Umfassende Änderungsmöglichkeiten für erbschaftsteuerliche Erlassbescheide durch das „JStG 2018“

RA/StB Dr. Martin Liebernickel, Associated Partner bei P+P Pöllath + Partners, Frankfurt/M.

Nach langen politischen Diskussionen wurde für Erwerbe nach dem 30.06.2016 ein neues Erbschaftsteuerrecht beschlossen (Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016, BGBl. I 2016 S. 2464). Ergebnis der politischen Einigung war u.a., dass sogenannte Großerwerbe nur noch einer eingeschränkten erbschaftsteuerlichen Begünstigung unterliegen. Soweit Steuerpflichtige die auf das übertragene begünstigte Vermögen entfallende Erbschaftsteuer nicht mit dem verfügbaren Vermögen begleichen können, soll ihnen auf Antrag die darauf entfallende Erbschaftsteuer erlassen werden (Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG). Da die bestehende Verschonungsbedarfsprüfung verfahrensrechtlich lückenhaft war, hat der Gesetzgeber im Rahmen des „JStG 2018“ nachgebessert.

Verschonung von Großerwerben

Übersteigt der Erwerb begünstigten Vermögens die Schwelle von 26 Mio. EUR, liegt ein sogenannter Großerwerb vor. Dabei werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Erwerbe zusammengerechnet (§ 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Die Finanzverwaltung bezieht dabei auch Erwerbe vor dem 01.07.2016 in diese Prüfung ein, was verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Eine solche Qualifizierung als Großerwerb sollte verfahrensrechtlich offengehalten werden, da entsprechende Finanzgerichtsverfahren zu erwarten sind. Die Besteuerung der einzubeziehenden Erwerbe vor dem 01.07.2016 selbst soll jedoch nicht nachträglich geändert werden. Das nicht begünstigte Unternehmensvermögen (z.B. Kapitalgesellschaftsanteile bis 25% ohne Poolvereinbarung, Wertpapiere, zu viel Liquidität) erfährt unabhängig von der Größe des Erwerbs keine Verschonung mehr.

Bleibt der Großerwerb unter einer gesetzlichen Grenze von 90 Mio. EUR (§ 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG), hat der Erwerber die Wahl zwischen zwei Verschonungsmodellen: dem Abschmelzmodell des § 13c ErbStG und der Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG. Beträgt der Großerwerb 90 Mio. EUR und mehr, kommt nur noch die Verschonungsbedarfsprüfung in Betracht.

Im Regime des Abschmelzmodells verringert sich der Verschonungsabschlag i.H.v. 85% (Regelverschonung) bzw. 100% (Optionsverschonung) jeweils um 1% pro volle 750.000 EUR, die der Erwerb die Grenze von 26 Mio. EUR übersteigt. Damit wird im Fall der Regelverschonung ab einem Erwerb begünstigten Vermögens i.H.v. 89,75 Mio. EUR kein Abschlag mehr gewährt. Im Bereich der Optionsverschonung würde diese Grenze rechnerisch bei 101 Mio. EUR liegen (100 x 750.000 EUR + 26 Mio. EUR = 101 Mio. EUR). Sie wird aber von Gesetzes wegen auf 90 Mio. EUR begrenzt (§ 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG).

Entscheidet sich der Erwerber gegen das Abschmelzmodell oder beläuft sich sein Erwerb auf 90 Mio. EUR und mehr, verbleibt ihm nur die Anwendung der Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG. Der Steuerpflichtige beantragt dann, ihm die auf das übertragene begünstigte Vermögen entfallende Erbschaftsteuer zu erlassen, soweit diese nicht mit dem sogenannten verfügbaren Vermögen beglichen werden kann. Das zur Steuerzahlung einzusetzende verfügbare Vermögen kann dabei aus drei Komponenten bestehen. Erstens der Hälfte des aktuell miterworbenen nicht begünstigten Vermögens. Zweitens aus der Hälfte des beim Erwerber bereits vorhandenen nicht begünstigten Vermögens. Drittens zählt die Hälfte des nicht begünstigten Vermögens, das der Erwerber innerhalb der nächsten zehn Jahre durch Schenkung oder von Todes wegen erhält (auch von Dritten!) zum verfügbaren Vermögen, das dann nachträglich zur Erbschaftsteuerzahlung einzusetzen ist.

Keine Erlassbescheide

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist für die Gewährung des Steuererlasses nach § 28a ErbStG ein Antrag des Erwerbers notwendig. Dieser Antrag sollte bereits im Rahmen der entsprechenden Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuererklärung gestellt werden und kann zu einem teilweisen oder vollständigen Erlass der auf das begünstigte Vermögen entfallenden Steuer führen.

Bislang wurden jedoch Anträge auf Steuererlass nach § 28a ErbStG bundesweit – soweit ersichtlich – nicht beschieden. Wie aus der Begründung des am 23.11.2018 durch den Bundesrat gebilligten „Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (JStG 2018) hervorgeht, hatte dies folgenden Hintergrund: Ein einmal gewährter Erlassbescheid wäre (da nicht den Korrekturvorschriften für Steuerverwaltungsakte folgend) nach bisheriger Gesetzeslage nur dann änderbar gewesen, wenn einer der gesetzlich in § 28a Abs. 4 ErbStG normierten Fälle vorliegt. Letzteres ist dann der Fall, wenn der Erwerber die maßgebliche Lohnsumme nicht einhält, gegen bestimmte Verfügungs- und Entnahmebeschränkungen verstößt oder der oben genannte schädliche Nacherwerb (Erbschaften oder Schenkungen auch von Dritten) vorliegt. Nicht umfasst ist bislang der Fall, dass z.B. eine Betriebsprüfung nachträglich ein höheres erbschaftsteuerlich schädliches Unternehmensvermögen auf den seinerzeitigen Übertragungszeitpunkt feststellt. Hier schafft nun das JStG 2018 aus Sicht des Gesetzgebers Abhilfe, indem es eine Änderung des ursprünglichen Erlassbescheides auch dann zulässt, wenn entsprechende Feststellungen in anderen Steuer- bzw. Feststellungsbescheiden getroffen oder geändert werden. Die Gesetzesbegründung spricht hier von einer „erheblichen Unsicherheit auf Seiten der betroffenen Bürger“, zu der es ohne die gesetzliche Neuregelung gekommen wäre, da der Steuererlass gegebenenfalls erst mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung ausgesprochen werden könnte.

Zeitliche Anwendung der Neuregelung

Die Änderungen des § 28a ErbStG sollen auf Erwerbe Anwendung finden, für die ein Erlass erstmals nach Verkündung des JStG 2018 ausgesprochen wurde. Dies scheint auf den ersten Blick einsichtig, da ja offenbar nur pro futuro wirkend. Betrachtet man aber den vorgenannten Befund, dass es bislang keine entsprechenden Erlassbescheide zu geben scheint, dann wird deutlich, dass diese gesetzliche Neuregelung alle Erwerbe nach dem 30.06.2016 betrifft, für die ein Steuererlass nach § 28a ErbStG (bislang vergeblich!) beantragt wurde. Dies kommt einer faktischen Rückwirkung der Neuregelung gleich.

Fazit

Die gesetzliche Neuregelung aus dem Jahre 2016 war zunächst lückenhaft und die Finanzverwaltung hatte offenbar Bedenken, entsprechende Erlassbescheide zu gewähren, in Sorge um ihre spätere Änderbarkeit. Daher wurde ein entsprechend beantragter Steuererlass zunächst überhaupt nicht gewährt. Mit der Neuregelung dürfte sich dies wieder ändern. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Vorgehensweise entsprechende finanzgerichtliche Verfahren nach sich ziehen wird, die am Ende beim BVerfG enden werden. Diesen Weg werden voraussichtlich noch eine Reihe erbschaftsteuerlicher Vorschriften nehmen.

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