Neue Entwicklungen zur (beschränkten) Haftung der Organgesellschaften für Steuerschulden des Organträgers

RA Prof. Dr. Gerhard Specker, HFH Hamburger Fern-Hochschule, Hamburg

Organgesellschaften haften für Steuern des Organträgers. Ihre Inanspruchnahme liegt im Ermessen der Finanzverwaltung. Die Grenzen dieser Haftung sind allerdings unklar. Umstritten ist, ob und inwieweit bereits der Wortlaut der einschlägigen Haftungsvorschrift (§ 73 AO) oder erst die beim Erlass eines Haftungsbescheids anzustellenden Ermessenserwägungen der Haftung der einzelnen Organgesellschaft Grenzen setzen. Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung hierzu deuten auf eine stärker differenzierte Betrachtung der körperschaftsteuerlichen, gewerbesteuerlichen sowie umsatzsteuerlichen Organschaft hin.

 

Zweck der Haftung

Für den Gesetzgeber ist die Haftung der Organgesellschaften ein Ausgleich dafür, dass sich die Steueransprüche nur gegen den Organträger richten. Dessen Vermögenslage kann in einem Missverhältnis zur Höhe seiner Steuerschuld stehen. Zweck der Haftung ist daher die Absicherung der Steueransprüche, die sich aus Tätigkeiten im gesamten Organkreis ergeben, durch Zugriff auf die zum Organkreis gehörenden Gesellschaften. Das Gesetz formuliert nur eine Bedingung für die Haftung der Organgesellschaft: Es muss sich um Steuern des Organträgers handeln, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist.

Keine Haftung der Enkelgesellschaft für Körperschaftsteuer, …

Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der Haftungsvorschrift brachten das FG Düsseldorf (Urteil vom 19.02.2015 – 16 K 932/12 H(K), DB 2015 S. 1879 m. Anm. Graw) zu der Erkenntnis, dass der Haftungsanspruch grundsätzlich sämtliche Steueransprüche gegen den Organträger umfasst, aber im Rahmen der Ermessensausübung beim Erlass eines Haftungsbescheids zu begrenzen ist (vgl. dazu näher Specker, Steuerboard vom 15.07.2016). Der BFH teilt diese Meinung nicht und hat die Entscheidung daher mit knappem Hinweis auf den für ihn klaren Wortlaut der Haftungsvorschrift und ohne nähere Befassung mit der Begründung des FG aufgehoben (BFH vom 31.05.2017 – I R 54/15, DB 2017 S. 2392). Die Aussage des BFH beschränkt sich allerdings auf das – im Streitfall einschlägige – mehrstufige Beteiligungsverhältnis zwischen Organträger und in Anspruch genommener Enkelgesellschaft. Für Körperschaftsteuer des Organträgers haftet eine mit diesem nur mittelbar verbundene, aber zum Organkreis gehörende Enkelgesellschaft nicht. Dies gilt auch für diejenige anteilige Körperschaftsteuer, die auf wirtschaftliche Tätigkeiten der Enkelgesellschaft selbst zurückgeht. Dieses dem Zweck der Haftung und der gesetzgeberischen Intention zuwiderlaufende Ergebnis überlässt der BFH dem Gesetzgeber als „rechtspolitische Frage“ zur weiteren Bearbeitung.

… wohl aber für Umsatzsteuer

Für die umsatzsteuerliche Organschaft kommt das FG Düsseldorf zu einem von der BFH-Entscheidung abweichenden Ergebnis für mehrstufige Organschaften (FG Düsseldorf vom 22.02.2018 – 9 K 280/15 H (U), DB 2018 S. 871). Danach haftet eine mit dem Organträger nur mittelbar verbundene, aber zum Organkreis gehörende Enkelgesellschaft bzw. Urenkelgesellschaft für Umsatzsteuer des Organträgers. Die Umsatzsteuer ging im Streitfall auf Tätigkeiten der in Anspruch genommenen Organgesellschaft selbst zurück. Seine Entscheidung begründet das FG Düsseldorf mit den Besonderheiten der umsatzsteuerlichen im Vergleich zur körperschaftsteuerlichen Organschaft. Auch wenn die Haftungsvorschrift selbst nicht zwischen den einzelnen Organschaften differenziert, führt diese Rechtsprechung für die Haftung in mehrstufigen Organschaften somit zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dabei ist für das FG Düsseldorf wesentlich, dass die an einer umsatzsteuerlichen Organschaft Beteiligten ein einheitliches Unternehmen bilden und die Organschaft daher für alle am Organkreis Beteiligten eine unmittelbare (umsatz-)steuerliche Bedeutung habe, während die körperschaftsteuerliche Organschaft jeweils nur zwischen zwei Körperschaftsteuersubjekten bestehe und daher – von den Ausnahmen einer sog. Klammerorganschaft abgesehen – jedenfalls nicht zwischen dem Organträger und seiner Enkelgesellschaft. Ob dieses Ergebnis mit dem engen Verständnis des BFH zum Wortlaut der Haftungsvorschrift, wie es in der Entscheidung zur mehrstufigen körperschaftsteuerlichen Organschaft zum Ausdruck kommt, vereinbar ist, muss als offen gelten. Das FG hat die Revision zugelassen.

Gewerbesteuer: Haftung nur der in der Gemeinde tätigen Gesellschaften

Die Erkenntnisse des BFH zu mehrstufigen Organschaften sollten dagegen auch für die gewerbesteuerliche Organschaft gelten. Die Haftung der Organgesellschaft für Gewerbesteuer findet schließlich eine weitere Grenze in den Besonderheiten dieser Steuer, die durch die Gemeinden erhoben wird. Die Organgesellschaft haftet nicht für Gewerbesteuer des Organträgers gegenüber einer Gemeinde, wenn sie im Gebiet dieser Gemeinde selbst nicht gewerblich tätig war (vgl. OVG Münster vom 12.05.2017 – 14 A 2484/14, RS1242003). Denn die Haftung soll nur das spezifische Risiko für die betroffene Gemeinde ausgleichen, dass der Organträger weniger solvent ist als die vor Ort tätige Organgesellschaft, die die Gewerbesteuer ohne Organschaft direkt schulden würde.

Zentrale Fragen bleiben offen

Zur Reichweite der Haftung einer Organgesellschaft für Steuern des Organträgers zeigen sich in der jüngeren Rechtsprechung demnach unterschiedliche Tendenzen. Bis zu einer weiteren Klärung können Haftungsbescheide im Hinblick darauf ggf. offen gehalten werden. Auch wenn grundsätzliche Fragen der Haftung ungeklärt bleiben, zeigt sich zumindest eine Tendenz zu einer stärkeren Differenzierung zwischen den Organschaften der verschiedenen Steuerarten.

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