Beim Erwerb eines Unternehmens in der Form eines Asset Deals (Erwerb sämtlicher Aktiva und Passiva eines Unternehmens) haftet der Erwerber für die vor dem Erwerb entstandenen betrieblichen Steuern (insbesondere Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Lohnsteuer) des Unternehmens, sofern die betreffende Steuer seit Beginn des letzten Jahres vor der Übereignung des Betriebs entstanden ist und vor Ablauf eines Jahres nach Anmeldung des Betriebsübergangs festgesetzt wird (vgl. § 75 AO). Dieses Haftungsrisiko wird typischerweise durch eine vertragliche Steuerfreistellung abgesichert. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die vertraglichen Schutzmechanismen zugunsten des Erwerbers nicht immer greifen, da der Verkäufer im Falle einer Inanspruchnahme des Erwerbers mitunter nicht mehr in der Lage ist, die Freistellungsverpflichtung zu erfüllen. Einen wichtigen Hinweis auf (weitere) mögliche Haftungsrisiken und eine effektive Haftungsabschirmung gibt nun die Entscheidung des FG Sachsen vom 21.06.2017 – 1 K 892/14 (anhängig beim BFH: VII R 29/17).
Sachverhalt
In dem vom FG entschiedenen Fall, wurde ein Geschäftsführer für Steuerschulden der Gesellschaft als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Gegen den Haftungsbescheid legte der Geschäftsführer Einspruch ein und machte geltend, dass die gegen die zwischenzeitlich insolvente Gesellschaft festgesetzte Steuer unzutreffend bzw. zu hoch sei. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsführer mit materiellen Einwendungen gegen den Steuerbescheid ausgeschlossen sei und zurecht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könne, weil er als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin im Insolvenzverfahren die Möglichkeit gehabt habe, der Steuerforderung des Finanzamts zu widersprechen, was er jedoch nicht getan habe (ebenso der BFH in einem vergleichbaren Fall; vgl. BFH vom 16.05.2017 – VII R 25/16, DB 2017 S. 1821).
Analoge Anwendung von § 166 AO auf das Widerspruchsrecht im Insolvenzverfahren
Grundlage der Entscheidung ist die entsprechende Anwendung des § 166 AO auf das Widerspruchsrecht im Insolvenzverfahren, das der Geschäftsführer für die Insolvenzschuldnerin hätte ausüben können. Nach § 166 AO muss auch ein Dritter eine gegenüber einem anderen Steuerpflichtigen unanfechtbar festgesetzte Steuer gegen sich gelten lassen, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigten oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Das Widerspruchsrecht des Insolvenzschuldners, vertreten durch den Geschäftsführer, steht nach Auffassung des FG einer Anfechtbarkeit der Steuerfestsetzung i.S.d. § 166 AO gleich, so dass bei der Inanspruchnahme des Geschäftsführers als Haftungsschuldner eine materielle Überprüfung der Steuerschuld nicht mehr erfolge. Der Haftungsschuldner ist an den Steuerbescheid gebunden.
Haftungsinanspruchnahme des Erwerbers nach § 75 AO
Eine mit dem Fall des FG vergleichbare Situation kann auch bei der Haftungsinanspruchnahme des Erwerbers nach § 75 AO entstehen, wenn der Erwerber – etwa aufgrund von Schadensersatzansprüchen – als Insolvenzgläubiger an dem Insolvenzverfahren beteiligt ist. Denn nicht nur der Insolvenzschuldner, sondern auch ein Insolvenzgläubiger kann der Feststellung einer Forderung eines anderen Insolvenzgläubigers – mithin also auch einer vom Finanzamt angemeldeten Forderung – widersprechen (vgl. § 178 Abs. 1 AO). Somit besteht auch für den Insolvenzgläubiger grundsätzlich die Möglichkeit durch Erhebung eines Widerspruchs die Feststellung der Steuerforderung im Insolvenzverfahren zu verhindern. Sollte die Finanzverwaltung oder die Rechtsprechung auch hier § 166 AO anwenden und den Haftungsschuldner mit materiellen Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung ausschließen, müsste der nach § 75 AO haftende Erwerber bereits im Insolvenzverfahren darauf hinwirken, dass der Insolvenzschuldner der Feststellung der Steuerforderung widerspricht bzw. selbst der Feststellung der Steuerforderung widersprechen. Die Haftungsfolgen des § 75 AO sollten deshalb stets und insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen Insolvenz des Verkäufers gewürdigt und eine angemessene Risikoabschirmung betrieben werden.