührung besteht jedoch erst recht kein Bedürfnis für eine derart strenge Auslegung am Wortlaut, die den Zweck der Regelung verfehlt. Zudem ist auch grundsätzlich nicht ersichtlich, weshalb die Bescheinigung nicht auch nachträglich erteilt werden können soll.
Als Argumente für eine Besteuerung der Einlagenrückgewähr wird gelegentlich eingewandt, dass sich die Finanzverwaltung mit Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) helfen könnte. Dies ist allerdings abzulehnen. Billigkeitsmaßnahmen sind ihrer Natur nach dazu gedacht in Einzelfällen abzuhelfen. Darauf weist auch der Wortlaut der entsprechenden Vorschriften ausdrücklich hin. Es kann folglich schlicht nicht Sinn und Zweck der Billigkeitsregeln sein, jeden Fall der versteuerten Einlagenrückgewähr zu erfassen. Die Besteuerung einer Einlagenrückgewähr als Gewinnausschüttung wäre nämlich in jedem Fall einer vGA unbillig, so dass es sich nicht mehr nur um Einzelfälle handelt. Billigkeitsmaßnahmen sind daher insgesamt nicht das passende Instrument. Vielmehr besteht hier ein in der Gesetzessystematik angelegter Missstand, den entweder der Gesetzgeber eindeutig beheben müsste oder aber der Rechtsanwender konsequent mit den Mitteln der teleologischen und systematischen Auslegung aushebeln können sollte.
Die Regelung kann im Hinblick auf vGA auch nicht mit der gesetzgeberischen Typisierungskompetenz gehalten werden. Zwar müssen Steuerpflichtige vor dem Hintergrund des Charakters des Steuerrechts als Massenfallrecht damit leben, dass in Randbereichen bestimmter Tatbestandsgruppen Unschärfen entstehen, die im Einzelfall zu kleineren Unrechtmäßigkeiten führen. Allerdings liegen hier gerade keine solchen Einzelfälle vor, da die Regelung zumindest dem Grunde nach alle Fälle von vGA erfasst, die sich eigentlich auf das steuerliche Einlagenkonto auswirken müssten, also eine Vielzahl von Fällen.
Zusammenfassung
Finanzverwaltung und Rechtsprechung gehen von einer materiellen Wirkung der Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 und 5 KStG aus. Dem hat sich auch das FG Sachsen in der hier besprochenen Entscheidung angeschlossen. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision (Az. I R 45/16) wurde (leider) zurückgenommen, so dass der BFH sich gegenwärtig nicht mit dem hier besprochenen Problem beschäftigen muss. Es bleibt aber zu hoffen, dass ein solcher Fall bald den BFH erreicht und dieser die hier angeführten Argumente aufgreift.
Die nicht seltenen Fälle, in denen ohne jeden Missbrauchsvorwurf und ohne nachträgliche Reaktions- und Korrekturmöglichkeit die materielle Wirkung der Bescheinigung zur Steuerbarkeit einer Einlagenrückgewähr führt, sollten dabei beachtet werden. Ob die Regelung des § 27 Abs. 3 und 5 KStG vor diesem Hintergrund noch zu halten ist, bedarf zumindest kritischer Prüfung.
Es bleibt zu hoffen, dass das ernste Dilemma der Gesellschaften bald erkannt und der tatsächlichen Qualität der Zuwendungen der Vorrang vor der in einer Bescheinigung ausgestellten Herkunft eingeräumt wird, so dass dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise auch an dieser Stelle Geltung verschafft wird. Auf lange Sicht wäre eine Gesetzesänderung wünschenswert, in deren Rahmen schlicht die strenge Frist zur Erteilung der Bescheinigung gelockert werden müsste.