Rechtsberatung in Zeiten „universalisierbarer Handlungsmaximen“?

RA/StB Prof. Dr. Dietmar Gosch, Hamburg

Am 04.04.2019 hieß es in der FAZ: Zwei ehemalige britische Aktienhändler sollen in Bonn wegen Cum-Ex-Geschäften vor Gericht kommen. Eine entsprechende Anklage der Staatsanwaltschaft Köln sei beim Landgericht Bonn eingegangen. Komme es zum Hauptverfahren, sei dies der erste deutsche Prozess, in dem die Strafbarkeit der Steuerdeals grundsätzlich geklärt werden könne. Die beiden Angeklagten hatten als Kronzeugen die Ermittlungen erheblich vorangebracht. Zudem stehe ein erster Haftungsprozess an – vor dem LG Frankfurt, ausgelöst durch den Insolvenzverwalter der Maples Bank und gerichtet gegen Freshfields wegen Falschberatung und eines Schadens von 95 Mio. €. Auch das Handelsblatt berichtete darüber (HB vom 03.04.2019 S. 31).

Die Rolle der Rechtsberater bei den Cum-Ex-Transaktionen

Das gibt guten Anlass, sich mit einem Beitrag aus dem BRAK Magazin 01/2019, Seite 13 zu beschäftigen. Er stammt aus der Feder von Karin Matussek, „Legal Affairs Correspondent for Germany“ der Bloomberg News, und ist mit „Horrortrip mit Nachwirkungen – Cum-Ex und die Rolle der Rechtsberater“ betitelt.

Karin Matussek äußert sich in ihrer Bemerkung zu „willigen Rechtsberatern“, die die zwischenzeitlich verfemten Cum-Ex-Transaktionen in der Vergangenheit gutachtlich für „hinnehmbar“, für „rechtskonform“ ansahen. Die Meinung der Verfasserin mündet in dem Credo: „Nicht alles, was theoretisch ginge, muss man machen – auch dann nicht, wenn ein kläglich agierender Gesetzgeber geradezu dazu einlädt. Selbst dann lohnt es sich zu fragen, wie universalisierbar die eigene Handlungsmaxime ist“.

Steuermoral als Handlungsmaxime?

Das klingt hehr und edel, und die Diskussion ist alt: Kann Legitimes illegitim, kann Legales illegal sein? Gibt es eine Steuermoral als Handlungsmaxime, die den Staat schützt, wenn er offenen Auges versagt und Gesetze erlässt, deren Rechtswirkungen er entweder nicht kennt, nicht kennen will oder schlicht wegen Arg- oder Ahnungslosigkeit falsch einschätzt? Ist es verwerflich, wenn der dem Steuereingriffsrecht Unterworfene Mittel und Wege sucht, um Steuern zu sparen? Das alles lässt sich ebenso wohlfeil verneinen wie bejahen. Denkt man es zu Ende, gelangt man ins Philosophische. Und auch ins ganz Rechtspraktische: Der CFO einer Kapitalgesellschaft ist gehalten, Steuern zu ersparen, den Shareholder value zu steigern. Steuern sind Kosten, der CFO muss danach trachten, diese zu senken. Tut er das nicht, droht ihm Ungemach; § 266 StGB zeigt ihm die Grenzen in die eine Richtung, ebenso wie die Planken der Steuerhinterziehung das in die andere Richtung tun.

Ist es nun verwerflich, den Gesetzgeber im Rahmen des „Legalen“ beim Wort zu nehmen? Ist es wegen „universalisierbarer Handlungsmaximen“ zu beanstanden, wenn ein um Rechtsauslegung bemühter Rechtsberater Wege aufzeigt, die in den Gesetzen, in den Gesetzesmaterialien vorgegeben sind? Die sich darin praktisch wie eine „Handlungsanweisung“ lesen lassen? Wie sich das bei bestimmten Cum-Ex-Gestaltungen (vermittels der Einschaltung ausländischer Kreditinstitute) verhält, wurden in jenen Materialien doch fortbestehende Vollzugslücken unter Einschaltung von Auslandsbanken expressis verbis und offenen Auges hingenommen (und erst 2012 endgültig beseitigt). Karin Matussek bejaht das. Man mag daran zweifeln. Denn sie tut das selbst für den Fall, dass „der gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (…) die Deals irgendwann für rechtmäßig erklärt“. Das irritiert und schafft eine schöne neue Welt des Guten.

Wehrhaftigkeit ist vonnöten

Ein Tätigwerden des „Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes“ in Sachen Cum-Ex ist aber ohnehin unter nahezu keinem erdenklichen Blickwinkel vorstellbar. Der BGH entscheidet letztinstanzlich über etwaige Haftungs- und Strafverfahren, der BFH tut dasselbe über (materielle) Steuerrechtsverfahren. Dass jemals über ein und dieselbe Cum-Ex-Konstellation unter Straf-, Zivil- und Steuerrechtsaspekten eine normbezogene Entscheidungsdivergenz vorliegt, welche allein zur Anrufung des Gemeinamen Senats führt, ist so gut wie ausgeschlossen. Und das gleichermaßen grundsätzlich wie aus Gründen der „Moral“. Denn bislang sieht es so aus, dass sämtliche erstinstanzlichen Urteile der Finanzgerichte rechtskräftig werden, weil die unterlegenen Cum-Ex-involvierten Banken sich freiwillig rechtsschutzlos stellen und infolgedessen kein Urteil des BFH auslösen. Die Angst vor dem Reputationsschaden kraft (aber erst neuerlich) moralisierender Anwürfe der Öffentlichkeit ist größer als die Wehrhaftigkeit, die an sich geboten wäre, um dem Staat höchstrichterlich sein Staatsversagen zu attestieren. Es ist ureigenste Aufgabe gerade der Rechtsanwaltschaft, sich solcher Wehrhaftigkeit nicht zu versagen!

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