BFH: Negative Anschaffungskosten für Anteile sind möglich

StB Dipl.-Kfm. Dr. Martin Weiss, Associate bei Flick Gocke Schaumburg, Berlin

Einbringungen nach § 20 UmwStG sind in letzter Zeit besonders aufgrund der Sperrfrist des § 22 UmwStG diskutiert worden. Durch die Entscheidung des BFH vom 24.01.2018 (I R 48/15, DB 2018 S. 1568; vgl. hierzu Weiss/Brühl, Steuerboard vom 06.07.2018) ist die Verletzung dieser Sperrfrist durch Folgeumwandlungen besonders in den Mittelpunkt gerückt. In einer neuen Entscheidung vom 07.03.2018 beschäftigt sich der BFH nun mit § 20 UmwStG selbst (I R 12/16, DB 2018 S. 1705). Seit Jahren war hier streitig, ob Entnahmen im Rückwirkungszeitraum zu einer Aufstockungsverpflichtung für das eingebrachte Betriebsvermögen führen können. Dies hat der BFH nun verneint – der Ausgleich erfolgt über „negative Anschaffungskosten“ der erhaltenen Anteile.

Ausgangslage

Bei einer Einbringung nach § 20 UmwStG wird ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil gegen Gewährung neuer Anteile in eine Kapitalgesellschaft oder eine Genossenschaft eingebracht. Wer diesen Vorgang mit steuerlicher Rückwirkung vollziehen möchte, kann dies – entgegen der zwingenden Natur der Rückwirkungsregelung des § 2 UmwStG – hier durch einen Antrag nach § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG erreichen. Der „steuerliche Übertragungsstichtag“ lässt sich damit in Grenzen frei wählen, was die Freiheitsgrade des Steuerpflichtigen bzw. Steuerberaters erhöht.

Entsprechend den sonstigen Regelungen im UmwStG (§§ 3 Abs. 2, 11 Abs. 2 UmwStG) werden auch hier Bedingungen für einen Ansatz der übergehenden Wirtschaftsgüter unterhalb der Regelbewertung des gemeinen Wertes vorgegeben (§ 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Die Besonderheit, auf die das Besprechungsurteil nun eingeht, besteht in der Bedingung Nummer 2. Diese gab im Streitjahr 2005 – und gibt auch heute noch – vor, dass bei der Einbringung die Passivposten des eingebrachten Betriebsvermögens die Aktivposten nicht übersteigen dürfen.

Dementsprechend wird bei negativem Eigenkapital am steuerlichen Übertragungsstichtag eine Aufstockung des Betriebsvermögens erforderlich, die somit einen zwingenden Zwischenwertansatz nach sich zieht. Für den Einbringenden ergibt sich ein Gewinn nach § 16 EStG. Fraglich war bislang, ob die Aufstockung und damit der Gewinn nach § 16 EStG zu erhöhen war, wenn der Einbringende im Rückwirkungszeitraum Entnahmen aus dem eingebrachten Betriebsvermögen vornimmt und damit negatives Eigenkapital entsteht oder weiter vermindert wird. Für diesen Fall hält § 20 Abs. 5 Satz 2 f. UmwStG eine spezielle Regelung bereit, deren Bedeutung der BFH nun – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – gewürdigt hat.

Sachverhalt

Der Kläger hatte seine Rechtsanwaltskanzlei in eine Kapitalgesellschaft eingebracht, wobei er als steuerlichen Übertragungsstichtag den 02.01. des Streitjahres 2005 gewählt hatte. Das bis zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende negative Eigenkapital hatte er nach der Regel des damaligen § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002 (heute: § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG) aufgestockt. Allerdings nahm er im Rückwirkungszeitraum bis Ende August 2005 Entnahmen von über 400.000 € vor, die das FA zum Anlass nahm, eine weitere Aufstockung in ebendieser Höhe durchzuführen. Durch die Wertverknüpfungen des (heutigen) § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG kam es zu einem erhöhten Gewinn nach § 16 EStG beim einbringenden Kläger.

Entsprechend der nun bekannten verfahrensrechtlichen Vorgehensweise bei § 20 UmwStG wurde die Klage durch den Einbringenden – nach Einschränkung des Begehrens in der Revision – gegen den Körperschaftsteuerbescheid der übernehmenden GmbH im Wege der Drittanfechtung für den Veranlagungszeitraum der Einbringung 2005 geführt. Das FG hatte die Klage als unbegründet abgewiesen – und sich dabei auch zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten mit weiteren Nachweisen geäußert (FG Hessen vom 01.12.2015 – 4 K 1355/13, RS1203852).

Entscheidungsgründe

Der BFH hat der Revision stattgegeben. Die Regelungen zur Rückwirkung bei der Einbringung seien insoweit eindeutig, als Entnahmen im Rückwirkungszeitraum lediglich zu einer Korrektur von Anschaffungskosten für die erhaltenen Anteile führen (heute: § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG). Eine Verschiebung des Zeitpunkts, zu dem die Entnahmen vorgenommen wurden, sei mit der Rückwirkungsfiktion nicht verbunden. Daher könne auch keine Aufstockung des eingebrachten Betriebsvermögens zum steuerlichen Übertragungsstichtag durch eine Entnahme im Rückwirkungszeitraum induziert werden.

Vielmehr sei einer solchen Entnahme durch Abzug von den Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile Rechnung zu tragen. Diese Anschaffungskosten könnten durch diesen Vorgang auch negativ werden. Statt einer sofortigen Zwangsrealisierung stiller Reserven – wie vom FA und FG befürwortet – sei durch die Annahme negativer Anschaffungskosten dem Sinn und Zweck der heutigen Regelungen des § 20 Abs. 5 Satz 2 f. UmwStG Rechnung zu tragen. Die Möglichkeit negativer Anschaffungskosten sei durch die BFH-Rechtsprechung zudem für Anteile im steuerlichen Privatvermögen bereits bejaht worden (BFH vom 26.04.2006 – I R 49, 50/04, BStBl. II 2006 S. 656 = RS0998772).

Einordnung und Ausblick

Die insbesondere von verwaltungsnahen Autoren vertretene Auslegung des „Sondersystems“ für Einlagen und Entnahmen im Rückwirkungszeitraum des § 20 Abs. 5 Satz 2 f. UmwStG hat der BFH somit verworfen. Die Finanzverwaltung hatte sich in ihrem Umwandlungssteuererlass vom 11.11.2011 (VA0464115) in der Randziffer 20.19, dritter Absatz, für eine aus dem Gesetz nicht ableitbare Rechtsauffassung ausgesprochen. Eine „Wertaufstockung“ sollte danach auch vorzunehmen sein, „soweit das eingebrachte Betriebsvermögen ohne Aufstockung während des Rückwirkungszeitraums negativ würde“. Damit wurde eine gleichlautende Formulierung aus der vorigen Iteration des Anwendungsschreibens vom 25.03.1998 aufgegriffen. Da die Gesetzesfassungen des Streitjahres 2005 und des Jahres 2018 insoweit vergleichbar sind, gelten die nun vom BFH gezogenen Schlussfolgerungen auch für die aktuelle Rechtslage.

Den Steuerpflichtigen bleibt somit bei Entnahmen im Rückwirkungszeitraum eine Zwangsaufdeckung stiller Reserven erspart. Die so mit negativen Anschaffungskosten versehene Beteiligung wird allerdings zur „Zeitbombe“ für den Steuerpflichtigen, da sie in Zukunft zu einem steuerlichen Veräußerungsgewinn führen wird, der höher ist als der vom Erwerber gezahlte Kaufpreis – eine Folge der Definition des Veräußerungsgewinns des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG. Einen in ferner Zukunft veräußernden Steuerpflichtigen – möglicherweise unentgeltlicher Rechtsnachfolger des heutigen Einbringenden – könnte eine solche steuerliche Folge unangenehm überraschen. Dies umso mehr, als es für die Anschaffungskosten von Beteiligungen im Privatvermögen keine formelle Feststellung oder Fortschreibung von Anschaffungskosten gibt.

Auch andernorts könnte die Frage negativer Anschaffungskosten für Unmut sorgen. Der Einbringende nach § 20 UmwStG möchte seine erhaltenen Anteile möglicherweise durch Anteilstausch nach § 21 UmwStG innerhalb der Sperrfrist des § 22 Abs. 1 UmwStG weiter übertragen. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 UmwStG lässt dies sperrfristunschädlich zu, wenn u.a. der „Buchwert“, der hier als Anschaffungskosten (§ 21 Abs. 2 Satz 5 UmwStG) zu verstehen ist, angesetzt wird. Wie ist dieser nun zu bemessen? Heißt das, dass auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft nach § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG die Beteiligung „auf der Passivseite“ abzubilden ist? Ein Überschwappen der zunächst auf Privatvermögen bezogenen Rechtsauffassung des BFH im Besprechungsurteil ins Betriebsvermögen wäre allein aus diesem Grund schwer zu vermeiden.

Die Entscheidung des BFH ist somit insgesamt zu begrüßen, lässt allerdings Folgefragen entstehen, die sich an die Annahme negativer Anschaffungskosten knüpfen. Die Reaktion der Finanzverwaltung, die statt sofort nach § 16 EStG erst in Zukunft einen nach Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Buchst. c EStG) teilweise zu erfassenden Veräußerungsgewinn besteuern kann, bleibt abzuwarten.

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