Unbeschränkte Steuerpflicht bei Wohnsitz im Inland trotz Lebensmittelpunkts im Ausland

StB Mareike Krämer, LL.M., Senior Associate bei P+P Pöllath + Partners, Frankfurt/M.

Haben natürliche Personen mehrere Wohnsitze in verschiedenen Staaten (z.B. Haupt- und Nebenwohnsitz, Ferienwohnung) inne, kommt es immer wieder zu Verwirrungen, ob und wann ein Wohnsitz eine unbeschränkte nationale Steuerpflicht begründet. Das FG Baden-Württemberg vertrat im Jahr 2015 die Auffassung, dass eine natürliche Person mit Wohnsitz im Inland, die auch über einen Wohnsitz im Ausland verfügt und dort ihren Lebensmittelpunkt hat, im Inland nicht unbeschränkt, sondern nur beschränkt steuerpflichtig sei (FG Baden-Württemberg vom 07.10.2015 – 1 K 2833/12). Der BFH nutzte nun das Revisionsverfahren, um die dadurch aufgekommene Unsicherheit zu beseitigen und die Regelungen des nationalen Steuerrechts klarzustellen (BFH vom 23.10.2018 – I R 74/16 (NV), RS1299502).

Zum Hintergrund: Urteil des FG Baden-Württemberg und Einordnung der Ansässigkeit nach dem Doppelbesteuerungsabkommen

Der Kläger war im Jahr 2002 nach Rumänien verzogen und hatte dort seitdem seinen Lebensmittelpunkt. In den Folgejahren gab er in Deutschland Einkommensteuererklärungen für beschränkt Steuerpflichtige ab und erklärte u.a. Verluste aus einigen seiner zahlreichen Vermietungstätigkeiten. Eine Wohnung in einer der Mietimmobilien nutzte der Kläger gelegentlich selbst. Im Kern hatte das FG über Einkünfteerzielungsabsichten und die Höhe der jährlichen Vermietungseinkünfte zu entscheiden. In der Urteilsbegründung wurde allerdings auch erläutert, dass dahingestellt bleiben könne, ob das Welteinkommensprinzip Anwendung finde, da der Kläger aufgrund seines Mittelpunktes der Lebensinteressen nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und Rumänien als in Rumänien ansässig gelte und er folglich im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei.

BFH: Klarstellung zur unbeschränkten Steuerpflicht im Revisionsverfahren

Im Revisionsverfahren nahm der BFH dies als Aufhänger, um die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, die Wohnsitzdefinition nach nationalem Recht und den Einfluss von DBA zu beleuchten. Ohne die Einkünfteermittlungen im Detail zu beurteilen, wies der BFH die Sache an das FG zurück, da gerade zur Prüfung der Wohnsitzsituation keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen erfolgt seien.

Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht

Unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 EStG stellt der BFH klar, dass Personen, die im Inland einen Wohnsitz innehaben, mit der Gesamtheit ihrer inländischen und ausländischen Einkünfte unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind. Die unbeschränkte Steuerpflicht gelte unabhängig davon, ob Tätigkeiten im In- oder Ausland ausgeübt werden. Auch der Lebensmittelpunkt im Ausland schließe die Annahme eines Wohnsitzes und die unbeschränkte Steuerpflicht im Inland nicht aus.

Definition des Wohnsitzes

Ob ein Wohnsitz im Inland vorliegt, richte sich nach § 8 AO. Demnach hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Kennzeichnend für eine Wohnung sei, dass diese zum Wohnen geeignet sei, wobei eine bescheidene Bleibe ausreiche. Nach ständiger Rechtsprechung müsse die Wohnung dem Steuerpflichtigen objektiv jederzeit, immer wenn er dies wünsche, als Bleibe zur Verfügung stehen und subjektiv von ihm zu einem jederzeitigen Wohnaufenthalt bestimmt sein.

§ 8 AO ermögliche, dass ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mehrere Wohnsitze im In- und/oder Ausland unterhalte. Weder das Einkommensteuerrecht noch Grundsätze des internationalen Steuerrechts böten Anhaltspunkte für Differenzierungen, nach denen z.B. nur der Wohnsitz, der als Lebensmittelpunkt genutzt wird, zur Begründung einer unbeschränkten Steuerpflicht führen könnte.

Einfluss von Doppelbesteuerungsabkommen

Die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland sei von der Frage der DBA-Ansässigkeit eines Steuerpflichtigen zu trennen. Wenn im vorliegenden Fall zwei Wohnsitze vorliegen, gelte der Steuerpflichtige zwar im Sinne des DBA als nur in Rumänien ansässig, da sich dort der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befinde. Auf die DBA-Ansässigkeit komme es aber für die Beurteilung der inländischen unbeschränkten Steuerpflicht nicht an.

Aus der unbeschränkten Steuerpflicht folgt das Welteinkommensprinzip, nach dem sämtliche in- und ausländischen Einkünfte grundsätzlich der deutschen Besteuerung unterliegen. Erst im zweiten Schritt sei zu beurteilen, ob und wie im Zusammenspiel mit dem DBA Besteuerungsrechte zugewiesen bzw. eingeschränkt werden, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden – entweder durch Freistellung der ausländischen Einkünfte unter Progressionsvorbehalt oder durch die Anrechnung von ausländischen Steuern.

Fazit für die Praxis

Unterhält eine natürliche Person mehrere Wohnsitze in verschiedenen Staaten, so sind im ersten Schritt immer die nationalen Steuergesetze aller Wohnsitzstaaten zu prüfen. Diese definieren die Anknüpfungspunkte für eine unbeschränkte oder nur beschränkte Steuerpflicht und damit die Art der einzureichenden Steuererklärung.

Unterliegen bei unbeschränkter Steuerpflicht ausländische Einkünfte dem Progressionsvorbehalt und sind sonst freigestellt, führt dies zu einem Anstieg des anzuwendenden Steuersatzes und beeinflusst die Steuerlast für die inländischen Einkünfte. Dies kann bei der Steuerberechnung einen entscheidenden Unterschied im Vergleich zur beschränkten Steuerpflicht machen, die nur die inländischen Einkünfte erfasst.

Vergleichbare Regelung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht

Im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht gibt es vergleichbare Regelungen, die für Steuerpflichtige – insbesondere Wegzügler, die eine Wohnung im Inland beibehalten – zu bösen Überraschungen führen können. So genügt auch hier für die unbeschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht, dass ein Schenker oder Beschenkter überhaupt einen Wohnsitz im Sinne des § 8 AO im Inland innehat. Wiederum ist nicht entscheidend, ob dies der Erstwohnsitz, ein Nebenwohnsitz oder eine eigene, regelmäßig genutzte Ferienwohnung ist. Ein Wohnsitz des Erblassers im Inland führt dazu, dass im Erbfall das Weltvermögen der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt. Analog unterliegen empfangene und getätigte Schenkungen der deutschen Schenkungsteuer. Es kommt hinzu, dass nur wenige DBA auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer bestehen und nationale Vorschriften zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen diese nicht immer vollständig beseitigen können. Die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Folgen können also gravierend sein, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht nicht erkannt wird.

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