Mit Urteil vom 12.06.2018 hat der VIII. Senat des BFH (BFH vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278) über die Behandlung von Verlusten aus der Veräußerung von Aktien im Privatvermögen entschieden und sich – wie schon die Vorinstanz (Niedersächsisches FG vom 26.10.2016 – 2 K 12095/15, RS1226857; vgl. hierzu Kreft, StR kompakt, DB1226625) – gegen die von der Finanzverwaltung vertretene Ansicht positioniert. Nach Auffassung des BFH liegt eine Veräußerung auch dann vor, wenn der Veräußerungspreis die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt. Ferner soll die Entscheidung des Steuerpflichtigen, seine Aktien nur gegen einen symbolischen Wert zu veräußern, keinen Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO darstellen.
Tatbestand der Veräußerung
Die Finanzverwaltung behandelte den vorliegenden Fall nicht als Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, da sie den Veräußerungsbegriff gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG als nicht erfüllt ansah (vgl. BMF vom 18.01.2016, BStBl. I 2016 S. 85 = VA1189835, Rz. 59).
Anderer Ansicht ist der entscheidende Senat, der dem von der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 18.01.2016 (a.a.O.) vertretenen Veräußerungsbegriff nicht folgte. Er machte die Entscheidung, ob eine Veräußerung vorliegt, vielmehr am Wortlaut des Gesetzes (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) fest. Grundsätzlich umfasst § 20 EStG gem. § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch einen Veräußerungsverlust. Das Gesetz sieht ferner als einzige Voraussetzung für die Veräußerung die entgeltliche Übertragung des (zumindest wirtschaftlichen) Eigentums auf einen Dritten vor (vgl. BFH vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278, Rz. 13 und vom 12.05.2015 – IX R 57/13, RS1075257, Rz. 15). Im Übrigen betonte der BFH, dass eine entgeltliche Anteilsübertragung auch dann vorliegt, wenn wertlose Anteile zwischen fremden Dritten ohne Gegenleistung oder gegen einen lediglich symbolischen Kaufpreis übertragen werden (vgl. BFH vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278, Rz. 13; vom 12.05.2015 – IX R 57/13, RS1075257, Rz. 15 und vom 06.04.2011 – IX R 61/10, DB 2011 S. 1667, Rz. 13).
Die Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG soll damit weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig sein.
Kein Gestaltungsmissbrauch
Auch das von der Finanzverwaltung vorgebrachte Argument des Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO wurde vom entscheidenden Senat widerlegt. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung noch nicht unangemessen (vgl. BFH vom 29.11.1982 – GrS 1/81, RS0744005, Rz. 73; vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278, Rz. 19 und vom 29.05.2008 – IX R 77/06, RS0701859, Rz. 11). Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder nur möglichst geringe Steuern anfallen. Dies stellt so lange keinen Gestaltungsmissbrauch dar, wie die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht und dafür nicht ein ungewöhnlicher Weg gewählt wird, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (vgl. BFH vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278, Rz. 19 und vom 08.03.2017 – IX R 5/16, DB 2017 S. 1304, Rz. 17).
Eine Veräußerung von Anteilen gegen einen nur symbolischen Wert, um in den Genuss einer Steuerminderung zu kommen, stellt nach Ansicht des entscheidenden Senats und entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung demnach keinen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO dar (vgl. BFH vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278, Rz. 20). Der BFH führt insbesondere aus, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG eine Veräußerung von Anteilen ausdrücklich vorsieht und auch Verlustgeschäfte gem. § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG vom Anwendungsbereich des § 20 EStG umfasst sind (vgl. BFH vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, DB 2018 S. 2278, Rz. 21). Zudem betont der BFH, dass auch eine Veräußerung zum Preis von 0 Euro keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten darstellt, da die Gestaltung der Übertragung wertloser Anteile ohne Gegenleistung eine Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellt. Es wird folglich eine vom Gesetzgeber geschaffene Gestaltung gewählt.
Einordnung und Fazit
Das Urteil ist zu begrüßen. Der bestehenden restriktiven Ansicht der Finanzverwaltung wird durch das Urteil des BFH klar entgegengetreten. Dies ist konsequent, da sich die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung weder aus dem Gesetz ergibt, noch die Berücksichtigung von Veräußerungsverlusten im Rahmen anderer Veräußerungen (z.B. Immobilientransaktionen) von der Höhe der Transaktionskosten abhängig gemacht wird. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf das Urteil reagieren wird.